Klaus Barkowsky (Aaron Hilmer in der roten Jacke) und Jutta (Jeanette Hain) stehen im Mittelpunkt der Serie. In St. Pauli mischen auch Noah Tinwa (li.) und Henning Flüsloh mit.

Foto: Prime Video/Susanne Schramke

Klaus Barkowsky gibt es wirklich. Er war in den Achtzigerjahren Lude (Zuhälter) in Hamburg. Die Serie Luden zeichnet seinen Aufstieg zum Kiez-König nach, samt Prostituierten, schnellem Geld und Drogen. Gespielt wird er (hervorragend) von Aaron Hilmer. An seiner Seite ist Jeanette Hain als Jutta.

STANDARD: War Jutta Ihre erste Rolle als Prostituierte?

Hain: In einem meiner ersten Filme, Kleiner König Erich, wurde ich auf einen Mann angesetzt. Aber eine Prostituierte habe ich noch nie gespielt. Hamburg und die Szene in St. Pauli kannte ich bisher gar nicht. Ich bin ja in München groß geworden und dann nach Berlin gegangen.

STANDARD: Was reizte Sie?

Hain: Schon beim Lesen des Drehbuchs ist mir Jutta sehr nahegekommen. Wir sind uns irgendwo begegnet. Ich glaube ja, dass wir Menschen ganz viele Seelenräume in uns haben, die wir noch nicht betreten haben. Das passiert mir oft: Wenn ich eine Rolle annehme, dann öffnet sich eine Tür in mir und dann sehe ich etwas, was mich in meinen eigenen Grundfesten zutiefst bewegt.

STANDARD: Was war das bei Jutta, einer drogenabhängigen Frau, die sich ihr halbes Leben prostituiert?

Hain: Jutta ist eine Frau, die seit Jahrzehnten allein ist. Das kenne ich, auch wenn ich einen Sohn und eine Tochter habe. Ich lebe auch seit 30 Jahren allein. Mich hat Juttas Entscheidung, bei niemand anderem in den Gardinen zu hängen, um es salopp zu formulieren, gefallen. Und sie ist auf der Suche, auf der wir alle sind: nach Freundschaft, Geborgenheit, Familie, einem Ort, wo wir etwas zählen.

STANDARD: Andererseits ist Jutta sehr hart zu den jungen Prostituierten.

Hain: Diese Widersprüchlichkeit fand ich interessant. Sie verkörpert Hoffnung und Hoffnungslosigkeit zugleich. Sie ist sehr bei sich und weiß seit Jahrzehnten, wie es im Geschäft läuft. Und sie ist gefangen in ihrer Heroinabhängigkeit und hat sich damit arrangiert.

STANDARD: Wie viel haben Sie für die Serie auf St. Pauli gedreht?

Hain: Die Außenaufnahmen wurden im Studio gemacht. Die Serie spielt ja in den Siebziger- und Achtzigerjahren, das sah damals anders aus als heute. Aber wir haben original in der "Ritze" gedreht, einer der berühmtesten Kneipen und so etwas wie das Zentrum der Reeperbahn.

STANDARD: Können Sie nachvollziehen, dass Menschen von diesem Milieu nicht wegkommen?

Hain: Ja. Was Jutta betrifft: Wo soll sie hin? Sie hat und kennt nichts anderes. Und die Prostitution hat schreckliche Seiten, das haben wir auch gezeigt. Dennoch: Es gibt einen Umgang in dem Milieu miteinander, wo sich Menschen begegnen, die einander nicht bewerten und einander lassen, wie sie sind. Der Kiez ist auch Freiheit, da ist nicht alles in Tupperdosen gepackt.

"Jeder kämpft gegen jeden. Es herrschen Gier, Brutalität und Ausbeutung."

STANDARD: Es ist vor allem die Freiheit der Männer, und am Anfang ist viel Party. Kam Ihnen der Aspekt der ausgenutzten Frauen nicht zu kurz?

Hain: Ich glaube, um einen Abgrund wirklich aufzugreifen, muss man erst einmal die saftige grüne Wiese zeigen. Und ja, zuerst war es eine Riesenparty, "mein" Lude Klaus Barkowsky träumte vom Studio 54 in New York und Andy Warhol. Aber dann saust jeder in den Abgrund. Es ist nie romantisierend. Jeder kämpft gegen jeden, es herrschen Gier, Brutalität und Ausbeutung. Aber in all dem Irrsinn sind eine Zartheit und eine Schönheit. Es gibt Hoffnung, das brauchen wir alle.

