Viel Arbeit sorgt heutzutage nicht mehr für viel Wohlstand.
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Sich durch Arbeit Wohlstand schaffen zu können werde immer schwieriger, sagt Barbara Prainsack. Daher brauche es dringend neue Versprechen an junge Menschen, argumentiert die Politikwissenschafterin, die ein Buch zur Zukunft der Arbeit geschrieben hat. In "Wofür wir arbeiten" (Brandstätter-Verlag) beschreibt sie, wie sich unser Verständnis von Arbeit verändern müsste und wie sich der demografische Wandel, Digitalisierung und Automatisierung auf die Arbeitswelt auswirken werden.

STANDARD: Der "Economist" titelte, dass uns eine "Worker's World" bevorsteht – also eine Arbeitswelt, in der nicht mehr die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, sondern die Beschäftigten den Ton angeben. Stimmt das denn?

Prainsack: In einigen Bereichen ist das sogar schon der Fall. Überall dort, wo Fachkräftemangel herrscht, müssen sich Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber um potenzielle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bemühen – nicht umgekehrt. Sie müssen ihnen nicht mehr nur genügend Gehalt bezahlen, sondern auch – im Rahmen des Möglichen – mehr örtliche und zeitliche Flexibilität ermöglichen. Viele haben in Pandemiezeiten das Homeoffice zu schätzen gelernt und wollen nun zeitweise auch zu Hause arbeiten.

Das betrifft aber hauptsächlich die privilegierten Gruppen. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass alles künftig von den Beschäftigten bestimmt werden wird. Dort, wo die Arbeitskraft leichter ersetzbar ist, sieht die Situation anders aus. In manchen Bereichen ist örtliche Flexibilität auch gar nicht möglich – in der Elementarpädagogik beispielsweise oder im Supermarkt. Dort kann man nicht im Homeoffice arbeiten. Und dort würde ich heute nicht von einer "Worker's World" sprechen.

STANDARD: Es gibt aber sehr wohl auch Berufe, die eine Qualifikation benötigen und in denen künftig noch mehr Menschen gebraucht werden – etwa die Pflege. Dennoch verbessern sich hier die Arbeitsbedingungen nicht. Wieso?

Prainsack: Dafür gibt es unterschiedliche Erklärungen. Eine wichtige ist sicherlich, dass es sich häufig um Bereiche handelt, in denen überwiegend Frauen tätig sind. Die Pflege oder die Betreuung von Kindern oder älteren Menschen wird zum Teil noch immer als sogenannte Frauenarbeit gesehen. Schon sehr lange – und auch heute noch – galt der gesamte Bereich der Sorgearbeit im ökonomischen Sinne als weniger wert. Das spiegelt sich auch in unserer Sprache wider, wenn wir zum Beispiel sagen: "Diese Frau arbeitet nicht", wenn man eine "Hausfrau" meint. Natürlich arbeitet sie, aber eben für ihre Familie und im Haushalt.

Auch heute noch gilt Sorgearbeit im ökonomischen Sinne als weniger wert. Das spiegelt sich auch in unserer Sprache wider, wenn wir zum Beispiel sagen: "Diese Frau arbeitet nicht", wenn man eine "Hausfrau" meint.

Pflegearbeit ist zudem sehr stark mit der Erwartung einer weiblichen Hingabe verknüpft. Sie soll eine selbstverständliche und schöne Arbeit sein, die sie gerne tut – und die auch deshalb nicht fair entlohnt wird. Für unsere Gesellschaft wird das zu einem riesengroßen Problem werden.

STANDARD: Sie meinen: Irgendwann wird niemand mehr in der Pflege arbeiten wollen?

Prainsack: Man sieht das ja bereits jetzt in Ländern, die in dieser Entwicklung schon weiter fortgeschritten sind. Im Vereinten Königreich etwa gibt es massive Notstände in der Gesundheitsversorgung. Das liegt einerseits natürlich am Brexit, andererseits an den Arbeitsbedingungen. Wenn das Gesundheitspersonal unter so schlechten Bedingungen arbeiten muss, kann man die Gesundheitsversorgung irgendwann nicht mehr sicherstellen. Das ist ein Szenario, das wir uns sicher nicht wünschen.

STANDARD: Was müsste passieren, damit das nicht passiert?

Prainsack: Entlohnung und Arbeitsbedingungen müssten sich verbessern. Bleiben wir beim Beispiel Pflege: Die ist eine Arbeit, die viele als sehr sinnvoll erleben – aber wegen der Arbeitsbedingungen hören sie auf. Irgendwann ist bei vielen der Punkt gekommen, wo sie sagen: Ich kann nicht mehr! Ich habe das Gefühl, dass ich nur gestresst bin und der Aufgabe nicht gerecht werden kann. Die Leute möchten dann weg aus einem Beruf, den sie eigentlich gerne machen.

Barbara Prainsack skizziert in ihrem neuen Buch "Wofür wir arbeiten" eine gerechtere Arbeitswelt.
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STANDARD: An einer Stelle Ihres Buches skizzieren Sie eine Utopie: Kein Job soll mehr so schlecht bezahlt werden, dass Menschen ihn nur machen, weil sie sonst nicht leben könnten.

Prainsack: Es gibt Berufe, aus denen Menschen abwandern, wenn sie es sich nur irgendwie leisten können. Diese Berufe sind entweder demütigend, total sinnentleert oder gefährlich – wie im klassischen Beispiel der Toilettenreinigung. Diese Arbeit sollte so weit wie möglich automatisiert werden. Und dann gibt es die Tätigkeiten, die nur deshalb so belastend sind, weil die Bedingungen schlecht sind. Dort gilt es die Ursachen dafür zu beheben: die Bezahlung verbessern oder die Arbeitszeiten verändern. Die Pflege haben wir bereits genannt, aber auch die Gastronomie oder die Pädagogik wären solche Bereiche.

