Wie viel Schlaf man braucht, hängt von vielen Faktoren ab – etwa Alter, Geschlecht, Jahreszeit sowie der körperlichen oder kognitiven Aktivität.

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Idealerweise 10.000 Schritte gehen, mindestens zwei Liter Wasser trinken, drei Mahlzeiten essen und acht Stunden schlafen: Manche Gesundheitsmythen halten sich hartnäckig, werden geradezu als allgemeingültige Gesundheitsregeln betrachtet. Dabei kann man vieles nicht so pauschal sagen, auch die Sache mit dem Schlaf nicht.

"Jeder Mensch hat einen individuellen Schlafbedarf und eine individuelle Schlafenszeit", stellt Melanie Pesendorfer klar. Sie ist Schlafcoachin und hilft Menschen dabei, besser ein- und durchzuschlafen und mehr Entspannung zu finden. Viele Klientinnen und Klienten, die zu ihr kommen, erzählen in einem Erstgespräch besorgt, dass sie früher viel länger schlafen konnten und jetzt statt acht oft nur noch sechs Stunden schlafen könnten, berichtet sie. Das zeigt sich auch gesamtgesellschaftlich: In Summe hat sich die Schlafdauer in der Bevölkerung, etwa durch Digitalisierung und Stress, reduziert, was in weiterer Folge zu vermehrten Erschöpfungszuständen und anderen Krankheiten geführt hat. "Generell schlafen die Österreicher und Österreicherinnen unter der Woche zu wenig und holen das Defizit meist am Wochenende nach", sagt Pesendorfer.

Ausreichend Schlaf gelingt nur mit Entspannung. Wer sich in Sachen Schlaf selbst unter Druck setzt, erreicht genau das Gegenteil, warnt die Expertin: "Je mehr Druck auf den Schlaf ausgeübt wird, desto weniger gelingt er." Ohne Entspannung kein Schlaf – und Entspannung gelingt besser, je mehr man über den Schlaf weiß, ist die Expertin überzeugt. Denn wenn man weiß, wie sich das Schlafverhalten über die Jahre hinweg verändern kann, muss man sich auch nicht unter Druck setzen, wenn man heute etwas weniger schläft als noch vor ein paar Jahren.

Schlafbedarf verändert sich

Wenngleich beim Schlaf vieles individuell ist, eines lässt sich mit Sicherheit sagen: Mit dem Alter nimmt der Schlafbedarf ab. "Babys, Kinder und junge Menschen brauchen deutlich mehr Schlaf als erwachsene und ältere Menschen", sagt Pesendorfer. Das liegt daran, dass sich die körperlichen Prozesse im Laufe des Lebens verändern. "Bis zum 25. Lebensjahr etwa ist der Körper noch voll im Aufbau, und gerade im Schlaf passieren Dinge wie Zellerneuerungen und Wachstumsprozesse."

Im Alter hingegen kann sich der Schlaf abermals ändern, weil der Körper dann etwa gewisse Hormone nicht mehr produzieren muss. Der Nachtschlaf wird kürzer, dafür wird man untertags müder und hält mitunter einen Mittagsschlaf. Der Schlaf wird also polyphasisch auf mehrere Stücke aufgeteilt. "Wer früher sechs bis sieben Stunden geschlafen hat, kommt im Alter womöglich auch mit fünfeinhalb Stunden gut aus", veranschaulicht die Expertin.

Auch Menschen brauchen Winterschlaf

Es gibt Kurzschläfer, die mit fünf Stunden auskommen, und Langschläfer, die bis zu zwölf Stunden pro Tag schlafen. "Wichtig ist nur, seinen eigenen Bedarf herauszufinden", sagt Pesendorfer. Am besten gelinge das im Urlaub, sagt sie, wenn keine Termine und kaum Verpflichtungen anstehen und man so lange schlafen kann, bis man sich wirklich ausgeschlafen fühlt. Das ist dann der ungefähre Schlafbedarf.

Ungefähr deshalb, weil der Bedarf aufgrund anderer Faktoren noch schwanken kann, etwa je nach Jahreszeit. "Weil unsere innere Uhr auch von Tageslicht abhängig ist, brauchen wir im Sommer weniger Schlaf als im Winter, im Schnitt etwa eine halbe bis Dreiviertelstunde." Mit der inneren Uhr meint Pesendorfer den sogenannten zirkadianen Rhythmus, der entscheidet, wann uns welche Aktivität besonders gut gelingt. Machen Sie gerne gleich morgens nach dem Aufstehen eine Runde Sport? Können Sie sich erst nachmittags so richtig gut konzentrieren? Sind Sie abends gerne unterwegs, oder gehen Sie lieber allein kreativen Tätigkeiten nach? Vereinfacht gesagt geht es um die Frage: Ist man Morgenmensch oder Nachteule?

Chronotyp bestimmen

Manche werden um 21 Uhr müde, andere erst nach Mitternacht. Jeder sollte den eigenen Rhythmus gut kennen, rät Pesendorfer. Im amerikanischen Modell unterscheidet man vier sogenannte Chronotypen: der Bär, der als unkompliziert gilt und auch tagsüber mal eben für ein paar Minuten schlafen kann. Den Delfin, der einen leichten Schlaf hat und schnell von Licht oder Geräuschen geweckt wird. Der Löwe ist der Frühaufsteher und der Wolf der Nachtaktive. In europäischen Fachkreisen hält man hingegen nach wie vor an den Lerchen und den Eulen fest, also Morgen- beziehungsweise Nachtmenschen. Das liegt daran, dass das amerikanische Modell auch Charaktereigenschaften in die Chronotypbestimmung mit einfließen lässt, dieser Zusammenhang ist aber nicht gut erforscht.

Mittlerweile gibt es auch solide Tests, mit denen man den eigenen Chronotyp bestimmen kann (etwa hier nach dem amerikanischen Modell). "Je besser wir unseren Tagesrhythmus, also Essen, Arbeiten, Schlafen, Sporteln und so weiter, nach unserem Chronotyp ausrichten, desto gesünder sind wir", ist Pesendorfer überzeugt. Und dann ist es natürlich auch davon abhängig, wie man die Wachzeit gestaltet. "Wer körperlich oder kognitiv sehr aktiv war, braucht mehr Schlaf zum Regenerieren. Sowohl sportliche Aktivität als auch Gehirnaktivität erfordern Ruhepausen."

Bei den meisten erwachsenen Menschen ergibt sich aus all diesen Faktoren ein Schlafbedarf von fünf bis zehn Stunden – und ja, die allermeisten pendeln sich bei rund acht Stunden ein, aber etwas mehr oder weniger ist völlig normal, beruhigt die Expertin. Wichtig ist nur, den eigenen Bedarf zu kennen und so gut es geht auch einzuhalten. Und sich nicht wegen falscher Gesundheitsmythen zu zwingen, noch länger zu schlafen oder verfrüht aus dem Bett zu quälen. (poem, 28.2.2023)