Herbert Kickl und seine FPÖ stehen in Umfragen bei rund 28 Prozent. Kickls Anhänger sagen: Nach der Wahl komme man an ihm nicht vorbei. Seine Kritiker halten ihn für den "pragmatisierten Oppositionsführer".
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Er betritt die Bühne, über Lautsprecher schallen dramatische Klänge in die Halle, die Stimmung ist aufgeheizt. "Herbert, Herbert", skandiert die Menge. Kickl trägt Jeans, ein weißes Hemd und blaues Sakko, er grinst. Der FPÖ-Chef ist dort angekommen, wo er hinwollte. Zumindest fast. Herbert Kickl stellt sein Bier auf den Tisch neben dem Rednerpult und legt los. Es ist seine erste Aschermittwochsansprache in Ried, wo die FPÖ jedes Jahr traditionell eine bierselige Veranstaltung abhält. Früher hat Kickl diese Reden für andere geschrieben, jetzt hält er sie selbst.

Furze und Hetze

Zuerst witzelt er – über so Themen wie Furze. Heutzutage müsse man ja schon fürchten, dafür als Umweltsünder gebrandmarkt zu werden. Höhö. Das kommt im Saal ganz gut an. Dann aber teilt Kickl aus – mit deftigen Sprüchen, untergriffig, herabwürdigend. Bundespräsident Alexander Van der Bellen sei "der größte Staatsgefährder", der "des Amtes enthoben" gehöre, poltert der Freiheitliche.

Van der Bellen hatte angekündigt, Kickl nicht automatisch den Regierungsbildungsauftrag zu erteilen, sollte die FPÖ bei der nächsten Wahl Erste werden. Niemand könne ihn stoppen, ruft Kickl in die Menge. Die SPÖ nicht, die ÖVP nicht, und auch nicht "diese Mumie in der Hofburg". Die Menge grölt. Es werde nicht mehr lange dauern, dann kehre er, Kickl, als Kanzler nach Ried zurück.

Aber ist das realistisch? Wer würde mit Kickl regieren? Wie ist die FPÖ derzeit aufgestellt? Und: Gibt es in der Partei auch noch andere starke Männer und Frauen – mit eigenen Agenden und Interessen, die Kickl vielleicht sogar gefährlich werden könnten?

Herbert Kickl hat es seinen Kritikern zuletzt jedenfalls ziemlich gezeigt. Viele politische Beobachter in und außerhalb der FPÖ haben ihn und seine Strahlkraft falsch eingeschätzt. Die meisten dachten, mit dem Haudegen Kickl sei nicht viel zu gewinnen. Er sei zu radikal, könne nicht in die Mitte strahlen. Kickl, das sei der Mann für den "Narrensaum", wie es manche nannten. Ein FPÖ-Chef, der nur die eingefleischten extremen Rechten überzeugt. Spätestens am 5. Dezember des Vorjahres war diese Analyse überholt: Da erschien die erste Wahlumfrage, in der die FPÖ führte. Seither waren die Freiheitlichen in jeder einzelnen Sonntagsfrage auf Platz eins, bis heute. Derzeit steht Kickls FPÖ bei rund 28 Prozent.

Harte Rhetorik als Problem

"Ich habe einmal gesagt, der Norbert Hofer ist zu weich für die Führung, der Manfred Haimbuchner will nicht, und der Dritte, Kickl, ist kein Sympathieträger", sagt Andreas Mölzer, freiheitlicher Chefideologe von einst. "Diesen Befund muss ich revidieren." Kickl sei nicht "der super Bursch wie Haider", auch kein "guter Kamerad wie Strache", Kickl sei anders, eine "erratische Persönlichkeit, hartleibig, einer, der seine Stärke aus Krisen zieht".

Ein Problem macht Mölzer jedoch weiterhin aus: "Diese Härte und seine Rhetorik können aber auch schaden, nämlich dann, wenn er irgendwann für eine Koalition einen Partner sucht."

Haimbuchner galt als Kronprinz, will aber Landeschef bleiben.
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Die Situation stellt sich aktuell folgendermaßen dar: SPÖ, Grüne und Neos schließen die FPÖ als Koalitionspartner aus. Die ÖVP tut das nicht hochoffiziell, doch kaum jemand in der Volkspartei hält es für möglich, dass Karl Nehammer nach der nächsten Wahl – die geplant im Herbst 2024 stattfindet – mit Kickl koaliert. Kickls Anhänger sagen: "Mal abwarten." Und es stimmt natürlich, dass nach einer Wahl oft alles etwas anders aussieht als davor. Kickl soll kürzlich in kleiner Runde zu ein paar Parteifreunden gesagt haben, dass sich nur bloß niemand wegducken soll, wenn er dann auf der Suche nach freiheitlichen Ministern sein wird. Kickl selbst geht davon aus: Wenn er die Wahl gewinnt, kommt man an ihm nicht vorbei.

