Mit dem japanischen Rollenspiel "Octopath Traveler 2" setzt Square Enix erneut auf klassische Spielmechanik und Retro-Charme.

Foto: Square Enix

Manche Kämpfe von "Octopath Traveler" auf der Nintendo Switch sind noch so gut in Erinnerung geblieben, als wären sie erst gestern ausgetragen worden. Der Blick auf den Kalender zeigt, dass dieses Gestern eines japanischen Rollenspiels aber schon mehr als vier Jahre zurückliegt. "Octopath Traveler" konnte dank spezieller Aufmachung und fesselnder Spielmechanik jedenfalls auf Anhieb einen bleibenden Eindruck hinterlassen und hat einen festen Platz als ganz besonderes Genre-Highlight gebucht.

Umso spannender die Frage nach der Fortsetzung, die ab sofort für Nintendo Switch, Playstation 4/5 und PC erhältlich ist. DER STANDARD hat sich angesehen, wie Entwickler Square Enix mit "Octopath Traveler 2" die undankbare Bürde eines hervorragenden Vorgängers geschultert hat.

Keine echte Fortsetzung

Genau genommen trifft es die Bezeichnung Fortsetzung nicht, weil das Rollenspiel "Octopath Traveler 2" inhaltlich nicht auf seinen Vorgänger aufbaut. Vielmehr sind es die Pfade oder eben Schicksale acht bislang unbekannter Reisender, die sich kreuzen und erneut eine märchenhaft-naive Heldenwelt mit einer gehörigen Prise 16-Bit-Nostalgie nacherzählen. Wer also noch nie zuvor mit dem Franchise in Berührung gekommen ist, kann auch genauso gut hier beginnen. Die Furcht, Anspielungen zu verpassen, kann jedenfalls beiseitegelegt werden.

Wer Teil eins noch nicht gespielt hat, kann dennoch hier beginnen. Die beiden Spiele hängen inhaltlich nicht zusammen.
Foto: Square Enix

Besser noch: Ist man generell unsicher, ob man mit nachfolgender Erzählform und dem zugehörigen Spielprinzip klarkommt, sollte man die kostenlose Mobile-Version "Octopath Traveler: Champions of the Continent" für iOS oder Android ausprobieren. Den üblichen Schwachsinn, den Mobile Games für gewöhnlich mit sich bringen, muss man dabei freilich ausblenden, der grundlegende Ablauf des Spielprinzips hinter "Octopath Traveler" lässt sich dennoch gut herausfiltern.

Acht Abenteuer in einem

Zu Beginn werden Spielerinnen und Spieler vor die Wahl gestellt, einen der insgesamt acht Charaktere als "Haupthelden" auszuwählen. Mit dieser Person beginnt das Abenteuer und sie bleibt auch für den weiteren Spielverlauf einziger fester Bestandteil einer Kampftruppe aus bis zu vier Abenteurern. Im Verlauf des Spiels kreuzen sich die Wege der unterschiedlichen Protagonisten und so entfaltet sich ein Geflecht aus Geschichten, das theoretisch nach Belieben, aber tatsächlich recht vorgegeben entwirrt werden darf. Doch dazu später mehr.

Acht mehr oder weniger unterschiedliche Motive schweißen die Truppe zusammen: Ist es beim Magier Osvald Rache, die seine Geschichte vorantreibt, ist es beim Krieger Hikari der Familienzwist um die Thronfolge. Das Wirken des Priesters Temenos erscheint ein wenig unbeholfen, wird aber charmant als Kriminalfall verpackt, während das Leben der Diebin Torché beispielsweise vom Streben nach bedingungsloser Freiheit dominiert wird.

Die erzählerische Stärke der Geschichten schwankt in diesem Zusammenhang etwas stärker als beim Vorgänger. Konnten die Geschichten der Tänzerin oder der Apothekerin bis zum Schluss nicht fesseln, weil sie eher so dahinplätscherten, waren andere Erzählungen weitaus epischer angelegt oder überraschten mit einer unerwarteten Wendung. Jene Geschichten, die mehr in die Tiefe gingen, gaben unterm Strich dennoch das Gefühl, dass man sich für den zweiten Teil mehr Mühe für einen vielfältigen Mix aus Abenteuern gegeben hat.

