Bis Gras und Gebüsch über die Termingeschäfte von Wien Energie gewachsen sind, wird es noch dauern. Derzeit sind die Prüfer am Zug.

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Wien – Die Zusammenarbeit der Wiener Stadtwerke mit ihren Hausbanken hat durch die Krise rund um die Termingeschäfte von Wien Energie im Hitzesommer 2022 einigermaßen gelitten. Von mangelnder Kooperationsbereitschaft war in Kreisen des zum Wiener-Stadtwerke-Imperium gehörenden städtischen Versorgers zu hören. Auch von einer belasteten Vertrauensbasis war im Zusammenhang mit der Causa prima die Rede, wie die aufgrund von Energiepreishausse und Kurskapriolen Ende August 2022 aus dem Ruder gelaufenen Termingeschäfte an den Energiebörsen genannt werden.

Nun dürfte die Verstimmung wieder aufgelöst sein. Die Kommunalbetriebe sind dabei, ihre Finanzierung neu aufzustellen und zu erweitern, um das Darlehen der Österreichischen Bundesfinanzierungsagentur (Öbfa) im Volumen von zwei Milliarden abzuschichten, erfuhr DER STANDARD von mit der Materie vertrauten Bankern. Zwar wurde das in einer Notmaßnahme über das berühmt-berüchtigte Wochenende Ende August 2022 geschnürte Hilfspaket des Bundes nie in Anspruch genommen, weil sich die Gas- und Strompreise beruhigten und Teile der Sicherungsleistungen (Margin-Calls) wieder zurückflossen.

Vorsorge für schlechtere Zeiten

Aber der Versorger will sich mangels eines für alle Energieversorger bereitstehenden staatlichen Schutzschirms offensichtlich für allfällige weitere Kurskapriolen wappnen. Zwei Milliarden Euro umfasst die Ausschreibung einer oder mehrerer Finanzierungslinien, die sich der Wiener-Stadtwerke-Konzern bei internationalen Kreditinstituten sichern will, skizzieren Bankeninsider das Vorhaben und verweisen auf entsprechende Sondierungen samt Ausschreibung für sogenannte syndizierte Fazilitäten, also auf mehrere Institute verteilte Kreditlinien.

Im Moment ist es relativ ruhig an den Energiemärkten. Aber kurzfristiger Geldbedarf ist bei Versorgern wie der Wien Energie nicht auszuschließen.
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Ausschreibungen seien nicht ungewöhnlich, wird bei der Stadtwerke GmbH bestätigt, denn die Mutter organisiert für ihre kommunalen Töchter von der Bestattung über Wien Energie bis zu Wiener Linien auch das Cashpooling, versorgt diese also mit Liquidität. Seitens der Banken gibt es unter Verweis auf das Bankgeheimnis keine Auskunft. Der Sprecher der Stadtwerke, Thomas Geiblinger, gibt sich ebenfalls zugeknöpft: "Bei Informationen über allfällige laufende Ausschreibungsverfahren handelt es sich um Geschäftsgeheimnisse, die wir grundsätzlich nicht kommentieren."

Ein Dementi klingt anders.

Heißer Sommer 2022

Hintergrund der neuen Finanzierungslinie sind die seit 2021 anhaltenden Verwerfungen auf den Energiemärkten, die sich durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine verstärkten und im Vorjahr auch finanziell für einen heißen Sommer sorgten. Im Juli 2022 waren die stetig steigenden Margin-Verpflichtungen so hoch geworden, dass Wien Energie und ihre Mutter Wiener Stadtwerke Kredithaftungen der Stadt zu je 700 Millionen Euro brauchten, die Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) im Wege seiner Notkompetenz auch beibrachte.

Als am 26. August auch diese 1,4 Milliarden Euro nicht mehr reichten, verlangten die Hausbanken Bawag und Bank Austria ihrerseits weitere Sicherheiten, die am berühmten letzten Augustwochenende auch aufgestellt wurden: Der Bund sagte über die Bundesfinanzierungsagentur ein Darlehen über zwei Milliarden Euro an das Land Wien zu, das die Basis für eine Rahmenkreditvereinbarung im selben Umfang mit Wien Energie war.

