Viele Menschen haben Angst vor Alzheimer. Doch es gibt vieles, was man gegen Gedächtnisverlust tun kann.
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Zu seinem 80. Geburtstag hat sich Richard Restak ein ganz besonderes Geschenk gemacht. Jahrzehntelang hat er die Wissenschaft mit Erkenntnissen zu unserem Gehirn bereichert, rechtzeitig zum runden Geburtstag trug der renommierte US-Neurologe dieses Wissen für ein breiteres Publikum zusammen. "The Complete Guide to Memory: The Science of Strengthening Your Mind" ist im Vorjahr erschienen und rasch zum Bestseller aufgestiegen, seit kurzem ist es als Taschenbuch erhältlich. Restak beschreibt darin auch, was er selbst vorlebt und beleuchtet, welche Ratschläge die Gedächtnisforschung für ein geistig reges Leben bereithält – bis ins hohe Alter.

"Kleine Erinnerungslücken bereiten vielen Menschen große Sorgen, Alzheimer ist aber längst nicht so häufig wie oft befürchtet", betont Restak. "Einer der Gründe für die weitverbreitete Angst vor Demenz ist oft fehlendes Wissen darüber, wie wir Erinnerungen formen." Wenn man diese Gedächtnisprozesse kenne, könne man diese mit einfachen Übungen auch aktiv unterstützen. "Letztlich geht es in meinem Buch darum, wie wir alltägliche Gedächtnisprobleme überwinden können", sagt Restak.

Stufen des Speicherprozesses

Wie funktioniert das Gedächtnis also? Informationen zu speichern, zu verarbeiten und abzurufen, daran ist ein komplexes Netzwerk von kognitiven Prozessen in verschiedenen Gehirnregionen beteiligt. Generell lassen sich beim Gedächtnis drei verschiedene Arten unterscheiden: An erster Stelle steht das sensorische Gedächtnis, das Informationen gerade einmal für Millisekunden bis Sekunden abspeichert. Gefiltert und weiter verarbeitet werden Informationen im nächsten Schritt vom Kurzzeitgedächtnis, auch Arbeitsgedächtnis genannt. Dieses kann nur eine begrenzte Menge an Informationen aufnehmen und speichert diese für 20 bis 45 Sekunden.

Die dauerhafte Erinnerung von Information auch über Jahre ermöglicht schließlich die dritte Stufe – das Langzeitgedächtnis. Die verschiedenen Stufen im Gedächtnisprozess finden in unterschiedlichen Arealen des Gehirns statt. Erst kürzlich konnte etwa gezeigt werden, dass eine bestimmte Region im Hippocampus immer aktiv ist, wenn man lange zurückliegende Erinnerungen abruft, wie Magdalena Sauvage sagt, die am Leibniz-Institut für Neurobiologie zu Gedächtnisfunktionen forscht. Bei der Verarbeitung von Informationen aus jüngerer Vergangenheit seien wiederum andere Gehirnregionen aktiv.

Die französische Ordensschwester André, die als ältester Mensch der Welt galt, ist im Alter von 118 Jahren gestorben. Die Französin hatte am 11. Februar ihren 118. Geburtstag gefeiert. Kurz vor ihrem 117. Geburtstag hatte sie eine Corona-Infektion überstanden.
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Schlaf und Aufmerksamkeit

Auch wenn noch längst nicht im Detail klar ist, welche Prozesse das Gedächtnis steuern, steht außer Frage, dass es viele Ähnlichkeiten zum Bewegungsapparat gibt: Das Gedächtnis lässt sich trainieren und stärken – wie ein Muskel. Es ist stark vom Schlaf abhängig, Schlafmangel beeinträchtigt Gedächtnisleistungen massiv. "Der Schlaf scheint eine Art Replay-Funktion zu haben", sagt Sauvage. Eine Sequenz von Ereignissen, die man tagsüber erlebt hat, werden im Schlaf nochmals durchgespielt, was dem Gehirn beim Verarbeiten und Speichern von Information hilft.

Weiters spielen andere Faktoren wie Ernährung, aber auch Emotionen, Stress und Hormone eine Rolle dabei, wie gut wir Erinnerungen behalten und abrufen können.

Langzeitgedächtnis als Hebel

Auch wenn sensorisches, Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis eng zusammenarbeiten, ist für Restak vor allem Zweiteres der zentrale Hebel, um die Gedächtnisleistung zu verbessern. Das Kurzzeitgedächtnis stellt nicht nur die Verbindung und Vermittlung zwischen sensorischem Gedächtnis und Langzeitgedächtnis her, es steht auch in engem Zusammenhang mit Intelligenz und Konzentration. Das Kurzzeitgedächtnis zu trainieren – am besten täglich – ist für Restak eine besonders effektive Methode, um einer Abnahme der Gedächtnisleistung vorzubeugen.

Um das eigene Erinnerungsvermögen zu verbessern, ist es zudem entscheidend, die eigentliche Schwachstelle zu identifizieren. Vielleicht haben Sie sich schon einmal in der Demenz-Vorstufe vermutet, als Sie den Namen Ihres Gegenübers, das sich vor zehn Minuten vorgestellt hatte, nicht mehr wussten. Dabei kann Sie Restak womöglich beruhigen: Nicht alles, was auf den ersten Blick nach Erinnerungsschwäche aussieht, hat auch tatsächlich mit Gedächtnisverlust oder gar Demenz zu tun. Oft liegt das Problem schlicht in mangelnder Aufmerksamkeit.

Unbegründete Sorge

"Die meisten Probleme von Gedächtnisverlust sind eigentlich Probleme von Unaufmerksamkeit. Wenn Sie auf einer Party sind und jemandem nicht richtig zuhören, weil Sie noch über eine berufliche Angelegenheit nachdenken, können Sie sich später plötzlich nicht mehr an seinen Namen erinnern", sagt Restak. Das sei aber noch lange kein Grund zur Beunruhigung. "Zuerst muss die Information im Gedächtnis abgespeichert werden, und dann muss man in der Lage sein, sie abzurufen, aber wenn sie nie abgespeichert wurde, kann man sie auch nicht abrufen."

Das Phänomen der temporären geistigen Abwesenheit hat auch durchaus Vorteile: Wir Menschen neigen bekanntlich dazu, über die Zukunft zu grübeln oder Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen. Das ist durchaus sinnvoll und spielt auch eine gewichtige Rolle dabei, warum wir als Spezies so erfolgreich sind. Aber das gedankliche Schweifen zwischen Zukunft und Vergangenheit zeigt seine Kehrseite, wenn wir bei dem, was wir gerade tun, nicht so richtig bei der Sache sind. Die eigene Konzentrationsfähigkeit zu schulen ist für Restak daher ein entscheidender Faktor, um Gedächtnisleistungen zu verbessern.

Zwischen Gedächtnisleistung und körperlicher Fitness gibt es nicht nur strukturelle Ähnlichkeiten, sondern auch starke Verbindungen: Wie etliche Studien zum Thema gezeigt haben, so erst kürzlich eine britische Erhebung, die im Fachblatt "BMJ" erschienen ist, geht regelmäßige körperliche Bewegung mit höherer geistiger Regheit im Alter einher. So darf es wenig verwundern, dass ein körperlich aktives Leben auch zu jenen Empfehlungen zählt, an die sich auch der inzwischen 81-jährige Neurologe Richard Restak hält. (Tanja Traxler, 26.2.2023)