Das Artdesign von "Octopath Traveler 2" mit seinem Retro-Charme ist eine Klasse für sich.
Foto: Square Enix/Screenshot

Hinzu kommt das erste große Novum im Vergleich zum Vorgänger: Jeweils zwei Charaktere können in neuen Doppelhandlungssträngen ein gemeinsames Abenteuer abseits der eigentlichen Hauptquests erleben, was die Verhältnisse der einzelnen Reisenden zueinander näher beleuchtet und somit gekonnt mehr inhaltliche Tiefe verleiht. Die Truppe wirkt dadurch im Verlauf des Abenteuers noch stärker verbunden.

Neue Welt, alte Pfade

Das bewährte Spielprinzip von "Octopath Traveler" ist auch im zweiten Teil grundsätzlich beibehalten worden. Zwar ist die Spielwelt jetzt grob auf einen östlichen und westlichen Kontinent aufgeteilt, aber man klappert mit seiner Truppe weiterhin mehr oder weniger vorgegebene Pfade ab. Praktisch: Bevor man ein neues Areal betritt, erfährt man anhand eines Gefahrenlevels, ob die Truppe den bevorstehenden Kämpfen überhaupt gewachsen ist.

Gleichzeitig untergräbt das aber auch den "offenen" Charakter, den die Spielwelt eigentlich hätte. Sind die Abenteurer nicht auf dem empfohlenen Level für ein Areal oder für eine darin befindliche Hauptquest, können sich selbst erfahrene Spieler die Zähne daran ausbeißen. Gar so frei läuft das Erkunden also nicht ab, die Entwickler lassen nur sehr wenig Spielraum zu.

Die stimmungsvoll in Szene gesetzten Spielareale enthalten manchmal auch geheime Passagen.
Foto: Square Enix

Auf den Pfaden selbst stößt man zufallsgeneriert auf Gegner, spricht mit nichtspielbaren Charakteren, hebt Schatzkisten und entdeckt Dungeons. Den einzigen Freiraum, den die Entwickler dem Spieler in diesem Zusammenhang zugestehen, ist es "geheime" Passagen zu finden, die perspektivenbedingt durch eine optische Täuschung verborgen sein mögen.

Hat man so eine Stelle einmal entdeckt, bekommt man schnell ins Gefühl, solche Stellen im Spiel lesen zu können. Abseits breiter Trampelpfade finden sich auch wieder Tempel, in denen man besondere "EX"-Fähigkeiten der Charaktere erlangt, die besonders im späteren Verlauf des Spiels das Leben geschundener Abenteurer etwas vereinfachen.

Wie Tag und Nacht

Ein interessantes Novum im zweiten Teil ist der Wechsel der Tageszeiten, den Spieler per Knopfdruck aktivieren können. Tag und Nacht wirbeln dabei nicht nur die Geschehnisse auf den Spielarealen durcheinander, sie eröffnen den Charakteren neue Interaktionsmöglichkeiten im Kampf und auch abseits der Schlachtfelder.

Dort sind weiterhin zahlreiche Städte als Knotenpunkte vorzufinden, die diesmal endlich über die Karte direkt angesteuert werden können, wenn man sie zuvor schon einmal besucht hat. Sie sind nicht nur essenziell, um die Handlungen der Charaktere voranzutreiben. Hier lässt sich auch das hart verdiente Gold aus den Abenteuern jenseits der Stadtmauern gegen Ausrüstung und Proviant eintauschen.

Vollständigkeitsfanatiker greifen an dieser Stelle auch die Nebenquests nicht spielbarer Charaktere auf. Da diese Aufgaben recht generisch angelegt sind, verpasst man außer einem Anlass zum Grinden nicht viel. Unabhängig davon wird man mit "Octopath Traveler 2" ohnedies wochenlang beschäftigt sein. Eine Gesamtspielzeit von 100 Stunden und mehr sollte jedenfalls nicht schwer fallen.