STANDARD: Warum kommt Jutta von Klaus nicht los? Der ist, unterm Strich, doch ein grässlicher Typ.

Hain: Er ist besessen, er hat eine Leidenschaft und Vision, das zieht er mit einer Wucht durch. Ich glaube, ob Frau oder Mann, so etwas begeistert jeden Menschen. Und er ist ein Stehaufmännchen. Er verliert alles und holt es sich wieder. Dieses Unverwüstliche ist anziehend. Und Klaus ist auch nicht so ein abgehalfterter Typ wie die anderen Zuhälter. Er bringt ja auch frischen Wind auf den Kiez und hat Humor.

STANDARD: Gezeigt wird viel Gewalt und Sex. Dachten Sie irgendwann: Das ist mir jetzt zu viel?

Hain: Nein, die Crew war fantastisch, wir hatten auch Intimacy-Coaches. Ich habe mich jeden Tag gefreut, dass ich Jutta sein darf und alles zeigen darf, was ihr widerfährt. Man leidet mit ihr mit und wünscht sich natürlich, dass sich etwas ändert. Das kann man als Anstoß für sich selbst mitnehmen. Mir gefällt an der Serie auch das Dunkle, das Rhythmische, es reißt einen mit.

Jeanette Hain (54) studierte Regie an der Hochschule für Fernsehen und Film München und spielte in mehr als einhundert Film- und Fernsehproduktionen. Sie erhielt 2010 den Grimme-Preis und 2011 einen Bambi.

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Regie auf der Hamburger Reeperbahn führte ein Wiener

Zum "Luden"-Team zählt auch der österreichische Filmregisseur und Drehbuchautor Stephan A. Lukacs. Er wollte weder Heldenverehrung betreiben noch alle Frauen als Opfer zeigen.

Hamburg – "Das Milieu hat mich fasziniert", sagt Stephan A. Lukacs. Schon vor einigen Jahren recherchierte der 40-jährige Regisseur und Drehbuchautor zu Wanda Kuchwalek. Die "wilde Wanda", die von 1947 bis 2004 lebte, war die einzige Zuhälterin von Wien.

Bei seiner Recherche knüpfte Lukacs auch Kontakte nach Hamburg. Als ein Regisseur für die sechsteilige Serie Luden gesucht wurde, stellte sich der Wiener mit den Worten vor: "Ich bin euer Mann."

In Österreich ist Lukacs vor allem für den Film Cops bekannt. Dafür schrieb er das Drehbuch und führte auch Regie. Bei Luden teilte er sich die Regie mit Laura Lackmann.

Lukacs ist für die Folgen vier bis sechs verantwortlich, in denen die zunächst große Sause auf St. Pauli kippt und immer stärker die hässliche Seite zum Vorschein kommt: Drogen, Gewalt, viele haben keine andere Perspektive als den Kiez, den Ausstieg schaffen sie nicht.

Viele verrückte Figuren

"Luden ist keine unheikle Geschichte", sagt Lukacs. Zwar sei sein erster Impuls gewesen: "Das ist ja urspannend, es gibt viele verrückte Figuren." Schließlich träumen viele anfangs von der großen Freiheit, abseits spießbürgerlicher Normen.

Doch dann, so der Regisseur, "erkennt man schnell, wie skrupellos diese Typen waren. Sie sind für den eigenen Erfolg wissentlich über Leichen gegangen und haben Frauen misshandelt".

Klaus Barkowsky (heute 70 Jahre alt), der auch "der schöne Klaus" oder "Lamborghini-Klaus" genannt wurde, sei zwar "einer der besseren Typen" im Milieu gewesen, meint Lukacs. Aber: "Wir wollten natürlich keine Heldenverehrung machen, sondern ihn von Anfang an hinterfragen."

Ihm sei es auch wichtig gewesen, bei den Frauen auf St. Pauli zu differenzieren, meint Lukacs. Denn: "Wir wollten nicht alle Frauen als Opfer zeigen, denn das sind sie eben nicht alle. Die Prostituierte Jutta verfolgt ihre ganz eigene Agenda, auch andere sind stark." Und dennoch: "Es gibt auch Opfer." (Birgit Baumann, 27.2.2023)