Das RSO, in einer spannenden Lage...

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Die Petition "SOS RSO – Rettet das Radiosymphonieorchester Wien!" mit ihren schon über 60.000 Unterschriften ist historisch betrachtet Teil eines dritten Versuchs, das Orchester zu retten. Der ORF will es wieder einmal nicht finanzieren. Taucht man in die Historie von Rundfunkorchestern ein, findet man jedoch selten die Auflösung solcher Kollektive. In den ersten Radiojahrzehnten traf es überhaupt nur jene, die es verdienten.

Charlie and His Orchestra etwa. Im Zweiten Weltkrieg war dies eine Combo, die per Radio gezwungen wurde, zu Sangesschmähungen der Alliierten aufzuspielen. "Lass uns Bomben werfen, wo sie wohnen! Bombardieren wir Churchills Frauen, Kinder auch!", waren widerliche Texte, zu denen Jazzmusiker das spielten, was Propagandaministers Joseph Goebbels als "entartete Musik" zur Vernichtung freigegeben hatte. Goebbels aber hatte einen Plan: Charlie und die seinen sollten mit umgetexteten US-Schlagern Propagandaschrecken verbreiten.

Klang nicht gut

Charlies mit allzu berechtigtem Applaus quittierte Auflösung blieb allerdings eine Ausnahme. Radio war noch ein junges, in Entwicklung befindliches Medium, das in Deutschland 1923 gestartet war. Die "drahtlose Verbreitung" von Wort und Ton brauchte Orchester. Tonträger gab es zwar, sie hatten jedoch nicht echte Sendequalität. Manche Opernhäuser verweigerten Liveübertragungen. Es klang im Radio nicht gut genug ... Ohne Rundfunkorchester gab es also keine brauchbare Musik. Und weil die Gebührenfinanzierung lange den kommerziellen Druck nahm, konnten Rundfunkorchester mit den Jahrzehnten auch als Auffangbecken für komponierende Innovatoren fungieren.

Gruberova protestiert

Einiges hat sich mittlerweile geändert: Tonträgermusik klingt schon lange exzellent, füllt Programme. Die Umzingelung öffentlich-rechtlicher Anstalten durch Private und die digitale Transformation erhöhten den Spardruck zusätzlich. Hinzu kam und kommt das leicht populistisch anmutende politische Ansinnen, den Konsumenten ein paar Gebühreneuro zu ersparen. All das setzt Unternehmen einem Stress aus, den sie an Rundfunkensembles weitergeben.

2006 kämpfte auch Starsopranistin Edita Gruberova um das Münchner Rundfunkorchester: In einem offenen Brief an Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber bat sie, "Sparwüteriche" einzubremsen. Das Orchester wurde schließlich durch Verkleinerung gerettet, aber das Sparthema blieb als Gespenst erhalten. 2012 gab es die Zusammenlegung des RSO Stuttgart und des SWR-Symphonieorchesters Baden-Baden. In Dänemark wurde das Rundfunkorchester ganz aufgelöst.

Das einzige im Land

Die Orchesterlandschaft ist aber nicht verödet: In Deutschland gibt es über 20 Rundfunkensembles, in Kroatien drei, und ebenso viele in den Niederlanden. Italien hat zwar vier Orchester aufgelöst, besitzt aber immerhin noch eines. Österreich droht hingegen bald gar keines zu haben. Das RSO Wien ist das einzige Rundfunkorchester des Alpenlands. Dennoch ist es Kummer gewöhnt. Es hat vor vielen Jahren schon Vorschläge einer Beraterfirma gegeben, das RSO aus dem ORF auszugliedern. 2009 kam die nächste Attacke, die aber ebenfalls mithilfe einer Petition abgewehrt wurde.

Durch den Aufschrei der Szene kommt nun wieder die strukturell bedeutende Funktion des RSO innerhalb des musikalischen Ökosystems zum Vorschein. Selbst wenn negiert wird, wie viel wertvollen Content das RSO dem ORF zuliefert, ist das besonders auf die Moderne spezialisierte Orchester unverzichtbarer Teil einer pulsierenden Musiklandschaft. Die großen Konzerthäuser der Hauptstadt und das Theater an der Wien sind auf RSO-Dienste auch ökonomisch angewiesen.

Schandbuch der Rekorde

Die Auflösung des RSO, welche die Kulturpolitik vorgibt, nun verhindern zu wollen, würde auch einen Pionier eliminieren: Das RSO kommt auf einen fast 50-prozentigen Frauenanteil. Seine Liquidation wäre einen Eintrag in das Schandbuch der Rekorde wert. Mal sehen. Für das RSO ist der 23. März wichtig. An diesem Tag diskutiert der ORF-Stiftungsrat über die Sparpläne der großen Medienorgel, um womöglich entscheidendes zu verkünden.

Am Abend desselben Tags – welch Ironie – spielt das RSO unter der Leitung seiner Chefdirigentin Marin Alsop im Musikverein. Hoffentlich kein Requiem auf sich selbst...
(Ljubiša Tošic, 25.2.2023)