Georg Friedrich Händels Oratorium "Belshazzar" wird im Museumsquartier zur Wasserschlacht.

Foto: APA/WERNER KMETITSCH

Er ist ein echter Ungustl, ein Ekel, ein Popoausgang: selbstverliebt, versoffen und sexfixiert (Neigungsgruppe hemmungsloser Sadist). Soll es geben. Blöd nur für die Umwelt, wenn so jemand an den Schalthebeln der Macht sitzt.

In Marie-Eve Signeyroles Inszenierung von Händels Belshazzar ist die Titelfigur nicht nur König von (einem sehr heutigen) Babylonien, sondern auch Herr eines allumfassenden Wassermonopols. Die Restwelt dürstet bei Temperaturen über 45 Grad, während Belshazzar Menschen foltert oder publicitygeil im königshauseigenen Royal TV seinen neuesten Tonträger präsentiert.

Orgien und Gewalt

Doch nach Orgien und Gewaltexzessen bringt den Wüstling schließlich ein Triummulierat, ein weibliches Dreigespann, zur Räson und zu Tode: neben seiner Mutter Nitocris sind das Cyrus, der Führer der Perser, und der Prophet Daniel. Beide Partien werden, wie bei der Londoner Uraufführung des Oratoriums anno 1745, von Frauen gesungen und von Signeyrole auch als solche dargestellt – nicht als sogenannte Hosenrollen. Führt also nur weibliche soft power in eine kooperative Zukunft ohne Krieg und Habgier? Zumindest diese Produktion des Theater an der Wien im Museumsquartier meint: oui.

Weich, familienfreundlich und kantenbefreit sind die Klangwelten, die Christina Pluhar mit ihrem Ensemble L’Arpeggiata zu den szenischen Geschehnissen beisteuert. Auf (männliche?) Rauheit und rhythmische Straffheit wartet man vergebens; der milde, wärmende Sound des Ensembles, der handzahme Beat und die Herzenswärme erinnern an die musikalische Untermalung von Jugendgottesdiensten in den 1980er Jahren: "Danke für diesen guten Morgen…" messianische Milde für einen Kracher aus dem Alten Testament.

Babylonischer Königshof

Aber bei einigen Nummern passt das eh gut, und zwei Kontrabässe sorgen für eine sinnliche Tiefe im Ensembleklang. Der Arnold Schönberg Chor (Einstudierung: Viktor Mitrevski) passt sich an und singt am Montagabend (leider) fast durchgehend schmeichelweich.

Das Geschehen des Oratoriums wurde von Signeyrole so virtuos wie ästhetisch gewinnend in Szene gesetzt: Die Bühne (Fabien Teigné) ist horizontal in drei Segmente unterteilt; im mittleren – wundervoll, wie der Franzose hier die Bühnentiefe ausnützt! – spielt sich das abgehobene, dekadente Treiben am babylonischen Königshof ab, welches man im oberen Segment zeitgleich als Reality-Soap mitverfolgen kann. Da gibt es fesselnde Nahaufnahmen zu entdecken und neue Blickwinkel; aus dem anonymen Kollektiv des Chors werden so nahbare, verzweifelte Menschen wie du und ich. Wie Teigné arbeitet auch Kostümbildnerin Yashi mit erlesenen Materialien: In Summe ergeben sich so oft sehr schöne Bilder.

Kühles Elfenbein

Jeanine De Bique als Nitocris – ihr Sopran erinnert an eine Säule aus kühlem Elfenbein – wird hierbei oft zum Blickfang, wenn sie in noblen Roben und zwischen edlen Möbelstücken unter dem wüsten Treiben ihres Sohnes leidet oder mit Daniel(a) turtelt.

Deutlich wärmer der Alt von Eva Zaïcik, die hier als prophetische Biotechnologin in einem immergrünen Labor an der ewigen Zukunftsfähigkeit ihrer königlichen Freundin arbeitet. Die mit Mikroport singende Vivica Genaux punktet als Cyrus mit energischer Tiefe und wirbelwindschnellen Koloraturen, als Anführerin einer Gruppe von Klimaaktivisten weiß die US-Amerikanerin aber vokal nur laue Kampfeskraft zu entfachen.

Kraftvoll und edel der Bass von Michael Nagl als verzweifelter, zu den Persern übergelaufener Gobrias, dessen Sohn von Belshazzar brutal gefoltert und ermordet wird. Und Robert Murray gibt den Belshazzar als Rampensau im Glitzermantel, rockt die Bühne mit lustvoller Selbstentäußerung und schaut dabei aus wie der böse Bruder von Robert Habeck. Der britische Tenor singt quecksilbrig schillernd und höhensicher, stürzt aber am Ende nichtsdestotrotz in die ewige Verdammnis. Doch dem Wasserkönig weint auf der Bühne der Halle E keine eine Träne nach.