Betriebsgeheimnisse

Stichwort Betriebsgeheimnisse: Auf ebendiese beruft sich die Wien-Energie-Führung auch gegenüber der Untersuchungskommission des Wiener Gemeinderats, die Licht ins Dunkel der hektischen Aktivitäten rund die Termingeschäfte von Wien Energie und die bürgermeisterliche Notkompetenz bringen soll.

"Gute wirtschaftliche Kennzahlen"

In diesem Zusammenhang fällt ein Schreiben auf, das Wirtschaftsprüfer KMPG am 30. August 2022 im Auftrag von Wien Energie verfasste. Darin zeichnet die Prüfgesellschaft ein Bild, das mit dem Bedarf an Staatshaftung und Notkrediten nicht so recht zusammenpassen will. Von "guten wirtschaftlichen Kennzahlen, insbesondere einer guten Eigenkapitalausstattung" gemäß dem Jahresabschluss 2021 wird in dem für die Öbfa bestimmten Brief berichtet (der auch an die Banken ging), und auch, dass "in einer kurzen Zeitspanne zusätzlicher Liquiditätsbedarf schlagend wurde, der auf der Gasbeschaffungsseite nicht kompensiert werden konnte" – und dass "diese Terminkontrakte unter anderem der Sicherung der Erfolgsrechnung der Fernwärme dienen".

Massive Preiserhöhungen

Der Hinweis auf die Fernwärme ist aufschlussreich, gilt diese mit ihrem massivem Strombedarf im Winter (der mit Gaskraftwerken gedeckt wird) doch als eine der Hauptursachen für die damalige Schieflage. "Aufgrund der behördlich genehmigten Erhöhung der Fernwärmepreise von 92 Prozent hat sich die wirtschaftliche Situation zwischenzeitlich in diesem Bereich entspannt", heißt es im KPMG-Papier vom 30. August. Damals waren zudem bereits massive Erhöhungen für Strom und Gas der Haushalts- und Gewerbekunden auf Schiene, die mit dem neuen Tarif "Optima entspannt" einhergingen.

Negative Marktwerte

Der Jahresabschluss 2021 von Wien Energie, der bereits von steigenden Energiepreisen und Margin-Sicherungen gekennzeichnet war, zeichnet freilich ein anderes Bild. Das Eigenkapital betrug (zuzüglich Investitionszuschüssen) 803 Millionen Euro, und der Marktwert der derivativen Finanzinstrumente war bereits mit 474 Millionen negativ – diese hatten sich verachtzehnfacht und summierten sich auf die Hälfte des Eigenkapitals. Der Gesamtcashflow war mit 219 Millionen Euro negativ. Unschwer zu erkennen, dass im Sommer 2022 die deutlich höheren Mittel für Margins in Milliardenhöhe eher nicht verfügbar gewesen wären, zumal die Preisrally an Strom- und Gasmärkten bereits im September 2021 begonnen hatte.

Bilanz "nicht aussagekräftig"

Wien-Energie-Sprecherin Lisa Grohs weist diese "stichtagsbezogene Betrachtung der Bilanz" als "nicht aussagekräftig" zurück. Dem Anstieg auf Passivseite stehe ein höheres Umlaufvermögen gegenüber. Der Anstieg der kurzfristigen Verbindlichkeiten sei in den gestiegenen Energiepreisen begründet, ein Rückschluss auf die Verfügbarkeit von Geldern für Sicherheitsleistungen oder ein Bewertungsverlust könne nicht abgeleitet werden. Die Geschäfte wurden zum Stichtag ja nicht real aufgelöst, sondern "im Übrigen in der Zukunft erfolgreich abgeschlossen".

Langer Atem

Das freilich setzt langen Atem voraus – und dass das Unternehmen nicht vorzeitig zum Schließen gezwungen wird. Dann nämlich würden die Verluste sofort schlagend.

Da das Risiko immenser Sicherungsleistungen während der Laufzeit der Termingeschäfte nicht gebannt ist (im Fall erneuter Verwerfungen bei Strom- und Gaspreisen), gehen Finanzierungsexperten davon aus, dass die kreditgebenden Banken für allfälligen, über die neue Kreditlinie hinausgehenden Bedarf auf eine Nachschussverpflichtung seitens der Stadt Wien pochen werden. (Luise Ungerboeck, 22.2.2023)