Gerade Streamingdienste wie Netflix und Youtube verbrauchen viele Daten. Sollen die Betreiber dafür zusätzlich zu den Kunden auch noch zahlen? Diese Idee wird in der EU nun jedenfalls ernsthaft ins Spiel gebracht.

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Eines ist unumstritten: Es sind die Dienste von großen Internetkonzernen, die den Löwenanteil des weltweiten Datenverkehrs ausmachen. Das Videostreaming von Angeboten wie Netflix, Youtube oder auch Amazon Prime Video fällt dabei besonders stark ins Gewicht. Nun könnte man meinen, dass das durchaus im Interesse der Telekomunternehmen ist – profitieren diese doch indirekt von dieser Entwicklung, da man mit dem Hinweis auf ebensolche Dienste auch den eigenen Kundinnen und Kunden teure Breitbandtarife verkaufen kann.

Könnte man meinen, sehen die Telekomfirmen aber anders. Diese trommeln derzeit nämlich – einmal mehr – für eine Art Datenmaut. Die Idee: Große Firmen wie Google oder Netflix sollen sich künftig finanziell an der Erhaltung der Netze beteiligen müssen. Unterstützung dafür hat man auf Ebene der EU-Politik gefunden, und dort wird es nun langsam konkreter.

Konsultation

Am Donnerstag hat EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager den Start der "öffentlichen Konsultation" zu dem Thema verkündet. Konkret bedeutet dies zunächst einmal, dass man unterschiedliche Meinungen einholen will, das aber mit dem erklärten Ziel, "eine fairere Verteilung der Last" zu finden. Bis zum 19. Mai können nun Stellungnahmen abgegeben werden.

Sofortiger Widerspruch

Diese Gelegenheit nimmt denn auch gleich eines der größten IT-Unternehmen der Welt zum Anlass, um seine Sicht der Dinge zu vermitteln: Google hält wie zu erwarten herzlich wenig von solchen Ideen.

So verweist man darauf, dass es eben "Content Provider" wie Google seien, die erst die Nachfrage nach mehr Bandbreite und neuen Standards wie 5G generieren. Insofern sieht man im Status quo eine symbiotische Beziehung, von der beide Seiten profitieren.

Investitionen

Vor allem aber will man das Bild, dass große Tech-Konzerne nicht in Infrastruktur investieren würden, korrigieren. Dass Firmen wie Google oder Microsoft über die gesamte Welt verteilt Rechenzentren anbieten, entlaste die Infrastruktur der Telekomanbieter massiv. Auch eigene Unterseekabel betreiben diese Unternehmen oftmals, um den Datentransfer zwischen den Kontinenten zu verbessern.

Das solle man bei Gesamtrechnungen über Investitionen ebenso wenig übersehen wie einen anderen Umstand: nämlich dass es die großen Plattformbetreiber sind, die mit den von ihnen entwickelten Betriebssystemen und Anwendungen – etwa Browsern – das Geschäft von Internetanbietern überhaupt erst ermöglichen. Alles Dinge, für deren Entwicklung große Telekomkonzerne ebenfalls nichts gezahlt haben, in die andere aber in Summe Billionen Dollar gesteckt haben.

Die Kosten wachsen nicht

Und noch eine weitere Behauptung der Provider hält Google für einen Mythos, nämlich dass mehr Internettraffic auch mehr Kosten für die Betreiber verursacht. Ganz im Gegenteil zeige etwa eine aktuelle Analyse der Consultingfirma Analysys Mason, dass die Kosten seit 2018 weitgehend unverändert geblieben sind.

Auch die Darstellung, dass der Internetverkehr derzeit rasant zunehme und deswegen dringend gehandelt werden müsse, sei falsch. Zwar wachse der globale Datentraffic tatsächlich weiter, die Kurve flache sich aber seit Jahren ab – mit der Ausnahme eines pandemiebedingten Ausschlags nach oben im Jahr 2020.

Entsprechend hätten die Provider eigentlich eher das Problem, dass es durch die Abflachung immer schwerer werden könnte, die Kunden noch zu teureren Tarifen zu bewegen, da sie im Alltag keinen großen Unterschied mehr feststellen.

Vorgeschichte

Ganz neu sind die Pläne zur Einführung einer Datenmaut zur Finanzierung des Netzausbaus übrigens nicht. Bereits vor rund einem Jahrzehnt war dieses Thema erstmals aufgekommen, über die Jahre wurde es immer wieder einmal von den Telekomfirmen aufgewärmt, das aber lange ohne relevante politische Unterstützung. Das scheint sich nun geändert zu haben.

Was sich hingegen nicht geändert hat, ist die negative Beurteilung solcher Pläne durch Grundrechtsorganisationen. Diese sprechen von einer Bedrohung des freien Internets und im Speziellen der Netzneutralität, die eine Ungleichbehandlung des Datenverkehrs explizit verbietet. Diesen Befürchtungen versucht Vestager den Wind aus den Segeln zu nehmen, die Netzneutralität sei unantastbar. Wie das mit der Idee einer Art Datenmaut zusammenpassen soll, bleibt vorerst aber unklar.

Auf beiden Seiten abkassieren

Kritiker verweisen zudem darauf, dass es nicht nachvollziehbar sei, wieso die Telekomkonzerne doppelt kassieren sollten – einmal von "Big Tech", einmal von den Kunden. Zumal all diese zusätzlichen Kosten im Endeffekt ohnehin wieder auf die Konsumenten abgewälzt werden würden.

Die Riege der Kritiker ist dabei groß, sie reicht von den betroffenen Techfirmen über Datenschutzorganisationen und angesehenen Technikverbänden bis zu BEREC, der Telekom-Regulierungsbehörde der EU, selbst. Diese sprach schon vor einigen Monaten in einer vorläufigen Beurteilung davon, dass ein solcher Eingriff nicht nur nicht gerechtfertigt sei, sondern dem Internet sogar schweren Schaden zufügen könnte. Zudem verweist man darauf, dass es ja erst die Kunden sind, die den Traffic verursachen, nicht die Dienste für sich genommen.

Südkorea als umstrittenes Vorbild

Die Telekomunternehmen verweisen hingegen auf ein Vorbild: In Südkorea gibt es bereits eine ähnliche Lösung namens Sending Party Network Pays (SPNP). Ob das eine gewinnbringende Strategie ist, ist aber wieder eine andere Frage – hat die Einführung von SPNP doch dazu geführt, dass sich manche Inhalteanbieter aus dem Land zurückgezogen und andere, darunter Facebook, ihre Angebote verschlechtert haben, um die eigenen Kosten zu senken.

Klar ist jedenfalls, dass es um sehr viel Geld geht. Der Telekom-Lobbyverband ETNO (European Telecommunications Network Operators) erhofft sich etwa Zahlungen in der Höhe von 20 Milliarden Euro durch die großen Anbieter wie Netflix oder Meta und Google an europäische Provider, falls eine solche Regelung beschlossen wird.

Ergebnisoffen?

Bei der EU gibt man sich angesichts der massiven Opposition nun betont zurückhaltend. So streicht Vestager heraus, dass die Konsultation natürlich "ergebnisoffen" sei, also noch keine Entscheidung darüber getroffen wurde, ob eine solche Datenmaut überhaupt eingeführt wird. (Andreas Proschofsky, 23.2.2023)