Auf in den Kampf

Das locker von der Hand gehende System rundenbasierter Kämpfe wurde weitgehend beibehalten. Ein wesentlicher Eckpfeiler bleibt dabei das Erkennen gegnerischer Schwächen, um die Verteidigung der Feinde brechen zu können. Dadurch verhindert man die Handlungsfähigkeit des Gegenübers in der aktuellen und nachfolgenden Runde und erhöht so mit dem Plus an eigenen Aktionen die Chancen auf einen Sieg. Ein weiteres bekanntes Charakteristikum sind sogenannte Boost-Punkte, die Charaktere pro Runde aufladen und dann gesammelt aktivieren können, um mehrfach hintereinander oder mit einem stärkeren Einzelschlag angreifen zu können.

Neu im Repertoire von "Octopath Traveler 2" ist die sogenannte latente Kraft der Charaktere, die sich mit den Treffern auflädt, die sie einstecken. Ist diese Kraft vollständig geladen, lässt sich eine überdurchschnittlich mächtige Aktion in der jeweiligen Runde aktivieren. In Kombination mit den traditionellen Elementen japanischer Rollenspiele ergibt das ein vielseitiges Kampfsystem, das sich weitgehend auf alte Stärken stützt, aber wie auch an zuvor erwähnten Aspekten des Spiels um sinnvolle Noten bereichert worden ist.

Märchenhaft schön

Die optische Aufmachung von "Octopath Traveler" ist auch im zweiten Teil wieder zum Dahinschmelzen. Gerade weil sich der damals noch frische Mix aus 2D und 3D über die Jahre (auch in anderen Spielen) als eigener Stil etabliert hat, hat man sich aber eben schon ein bisschen dran gewöhnt. Und doch kann man sich auch nach all den Jahren nicht am liebevoll gestalteten Artdesign der Charaktere und der Spielumgebungen sattsehen. Im Test auf der Playstation 5 poppten traumhaft aufgehübschte Märchenwelt-Dioramen auf, die an eine 16-Bit-Perfektion erinnern wollen, welche es so nie gab.

Die optische Aufmachung von "Octopath Traveler 2" lässt keine Wünsche offen.
Foto: Square Enix

Der orchestrale Soundtrack tut sein Übriges, um in die Spielwelt hineingezogen zu werden. Das reicht von klassisch-dramatischen bis hin zu jazzig-lässigen Noten. Manchmal hat man auch den Eindruck, als wäre New-Age-Musikerin Enya beratend zu Seite gestanden, wirklich rausgerissen wird man von der Musik aber bei keiner Gelegenheit. Nur die Hintergrundmusik bei Bosskämpfen an sich hätte etwas abwechslungsreicher gestaltet werden können. Nach etlichen Stunden Spielzeit neigt sie ein wenig dazu, zu nerven.

Fazit: Solider Nachschub

Spielerisch gibt es nicht viel, was man an "Octopath Traveler 2" kritisieren könnte. Entwickler Square Enix hat sich weitgehend auf die Stärken des Vorgängers gestützt, und mit viel Fingerspitzengefühl dennoch zahlreiche Neuerungen eingewoben, die sinnvoll erscheinen. Unterm Strich bleibt auch die Fortsetzung eine unwiderstehliche Mischung aus raffiniertem Kampfsystem, aus der Nostalgie zu einer 16-Bit-Ära, die es so nie gab – und nicht zuletzt auch aus einem Eskapismus in märchenhaft-naive Heldengeschichten.

Geschichten, die manchen Spielerinnen und Spielern vielleicht zu naiv sein könnten. Denn so sehr man sich Mühe gegeben hat, manchen Charakteren mehr Tiefgang zu verleihen, so sehr wirken manche Szenen trotz ihrer sonst eindrucksvollen Aufmachung inhaltlich deplatziert. Geschmackssache ist bei genauerer Betrachtung zudem der Umstand, dass die Spielwelt nicht so offen ist, wie es sich manche Spieler erwartet haben. Wer über diese kleinen Mängel hinwegsehen kann, wird über dutzende Stunden hinweg dennoch mit einem erstklassigen Vertreter des Genres belohnt. (Benjamin Brandtner, 24.2.2023)