Mykyta Poturajew kritsiert: "Russland will keinen Dialog zu diesem Zeitpunkt."
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STANDARD: Sie sind für die OSZE-Wintertagung nach Wien gekommen, nun aber nicht bei der Parlamentarischen Versammlung dabei. Wieso?

Poturajew: Wir sind hierhergekommen, um alles daranzusetzen, dass die OSZE reformiert wird. Und eben um eine Debatte über diese Reform zu starten. Wir treffen uns mit Delegationen, beraten, sprechen. Das Ziel ist es, einen Mechanismus zu schaffen, der der OSZE die Möglichkeit gibt, auf grundlegende Verletzungen des Helsinki-Protokolls zu reagieren. Dieser Mechanismus soll flexibel sein und auch effektiv. Und: Dieser Mechanismus soll nicht auf Russland oder Belarus zugeschnitten sein; es soll sich um einen Mechanismus handeln, mit dem auf Länder Einfluss genommen werden kann, die einen potenziell gefährlichen Weg gehen. Das ist es. Ich bin sicher, dass das so etwas wie eine zweite Geburt der OSZE werden kann.

STANDARD: Würden Sie denn sagen, dass die OSZE in ihrer derzeitigen Form dysfunktional ist?

Poturajew: Ja. Aber: Auf der Ebene der Instrumente ist die OSZE effektiv. Also was Beobachtermissionen, Wahlbeobachtung, Ermittlungsprozesse und so weiter angeht. Dabei ist die OSZE sehr effizient. Aber: All diese Aktivitäten können von einem Land blockiert werden. Russland hat im Vorjahr das Budget der OSZE blockiert und in diesem Jahr wieder. Und wer sagt, dass man für all diese Instrumente der OSZE eine ganze Organisation braucht? Man könnte diese Instrumente auch direkt finanzieren.

Eine Organisation sollte in der Lage sein, ihre fundamentalen Prinzipien, Werte und Regeln verteidigen zu können. Wenn sie das nicht kann: Was ist der Sinn ihrer Existenz? Und für uns selbst: Welchen Sinn macht es, in einer solchen Organisation Mitglied zu sein? Die OSZE hat sich immer als Dialogplattform verstanden – vor allem zwischen Konfliktparteien. Damit wurde auch die Vergabe der Visa an die russische Delegation begründet.

Die Russen haben ihre Propagandashow hergebracht,
und sie benutzen all die ehrwürdigen Parlamentarier,
die hier sind, als Publikumspuppen in ihrer Muppet-Show.

STANDARD: Die russische Delegation ist hier, es sind ihr Visa ausgestellt worden. Macht das Sinn?

Poturajew: Nein. Sie haben ihre Propagandashow hergebracht, und sie benutzen all die ehrwürdigen Parlamentarier, die hier sind, als Publikumspuppen in ihrer Muppet-Show. Das klingt lustig, ist es aber nicht. Dialog hat diesen Krieg nicht verhindert. Und das ist der Grund, wieso wir eine Reform wollen. Die OSZE und ihre Vorgängerorganisation (u. a. KSZE, Anm.) haben die Gefahr eines Atomkrieges reduziert – weil sie genau dafür geschaffen wurden. Heute muss ich die OSZE auf andere Gefahrenfelder ausrichten.

STANDARD: Der Ruf nach Dialog mit Russland kommt immer wieder auf. Ist ein solcher derzeit möglich?

Poturajew: Russland will keinen Dialog zu diesem Zeitpunkt. Sie werden dazu bereit sein, wenn Präsident Wladimir Putin oder jemand anderer im Kreml verstanden hat, dass sie diesen Krieg verloren haben.

STANDARD: Dem gegenüber steht ein Sieg der Ukraine. Wie sieht ein solcher Sieg aus? Wie definiert er sich?

Poturajew: Ich glaube, die Bedingungen sind sehr einfach: Dass Russland zu einem Staat wird, der nicht mehr die Fähigkeit hat, in andere Staaten einzumarschieren – Nachbarn oder nicht. Das ist ein gutes Fundament für einen stabilen Frieden mit Russland. (Stefan Schocher, 23.2.2023)