STANDARD: Sie zeigen auf, dass Kindergartenpädagoginnen und -pädagogen ein Drittel von einem Chef eines kleinen oder mittelständischen Unternehmens verdienen – und argumentieren, dass das nicht gerecht sei. Was wäre das gerechte Verhältnis?

Prainsack: Ich sage nicht, dass alle dasselbe verdienen müssen. Aber dass die Schere so weit aufgeht, scheint mir nicht gerechtfertigt. Alle Menschen müssen genug haben, um ein würdevolles Leben führen zu können. Und es kann schon gar nicht sein, dass Menschen, die Vollzeit erwerbsarbeiten, nicht wissen, wie sie ihr Leben finanzieren sollen. In den 1960er-Jahren verdiente ein CEO 20-mal so viel wie ein "normaler" Mitarbeiter. Heute verdient er bis zu 300-mal so viel. Mit höherer Produktivität, einer längeren Ausbildung oder größerer Verantwortung können solche riesigen Unterschiede nicht gerechtfertigt werden.

STANDARD: Sie sprechen in Ihrem Buch auch den Punkt an, dass man heute durch mehr Arbeit nicht mehr unbedingt zu mehr Wohlstand kommt. Demotiviert das die Menschen?

Prainsack: Wir alle haben gesagt bekommen: Wenn du fleißig bist in der Schule, einen Beruf lernst und arbeitest, bist du gut abgesichert. Dieses Wohlstandsversprechen stimmt nicht mehr. Viele Junge haben das inzwischen realisiert – und natürlich demotiviert sie das. Sie sagen: Die Dinge, die uns wichtig sind, können wir uns durch Arbeit nicht schaffen – dann setzen wir eben neue Prioritäten. Und im öffentlichen Diskurs werden sie dann als die faulen Jungen hingestellt.

STANDARD: "Hedonisten" war auch ein verwendeter Begriff ...

Prainsack: Natürlich gibt es Hedonisten unter den Jungen – es gibt Hedonisten in jedem Alter. Aber dass die Jugend zu verwöhnt und zu hedonistisch wird, dass es den Leuten zu gut geht, stimmt einfach so nicht. Das immer wieder zu behaupten ist Teil einer Strategie der Beschämung, die dazu dient, Leute still und klein zu halten. Aber wie soll das jemand motivieren, als faul bezeichnet zu werden? Wir müssen schon aufpassen, dass wir nicht die Jungen für etwas beschämen, das die Gesellschaft verursacht hat. Wenn man als normaler Beschäftigter 400.000 Jahre bräuchte, um sich das Vermögen der Heidi Horten zu erarbeiten, kann das frustrieren. Nicht nur die Jungen übrigens.

Wenn man als normaler Beschäftigter 400.000 Jahre bräuchte, um sich das Vermögen der Heidi Horten zu erarbeiten, kann das frustrieren. Nicht nur die Jungen übrigens.

STANDARD: Was wären denn neue Versprechen?

Prainsack: Was sich viele jüngere Menschen wünschen: Sie wollen gut und auf Augenhöhe arbeiten. Sie möchten nicht, dass die Arbeit ihr Leben bestimmt, sondern gut in ihr Leben passt. Auch etwas Sinnvolles zu tun ist für die Jungen wichtig, sie wollen etwas zur Gesellschaft beitragen.

STANDARD: In einem STANDARD-Interview sagte der Anthropologe James Suzman kurz zusammengefasst: Wir arbeiten mehr, als wir eigentlich müssten – und zwar in unnötigen Jobs. Was meinen Sie dazu?

Prainsack: Das passt zu dem Argument, das der US-Anthropologe David Graber mit seinem Begriff der "Bullshit-Jobs" machte. Er meinte damit Berufe, die Menschen beschäftigt halten, gleichzeitig aber nichts zur Gesellschaft beitragen. Die Frage ist ja wirklich, ob es gewisse Berufe überhaupt braucht. Braucht man zum Beispiel wirklich Menschen, die mit Finanzprodukten handeln? Das macht zwar einige andere sehr reich, birgt aber große Risiken für die Gesellschaft. Zum Beispiel macht es bestimmte Dinge noch teurer und zieht Geld aus der realen Wirtschaft ab. Manche Jobs richten mehr Schaden an, als sie nutzen.

Es gibt Tätigkeiten, die Menschen nur machen, weil man es immer schon so gemacht hat. Es wäre an der Zeit, dass wir uns überlegen: Wofür tun wir diese Arbeit eigentlich? Weil sie da ist oder weil es sie wirklich braucht?

David Graber meinte aber auch Berufe, bei denen gilt: Wenn ich morgen nicht zur Arbeit gehe und niemandem geht etwas ab, dann habe ich einen Bullshit-Job. Daher ist die Theorie auch problematisch, denn: Was wäre mit einer Designerin? Wenn sie eine Woche nicht zur Arbeit kommt, fällt das womöglich nur ihren engsten Kolleginnen oder Kollegen auf. Aber der eigentliche Wert ihrer Arbeit zeigt sich erst später. Hier muss man also vorsichtig sein. Nichtsdestotrotz gibt es Tätigkeiten, die Menschen nur machen, weil man es immer schon so gemacht hat. Es wäre an der Zeit, dass wir uns überlegen: Wofür tun wir diese Arbeit eigentlich? Weil sie da ist oder weil es sie wirklich braucht? (Lisa Breit, 13.3.2023)