Der griechischen Küstenwache werden illegale Pushbacks vorgeworfen.

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Neben den Fähren zu den Touristeninseln steht ein Mann mit Maschinengewehr. Und neben der kleinen orthodoxen Kapelle, die man mitten auf die Brachfläche des Hafengeländes gestellt hat, ankert ein matt lackiertes graues Schiff mit Radargeräten und Wärmebildkamera am Dach. Der Hafen des griechischen Piräus ist Anlaufstelle für Containerschiffe aus aller Welt, vor allem aber der größte Passagierhafen Europas. Rund 16 Millionen Fähr- und eine Million Kreuzfahrtpassagiere docken pro Jahr am Terminal im ägäischen Meer an. Der Hafen nahe der Hauptstadt Athen ist aber auch Startpunkt für die großen grauen Schiffe, die zu jenen hinausfahren, die in kleinen Schlauchboten kommen. Und die man hier eigentlich nicht haben will. Denn hier, in Piräus, hat die griechische Küstenwache ihr Hauptquartier aufgeschlagen.

"Illegale Migration ist kein griechisches Problem, es ist ein europäisches", sagt der Kommandant der Küstenwache, Alexandrakis Georgios, ein Mann mit grauem Schnauzbart und vielen bunten Abzeichen auf dem Uniform-Zweireiher. Weitere finanzielle Unterstützung durch Frontex und die EU sei deshalb entscheidend. Rund 8.000 Mitarbeiter beschäftige die griechische Küstenwache heute. In einer Powerpoint-Präsentation zeigt man stolz die moderne Ausrüstung. Zum Arsenal gehören Schiffe jeder Ausstattung, sieben Hubschrauber, sechs Flugzeuge und etliche Drohnen mit Wärmebildkameras. Man kooperiert auch eng mit der Armee.

"Albtraum für Europa"

Es sind "viele Vorfälle mit Migranten", die der rege Schiffsverkehr rund um den Hafen von Piräus mit sich bringe, sagt Kapitän Georgios Christianos, Leiter des Büros für maritime Überwachung. Die Nähe zur türkischen Küste interpretiert man hier, mit Blick auf die Ägäis, als großes geografisches Pech Griechenlands. Die fast 900.000 Migranten, die 2015 die EU-Außengrenzen erreichten, bezeichnet Christianos als "Albtraum für ganz Europa".

Griechenlands Küstenwache sei daher so etwas wie ein Beschützer Europas. Boote mit Flüchtlingen und Migranten versucht man deshalb schon abzufangen, bevor sie in griechische Hoheitsgewässer vordringen – wenn sie die türkische Küste gerade erst verlassen haben. Gegenüber Schleppern habe man keine Toleranz. Migrantinnen und Migranten selbst rette man aber laufend vor dem Ertrinken.

Lebensgefährliche Rettung

Um das zu untermauern, dimmt man im Konferenzraum am Hafen das Licht. Auf einer Leinwand und mehreren Bildschirmen wird ein Video abgespielt. Hohe Wellen, kleine Boote, auf ihnen eng zusammengepferchte Menschen ohne Schwimmwesten. Beamte der Küstenwache ziehen sie mit Händen und Seilen an Bord ihrer Schiffe. Mitunter ist auch die Seenotrettung selbst lebensgefährlich für die Geflüchteten. Denn wenn bei stürmischen Bedingungen der Wellengang hoch ist, reicht eine besonders hohe Woge dazu, dass es Menschen mit großer Wucht gegen den Bauch des Schiffes schleudern kann. Im Video aber werden alle gerettet. Die emotionalen Bilder hat man mit einem Hit der Rockband Evanescence unterlegt. "Bring me to life" heißt es im Refrain, bevor die Stimme zu eindringlichen Gitarrenriffs fordert: "Save me from the dark."

Vorwürfe gegen NGOs – und gegen die Küstenwache

Ganz im Gegensatz zu den eigenen Einheiten kommen "NGOs" – nicht näher definiert, sondern pauschal – beim Vortrag des Küstenwache-Kapitäns schlecht weg. Dass sie mit ihren Schiffen im Mittelmeer unterwegs seien, um Menschen von Schlauchboten zu retten, sei ein "Pull-Faktor für Migration", behauptet Christianos. Auch deshalb würden sie Zahlen über Todesfälle im Mittelmeer unterschlagen. Während Griechenland vor seiner Küste keine NGO-Schiffe zulässt und dort im Vorjahr 367 Menschen ertrunken seien, seien es vor der Küste Italiens, wo regelmäßig Boote der Hilfsorganisationen ab- und anlegen, im selben Zeitraum 1.362 gewesen. "Diese Zahlen werden sie von den NGOs nie hören", sagt Christianos. Diesen wirft er vor, Menschenleben zu gefährden und mit ihren Rettungsaktionen für höhere Todeszahlen im Mittelmeer verantwortlich zu sein. Belege für seine schweren Vorwürfe bleibt der Kapitän allerdings schuldig.

