Ein aggressiver Sexist will Jordan freilich nicht sein, lieber verweist er auf "biologische Realitäten".

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Wenn Jordan Peterson auftritt, kommen Tausende. Aktuell füllt er Säle in den USA und in Kanada, für seinen Auftritt in Toronto sind nur noch wenige Tickets zu haben – 336 kanadische Dollar kostet das günstigste. Der klinische Psychologe spricht über sein Buch "Beyond Order: 12 More Rules for Life", es ist die Fortsetzung seines internationalen Bestellers "12 Rules for Life".

Petersons Karriere als öffentliche Figur startete 2016, als er gegen ein in Kanada geplantes Gesetz protestierte. Die 2017 verabschiedete Bill C-16 soll Transpersonen umfassender vor Diskriminierung schützen. Peterson sah die Meinungsfreiheit gefährdet und ließ sich als Märtyrer feiern, der eine – imaginierte – Gefängnisstrafe in Kauf nehmen würde. Medieninterviews folgten, sein Youtube-Kanal explodierte. Rund sechseinhalb Millionen Follower vereint der ehemalige Universitätsprofessor dort, auf traditionelle Medien ist er längst nicht mehr angewiesen.

Kampf dem Marxismus

Inhaltlich liefert Peterson wenig Neues, er reüssiert auf jenem Feld, das schon andere Konservative und Rechte beackert haben: jenem des Abwehrkampfs gegen sogenannte Social-Justice-Warriors, die angeblich unsere Gesellschaft und vor allem die Universitäten unterwandern.

Der Marxismus liegt in allem falsch, weiß Jordan Peterson. Und nicht nur das: In seinem neuen Mantel, dem Postmodernismus, drohe er den Westen mit seinem Konzept der Gleichstellung in die Tyrannei zu führen. Patriarchat, die Unterdrückung von Minderheiten, weiße Privilegien: Konstrukte, die dazu dienen, die Erzählung aufrechtzuerhalten. Und dagegen gelte es anzukämpfen.

Anders als bisweilen skurrile Figuren aus der Rechten oder aggressive konservative Kommentatoren punktet Jordan Peterson mit dem Habitus des reflektierten Universitätsprofessors. Der 60-Jährige tritt stets in gut geschnittenen, etwas altmodischen Anzügen auf, gibt sich überlegt und als interessierter Zuhörer. Das kommt gut an bei seinem Publikum, das vor allem aus jungen, weißen Männern besteht, die ihn geradezu verehren. Für sie und ihr Leiden an der modernen Gesellschaft verdrückt er in Interviews auch gerne einmal eine Träne.

Hummergesellschaft und Frauen mit Kinderwunsch

"Seine Inszenierung hat etwas Sektenartiges", sagt der Sozialpsychologe und Männlichkeitsforscher Rolf Pohl. Sein Auftreten – und damit sein Geschäft – habe Peterson perfektioniert. Junge, verunsicherte Männer hole er im Gefühl ab, zu kurz zu kommen. "Und dann bietet er ihnen einfache Lösungen an, die Halt geben", sagt Pohl im STANDARD-Gespräch. Geschlechterverhältnisse stehen im Zentrum der Arbeiten Petersons, eine Krise der Männlichkeit beklagt er ebenso wie junge Männer, die von der Gesellschaft – insbesondere von Feministinnen – nicht ausreichend wertgeschätzt würden.

Männliche Privilegien und Patriarchat: bloße Konstrukte. Hierarchien seien völlig natürlich, ist Peterson überzeugt. Das erklärt er gerne am Beispiel der Hummer, die mehr Serotonin ausschütten, wenn sie andere dominieren. "Steh aufrecht und mach die Schultern breit", lautet eine seiner simplen Regeln, die einen dominanten Habitus verspricht. Überhaupt gelte es eifrig an sich selbst zu arbeiten, das eigene Haus in Ordnung zu bringen.

Junge Männer, die seine Ratschläge befolgen, würden vor allem eines erreichen: mehr Attraktivität für Frauen. Frauen schließlich suchten bevorzugt nach dominanten Partnern für die Fortpflanzung, Alphamännern, die gelernt haben, mit Risiken umzugehen.

Gefährliche weibliche Macht

Ein aggressiver Sexist will Jordan freilich nicht sein, gerne verweist er auf "biologische Realitäten" und Ergebnisse seiner psychologischen Forschung. So habe Peterson selbst etwa beruflich höchst erfolgreiche Frauen gecoacht, Fakt sei aber: Mit einer Berufskarriere würden Frauen schlicht nicht glücklich, spätestens mit Ende zwanzig dominiere der Kinderwunsch.

Auch große Macht gesteht Peterson Frauen zu, als Frau jung und schön zu sein sei gar die "höchstmögliche Form von Wohlstand", erklärt er in einem Interview: "Würden Sie eine superreiche, 80 Jahre alte Frau fragen, ob sie 99 Prozent ihres Reichtums abgibt, um den Körper einer 20-Jährigen zu haben, würde sie das mit sehr großer Wahrscheinlichkeit tun."

Diese weibliche Macht birgt auch Gefährliches in sich. Das Weibliche stehe bei Peterson symbolisch für das Chaos und das Bedrohliche, erklärt Rolf Pohl, das Männliche hingegen schaffe Ordnung und sei dem Weiblichen klar überlegen. "Diese Botschaft ist für sein männliches Publikum attraktiv", sagt der Männlichkeitsforscher. "Und letztendlich kommt Peterson immer auf denselben Punkt zurück: Es geht darum, die Fortpflanzungsattraktivität zu erhöhen."

Rechter Dammbruch

Familie und Beziehung sind in Petersons Denken stets heterosexuell, auch mit transfeindlichen Aussagen machte er wiederholt auf sich aufmerksam. Von Twitter wurde er vorübergehend verbannt, da er in einem Tweet Schauspieler Elliot Page attackiert und seine Transition verurteilt hatte. Zurück auf die Plattform brachte ihn ein anderer selbsterklärter Kämpfer für die Meinungsfreiheit: Elon Musk.

Seine Professur an der Universität von Toronto hat Peterson inzwischen zurückgelegt – nicht ohne einen Wut-Brief zu hinterlassen. In der "National Post" wetterte er, dass Diversität, Inklusivität und Gleichheit die Universitäten zerstöre und seine männlichen, weißen, heterosexuellen Studenten inzwischen benachteiligt seien.

Wo Peterson nun konkret politisch zu verorten sei, ist umstritten. Angesprochen auf die Alt-Right-Bewegung reagiert der Bestsellerautor in der Regel empört – und grenzt sich vehement von Konzepten wie der White Supremacy ("weiße Überlegenheit") ab. Auch konservative Kommentatoren springen gerne für Peterson in die Bresche: Der Psychologe sei ein wichtiger, konservativer Denker, der das Publikum sogar davor bewahre, nach rechts abzudriften.

Im Februar zirkulierten indes neue Videos eines Gesprächs im Netz. Ein positiver Nebeneffekt der sexuellen Revolution sei es gewesen, dass Vergewaltigung stärker als ein Verbrechen gegen die Frau und weniger als ein Eigentumsdelikt wahrgenommen wurde, sagt darin Autorin Louise Perry. "Das ist kompliziert", entgegnet Peterson. Wenn Vergewaltigung ein Verbrechen ist, dann brauche es vielmehr etwas, das die Männer auf die Seite der Frau bringe. Um wirklich abzuschrecken, müsse klargestellt sein: "Du erzürnst all ihre männlichen Beschützer." (Brigitte Theißl, 27.2.2023)