Anja Reschke rechnete in ihrer Sendung mit dem "Stern" und den "Hitler-Tagebüchern" ab.

Foto: Screenshot/ARD-Mediathek

Die gefälschten "Hitler-Tagebücher" liegen seit dem Jahr 1983 weggesperrt in einem Safe des deutschen Magazins "Stern". Das Medium war damals dem Fälscher Konrad Kujau und dem Reporter Gerd Heidemann aufgesessen. Nach der Veröffentlichung unter dem Titel "Hitlers Tagebücher entdeckt" wurde aus dem vermeintlichen Scoop ein großer Medienskandal. 40 Jahre später haben die deutsche Moderatorin Anja Reschke und ihr Team alle 60 Bände gelesen und ausgewertet. Die Rechercheergebnisse veröffentlichte Reschke am Donnerstag in ihrer ARD-Sendung "Reschke Fernsehen".

Absicht dahinter

Mithilfe einer künstlichen Intelligenz konnte die gefälschte Handschrift Hitlers in ein Transkript übersetzt werden, heißt es. Damit werde erstmals in vollem Umfang deutlich, in welcher Absicht die Fälschungen verfasst wurden und wie der "Stern" bereit war, die NS-Geschichte neu zu deuten und zu verharmlosen, informierte der NDR, der die Sendung produzierte. Der "Stern" hatte damals behauptet, dass die Geschichte des Dritten Reiches und die Biografie Adolf Hitlers in großen Teilen neu geschrieben werden müssten.

Neun Tage nach der Veröffentlichung kam die Wahrheit ans Licht. Ein Super-GAU für das Magazin. Die "Tagebücher" wurden weggesperrt. Laut dem "Stern", um Missbrauch zu verhindern. Laut Kritikerinnen und Kritikern, weil der "Stern" die Peinlichkeit nicht noch größer machen wollte. Das Magazin hatte die 62 Bände gefälschter Tagebücher für 9,3 Millionen D-Mark erworben.

"Ausdruck von Holocaust-Leugnung"

Der Politikwissenschafter Hajo Funke von der Freien Universität Berlin, der für den NDR die "Tagebücher" gelesen und das Projekt wissenschaftlich begleitet hat, sieht einen klaren Akt von Geschichtsfälschung. "Diese Tagebücher sind Ausdruck von Holocaust-Leugnung. Das ist eindeutig. Sie wollten Hitler von den schlimmsten Verbrechen der Nazis freisprechen", wird Funke zitiert.

Die Historikerin Heike Görtemaker, die ebenfalls Teil des wissenschaftlichen Beirats war, sagt: "Der fiktive Hitler hat mit nationalsozialistischen Gewaltverbrechen nichts zu tun. Er ist sogar derjenige, der versucht, andere seiner Parteigenossen im Zaum zu halten." Görtemakers Fazit: "Kujau erfindet hier eine positive Hitler-Figur."

Juden zur Auswanderung bewegen

So schreibt der vermeintliche Hitler am 31. Juli 1941, man solle die Juden zur schnellen Auswanderung bewegen oder ihnen "einen sicheren Landstrich in den besetzten Gebieten suchen, wo sie sich selbst ernähren und verwalten können". Und am Tag der Wannsee-Konferenz, dem 20. Jänner 1942, an dem die Deportation der gesamten jüdischen Bevölkerung Europas zur Vernichtung organisiert wurde, schrieb Kujau: "Erwarte die Meldungen der Konferenz über die Judenfrage. Wir müssen unbedingt einen Platz im Osten finden, wo sich diese Juden selbst ernähren können."

Weil Kujau Hitlers Handschrift imitieren wollte, liegen die "Tagebücher" in der alten deutschen Schreibschrift vor. Die Texte seien schwer leserlich oder, wie Reschke in ihrer Sendung sagte: "Sauklaue."

Tief im neonazistischen Umfeld

Wie die neuen Recherchen belegen, war der Fälscher der "Hitler-Tagebücher" tiefer in ein neonazistisches Umfeld verstrickt als bislang bekannt, so der NDR. So hatte Kujau bis in die frühen 80er-Jahre hinein Kontakte zum Umfeld des Neonazi-Führers Michael Kühnen, der Leiter der später verbotenen Aktionsfront Nationaler Aktivisten (ANS) war. Kujau war offenbar eng verbunden mit dem Pressesprecher Kühnens, Lothar Zaulich, mit dem er gemeinsam in den 70er-Jahren Hitler-Fälschungen verkaufte.

Mit ihrer Rechercheshow "Reschke Fernsehen" legt Reschke ein beachtliches Recherchetempo hin. Erst vergangene Woche brachte die Moderatorin unter dem Titel "Bumsen, belügen, wegwerfen" die Missbrauchsvorwürfe gegen Ex-"Bild"-Chef Julian Reichelt aufs Tapet. (red, 24.2.2023)