Schwere Vorwürfe gibt es indessen schon lange gegen Griechenlands Küstenwache selbst. Nicht nur NGOs kreiden den Beamten schwere Menschenrechtsverletzungen und illegale Pushbacks im Mittelmeer an. Der türkische Innenminister Süleyman Soylu warf griechischen Küstenwachebeamten gar vor, sieben Migranten geschlagen und danach gefesselt ins Meer geworfen zu haben. Drei Menschen sollen gestorben sein, sagte Soylu damals. Die Regierung in Athen dementierte. An den Pushback-Vorwürfen sei grundsätzlich nichts dran, sagt Kapitän Christianos in Piräus. Vielmehr sei es umgekehrt: Die Türkei würde mit gezielten "Push-Forwards" operieren, um Griechenland und die EU mit hohen Migrantenzahlen zu belasten.

Karner auf Grenzschutz-Konferenz in Athen

Auch Österreichs Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) lauscht dem Vortrag im Gebäude der Küstenwache. Er lobt die "schwierige Arbeit", die die maritimen Einheiten hier zur Bekämpfung der illegalen Migration leisten würden. Karner ist auf Besuch in Athen, um an einem Ministertreffen zum Thema Grenzschutz teilzunehmen. DER STANDARD hat die Konferenz am Donnerstag und Freitag als eines von zwei österreichischen Medien begleitet.

Die "2nd European Conference on Border Management" ist die zweite Ausgabe der Zusammenkunft, die Österreich vor etwas mehr als einem Jahr gemeinsam mit Griechenland, Litauen und Polen initiiert hat. Damals ließ der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko Flüchtlinge und Migrantinnen offenbar gezielt Richtung EU ziehen. Als Rache für die EU-Sanktionen gegen sein autoritäres Regime und Teil einer "hybriden Kriegsführung", wie die EU ihm vorwarf.

Beratungen im Luxushotel

Griechenland und Österreich nutzten die "Gunst der Stunde", um Litauen und Polen, für die Migrationsströme bis dahin praktisch kein Thema gewesen waren, für einen scharfen Kurs bei Asyl und Migration an Bord zu holen. Gemeinsam initiierten sie die "Grenzmanagement"-Konferenz, die in der litauischen Hauptstadt Vilnius über die Bühne ging. Von der EU-Kommission forderte man danach gemeinsam schärfere Maßnahmen zur Bekämpfung irregulärer Migration in Form von fünf Punkten: Verstärkte Sicherung der EU-Außengrenzen, konsequente Rückführungen abgelehnter Asylwerber, strategische Kooperationen mit Drittstaaten, schnellere Verfahren und einen intensiveren Kampf gegen Schlepperei.

Bei der zweiten Ausgabe ist die Regierung in Athen Gastgeber. Und auf der Migrationskonferenz geht es weniger prekär zu, als auf hoher See vor Griechenlands Küste. Das Ministertreffen findet im Nobelhotel "Four Seasons" nahe Athen statt, Meerblick, Pinienhain, Rolex- und Cartier-Shop in der Lobby. Im Sommer kostet ein Doppelzimmer hier mindestens 1.500 Euro pro Nacht. Drinnen in der Lobby läuft Lounge-Musik, draußen auf der Terrasse ein erster Sektempfang für die Gäste.

"Offene Diskussion" zu Schengen-Veto

Gekommen sind die Innenminister von 16 EU-Ländern, der Vizepräsident der EU-Kommission Margaritis Schinas, Innenkommissarin Ylva Johannson und Vertreter von Europol, der europäischen Grenzschutz-Agentur Frontex und der Europäischen Asylagentur. Am Freitag endete das Treffen mit einer gemeinsamen Erklärung der Teilnehmerstaaten. Darin wurde die EU-Kommission aufgefordert, die Mitgliedsstaaten beim Schutz ihrer Außengrenzen finanziell zu unterstützen – auch mittels Technik und baulicher Infrastruktur zum Grenzschutz. Zudem werden Pilot-Projekte zu Asylverfahren an den Außengrenzen und die Schaffung rechtlicher Möglichkeiten auf Asyl "in sicheren Drittstaaten" gefordert. Auch Optionen für schnellere Verfahren und Zurückweisungen sollen laut der Erklärung geprüft werden.

Wie genau die geforderten Maßnahmen an den Außengrenzen aussehen sollen, ließ Karner im Gespräch mit dem STANDARD in Athen offen. Er wolle "nicht über Begrifflichkeiten diskutieren". Es müsse aber möglich sein, "ohne Schaum vor dem Mund über illegale Migration zu reden". Bei einem Arbeitsfrühstück am Freitag im Rahmen der Konferenz hat Karner übrigens auch mit dem griechischen Migrationsminister Notis Mitarakis über die Erweiterung des Schengenraums beraten. Mitarakis tritt für den Beitritt Rumäniens und Bulgariens ein, den Karner mit Verweis auf die hohe Zahl an Asylanträge in der EU im Dezember blockiert hatte. Es habe "eine offene Diskussion" zum Thema gegeben, hieß es am Freitag aus dem Büro Mitarakis. (Martin Tschiderer aus Athen, 24.2.2022)