Sein Erfolg zeichnet sich nicht nur in Umfragen ab, die Wahl in Niederösterreich war der Beweis, dass die FPÖ derzeit ordentlich Auftrieb hat. Das macht Kickl zum unumstrittenen Parteichef und sicheren nächsten Spitzenkandidaten. Dennoch hat er Feinde in seiner Partei – und Kickl selbst wisse das nur zu gut. "Seine größte Angst ist ein Putsch, auch wenn der sich aktuell überhaupt nicht abzeichnet", sagt ein Freiheitlicher, der Kickl nicht besonders schätzt. "In der Geschichte der FPÖ gab es noch nie einen friedlichen Obmannwechsel. Auch Kickl hat Hofer entfernt. Seither muss er damit leben, dass ihm irgendwann das gleiche Schicksal drohen könnte." Doch fast 30 Prozent in Umfragen seien "nicht der Stoff, aus dem Revolutionen gemacht sind".

Wendig "wie ein Wiesel"

Für den Akademikerball Freitagabend hat sich Kickl erst gar nicht angekündigt. Er sei "kein großer Ballgeher", ließ er schon in der Vergangenheit wissen. Der Akademikerball gilt als internationales Vernetzungstreffen von Rechten und Rechtsextremen. Ausgerichtet wird er von der Wiener FPÖ – jener Landesgruppe, in der die größten internen Kritiker Kickls vermutet werden. Es ist aber auch ein Burschenschafterball – und Kickl ist kein Burschenschafter. Im bürgerlich rechten Flügel der FPÖ ist Kickl gar als "Sozialist" verschrien. "Authentisch ist er in seiner Migrationskritik und bei Sozialthemen, ansonsten ist er in seinem politischen Denken wendig wie ein Wiesel", sagt ein blauer Stratege. Von seinen Vorgängern unterscheide Kickl, dass er der erste FPÖ-Obmann sei "der dem Establishment in keinster Weise mehr gefallen möchte".

Kickls strategisches Mantra lautet sinngemäß: Wir da unten gegen die da oben – gegen das System, die Medien, die "rot-links-grüne" Elite. Aber: Wie passt diese Erzählung damit zusammen, dass er den Hauptsitz der politischen Elite – das Bundeskanzleramt – einnehmen möchte? "Womöglich will er gar nicht wirklich regieren", mutmaßt einer seiner Kritiker. "Er ist doch der pragmatisierte Oppositionsführer." Dass Kickl jemand anderem aus der FPÖ den Vortritt lassen könnte, damit die Freiheitlichen ohne Kickl einen Koalitionspartner finden, hält jedenfalls fast jeder in der FPÖ für ausgeschlossen. "Da steht dem Herbert sein Ego im Weg", sagt ein Freiheitlicher, der ihn gut kennt.

Aber wer sind nun eigentlich die anderen wichtigen und mächtigen Player in der FPÖ?

Manfred Haimbuchner

Oberösterreichs stellvertretender Landeshauptmann Manfred Haimbuchner war lange so etwas wie der mächtigste parteiinterne Kritiker Kickls – und dessen größte Konkurrenz. Mit Kickls Kür zum blauen Frontmann war Haimbuchner alles andere als glücklich. "Kickl müsse wissen, wo sein Platz ist", ätzte Haimbuchner damals. Und auch von Kickls Untergriffen distanzierte er sich: "Provokation macht Politik lächerlich", befand der 44-jährige Welser. Das war vor zwei Jahren.

Salzburgs Landesparteichefin Marlene Svazek war eine der ersten Unterstützerinnen Kickls. Ende April hat sie eine Wahl zu schlagen.
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Mittlerweile ist Haimbuchners Kritik verstummt. Kickl und Haimbuchner, das werde zwar keine enge Freundschaft mehr, tönt es aus Oberösterreich. Dafür seien beide zu sehr "Alphatier". Doch man habe sich über die vergangenen Monate hinweg angenähert – und Kickls Erfolg spreche für sich.

