Am 8. April 2010 unterzeichneten die beiden Präsidenten Barack Obama und Dmitri Medwedew in der Prager Burg den New-Start-Vertrag.

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Der Paukenschlag kam zum Schluss von Wladimir Putins Rede zur Lage der Nation: Russland werde den Atomwaffen-Abrüstungsvertrag New Start aussetzen, kündigte der Kreml-Chef am Dienstag an. Und schon am Mittwoch hat das Parlament in Moskau diesen Schritt abgesegnet. Aber was ist der New-Start-Vertrag überhaupt? Und welche Konsequenzen wird Russlands Aussetzen haben?

Frage: Was ist New Start?

Antwort: Im Kalten Krieg kamen die beiden Supermächte USA und Sowjetunion ab Ende der 1960er-Jahre überein, sich auf eine Beschränkung der Atombomben und ihrer Trägersysteme zu verständigen. Dies führte nach oft sehr zähen Verhandlungen zu diversen Verträgen wie Salt I, Salt II, Start I und ab 1993 zwischen den USA und Russland zu Start II, Start III, Sort und schließlich New Start.

New Start wurde am 8. April 2010 von den damaligen Präsidenten Barack Obama und Dmitri Medwedew in der Prager Burg unterzeichnet. Der Vertrag trat am 5. Februar 2011 in Kraft und war zehn Jahre gültig. Unter Präsident Donald Trump verringerten die USA ihre Abrüstungsabkommen mit Russland, auch Gespräche über eine Verlängerung von New Start scheiterten. Erst sein Nachfolger Joe Biden und Wladimir Putin konnten sich Anfang 2021 im letzten Moment auf eine Verlängerung von New Start einigen, die bis 2026 gilt.

Es ist das einzige noch verbliebene große Abkommen zur Rüstungskontrolle zwischen den USA und Russland und begrenzt die strategischen Atomwaffenarsenale beider Länder auf jeweils 1.550 einsatzbereite Sprengköpfe und 800 Trägersysteme – wobei von Letzteren maximal 700 im Einsatz sein dürfen.

Zudem ist geregelt, dass Washington und Moskau Informationen über ihre strategischen Atomwaffenarsenale austauschen. Kontrolliert werden soll die Einhaltung durch jeweils 18 Inspektionen vor Ort pro Jahr.

Frage: Was genau hat Putin angekündigt?

Antwort: Im Wortlaut Folgendes: "Die Situation nach 1945 hat sich verändert. Es ist inakzeptabel, die US-Weltordnung in ihren eigenen egoistischen Interessen umzugestalten. Unter diesen Bedingungen muss ich erklären, dass Russland seine Teilnahme am New-Start-Vertrag aussetzt." Am Mittwoch hat das russische Parlament ein entsprechendes Gesetz verabschiedet, wobei Russland-Experte Gerhard Mangott von der Universität Innsbruck via Twitter erklärte, dass diese Suspendierung so im Vertrag gar nicht vorgesehen ist. Dazu ergänzt er: "Die Gefahr ist real, dass der Vertrag auch daran scheitern wird."

Frage: Welche Konsequenzen wird das haben?

Antwort: Mittel- und langfristig könnte, wie Mangott eben geschrieben hat, der New-Start-Vertrag dauerhaft der Vergangenheit angehören. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow erklärte am Mittwoch, die erste Reaktion des Westens auf Putins Ankündigung zeige keine Verhandlungsbereitschaft. Auf die Frage, unter welchen Bedingungen Russland zu dem Vertrag zurückkehren könnte, sagte Peskow lediglich, alles hänge von der Position des Westens ab.

Kurzfristig wird sich relativ wenig durch die Suspendierung Russlands ändern. Die Vor-Ort-Inspektionen sind bereits seit März 2020 ausgesetzt. Lange Zeit waren internationale Reisebeschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie der Grund dafür, seit vergangenem Jahr hat Russland Verhandlungen über eine Wiederaufnahme der Inspektionen immer wieder verschoben. Der Grund: Moskau beklagte, wegen der Sanktionen infolge des Ukraine-Kriegs keine Inspektionsreisen in die USA mehr machen zu können, und strich seinerseits US-Kontrollen in seinem Land.

Neu ist, dass nun der Daten- und sonstige Informationsaustausch wegfallen werden. Das bedeutet jedoch nicht, dass Russland nun sein Atomwaffenarsenal aufrüstet. Das russische Außenministerium erklärte am Dienstagabend, man werde sich trotz Suspendierung von New Start weiter an die Begrenzung seines Atomwaffenarsenals im Rahmen des Abkommens halten.

Frage: Wie viele Atomwaffen haben Russland und die USA überhaupt?

Antwort: Die beiden Länder verfügen über mehr als 90 Prozent aller Atomwaffen weltweit. Laut dem Stockholmer Friedensinstitut Sipri besaß Russland im Jänner 2021 6.255 Sprengköpfe, die USA hatten 5.550.

Die Federation of American Scientists gibt in ihrem "Nuclear Notebook" einen Überblick über die Zahl der Atomwaffen weltweit. Demnach besitzt Russland aktuell 5.977 nukleare Sprengkörper (USA 5.428). Etwa 1.500 davon, also rund ein Viertel, gelten als ausgemustert, sprich, sie sind intakt, aber schon länger nicht mehr im Dienst, und sie sollen demontiert werden. Weitere rund 1.500 Atomwaffen sind strategischer Natur und für Interkontinentalraketen, Langstreckenbomben sowie U-Boote gedacht. Sie sind vor allem für einen Kriegsfall mit den USA gedacht.

Schließlich gibt es noch etwa 2.900 taktische Atomwaffen. Sie haben einen kleineren Gefechtskopf und können auf Trägersysteme mit geringer oder mittlerer Reichweite montiert werden. Diese taktischen Atomwaffen werden unter anderem in einem Lager nahe der ukrainischen Grenze aufbewahrt.

Frage: Steigt damit die Gefahr eines russischen Nuklearschlags in der Ukraine?

Antwort: Dmitri Medwedew, Unterzeichner des New-Start-Vertrags und nun Vizechef des russischen nationalen Sicherheitsrates, erklärte am Mittwoch: "Wenn die USA eine Niederlage Russlands wollen, dann haben wir das Recht, uns mit jeder Waffe zu verteidigen – auch mit der atomaren". Es ist nicht das erste Mal, dass Russland im Zuge des Ukraine-Kriegs Nuklearwaffen ins Spiel bringt. Wladimir Putin hat immer wieder mehr oder weniger offen damit gedroht.

In seiner Rede zur Lage der Nation sprach er davon, dass "es nun um die staatliche Existenz Russlands gehe". Genau dies wird in der russischen Nukleardoktrin als eine Bedingung dafür genannt, Atomwaffen einsetzen zu dürfen. Nichtsdestotrotz halten Experten und Expertinnen einen russischen Nuklearschlag in der Ukraine für nicht sehr wahrscheinlich – aber auch nicht für unmöglich. (Kim Son Hoang, 22.2.2023)