Hinzu kommt: Im engsten Umfeld Haimbuchners rechnet niemand damit, dass der Oberösterreicher jemals sein Heimatbundesland verlassen wolle. Er sehe sich nicht als Bundesparteichef in Wien. Schon zu türkis-blauen Zeiten soll er ein Ministeramt ausgeschlagen haben, das würde er auch in Zukunft, heißt es. Haimbuchner, der kürzlich zum zweiten Mal Vater wurde, verfolgt politisch ein einziges Ziel: nach Jörg Haider der zweite freiheitliche Landeshauptmann zu werden.

Dominik Nepp

Die Wiener Blauen rund um Dominik Nepp befinden sich "in offener Opposition zu Herbert", wie ein Freiheitlicher es nennt. Nepp hat das so nie offen ausgesprochen, doch dem 42-Jährigen wird nachgesagt, einer der schärfsten Kickl-Kritiker zu sein – die Abneigung beruht wohl auf Gegenseitigkeit. Kickl hatte einst versucht, seine Vertraute Dagmar Belakowitsch als Landesparteichefin in der Hauptstadt zu installieren. Was ihm nicht gelang, Nepp blieb.

Vergangenen August ist dann eine anonyme Anzeige aufgetaucht, in der etlichen Blauen der Wiener FPÖ Förderbetrug über Parteivereine vorgeworfen wird. Es gibt nicht wenige Freiheitliche, die hinter dieser Intrige Parteifreunde oder gar Kickl selbst vermuten.

Manchen in der Partei gilt Nepp als möglicher "Kronprinz", nachdem Haimbuchner kein Interesse zeigt. Nepp hat bei der letzten Wien-Wahl allerdings ein katastrophales Ergebnis eingefahren: Die FPÖ kam im Jahr nach Ibiza gerade einmal noch auf 7,75 Prozent – ein Minus von mehr als 20 Prozentpunkten.

Marlene Svazek

Ende April wird nach Niederösterreich und Kärnten dann in Salzburg gewählt. Und die FPÖ-Landesparteichefin Marlene Svazek strebt eine Regierungsbeteiligung an. Wenn der blaue Run anhält, könnten die Freiheitlichen in Salzburg die SPÖ womöglich auf Platz drei verbannen. Svazek ist 30 Jahre alt und gilt schon länger als blaues Fräuleinwunder. Sie arbeitete für den Europaabgeordneten Harald Vilimsky, später wurde sie zur Generalsekretärin im Bund. Dann kehrte sie nach Salzburg zurück. Seither fällt Svazek österreichweit vor allem durch ihre Fernsehauftritte in politischen Diskussionssendungen auf.

Nepp und seine Landesgruppe sind parteiinterne Kritiker Kickls.
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Kickl gegenüber gilt Svazek als tief loyal. Sie war unter den Ersten, die sich für Kickl als Parteichef ausgesprochen hatten.

Mario Kunasek

Eigentlich wäre der Grazer Mario Kunasek wie gemacht für höhere Weihen in der FPÖ – speziell im Fall einer künftigen Regierungsbeteiligung. Immerhin war der heute 46-Jährige einst Verteidigungsminister in der türkis-blauen Regierungsperiode, wenn auch nur für kurze Zeit. Nach der Implosion der Koalition durch die Ibiza-Affäre kehrte er in die Steiermark zurück und wurde dort Landeschef der Blauen.

Im November 2021 kam die Finanzaffäre der Grazer FPÖ auf. Im Raum steht, dass Klubgelder in Höhe von knapp einer Million Euro veruntreut wurden. Bei der Aufklärung der Causa wird Kunasek vorgeworfen, falsche Rechenschaftsberichte als Beweismittel vorgelegt zu haben. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Udo Landbauer

Wer hätte 2018 an ein Comeback von Udo Landbauer geglaubt? Der 38-jährige Chef der FPÖ Niederösterreich trat damals zurück, als ein Liederbuch seiner Burschenschaft mit antisemitischen Texten aufgetaucht war. Fünf Jahre später fuhr Landbauer mit rund 24 Prozent das stärkste Wahlergebnis der FPÖ in der schwarzen Hochburg ein. Eine Regierungsbeteiligung in Niederösterreich scheint dennoch unwahrscheinlich. Landbauer gilt als wenig machtbewusst und Kickl-treu. (Jan Michael Marchart, Katharina Mittelstaedt, 25.2.2023)