Die Polizei sprach am Samstag kurz vor Beginn der Kundgebung zunächst von etwa 5.000 Teilnehmern, 10.000 Personen waren angemeldet. Veranstalter sprachen danach von 50.000 Teilnehmenden.

Die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht und die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer hatten zur Demo aufgerufen.

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Berlin – Tausende Menschen haben sich am Samstagnachmittag am Brandenburger Tor in Berlin für eine Demonstration für Friedensverhandlungen mit Russland versammelt. Zu der Demonstration hatten die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht und die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer aufgerufen. Die Polizei sprach von rund 13.000 Teilnehmern, die Veranstalter von rund 50.000. Wagenknecht forderte in ihrer Rede den Stopp von Waffenlieferungen an die Ukraine.

Am Rand der Demonstration kam es zu kleineren Auseinandersetzungen über das Zeigen von ukrainischen oder russischen Nationalfahnen sowie um die Teilnahme des Rechtsextremen Jürgen Elsässer, ansonsten verlief alles friedlich.

Teilnehmende an der Demonstration waren sowohl Linke und Pazifisten als auch AfD-Politiker und Rechtsextreme. Die Organisatorinnen hatten die Veranstaltung im Vorfeld nicht scharf nach rechtsaußen abgegrenzt

"Aufstand für Frieden"

Es gehe darum, "das furchtbare Leid und das Sterben in der Ukraine zu beenden", sagte Wagenknecht bei der Demo. Zugleich gehe es darum, Russland ein Verhandlungsangebot zu unterbreiten, "statt einen endlosen Abnutzungskrieg mit immer neuen Waffen zu munitionieren". Es gelte, das Risiko einer Ausweitung des Krieges auf ganz Europa und womöglich die Welt zu bannen. Dieses Risiko sei "verdammt groß".

Frauenrechtlerin Schwarzer nannte es auf der Bühne "durchaus richtig, den von Russland brutal überfallen Ukrainern mit Waffen zur Seite zu stehen – zunächst, um sich zu verteidigen". Deshalb sei es nun richtig, "nach einem Jahr Tod und Verwüstung nach dem Ziel dieses Krieges zu fragen und nach seiner Verhältnismäßigkeit."

Der frühere General Erich Vad forderte "ein Ende der Kriegsrhetorik in Deutschland", einen Ausstieg aus der militärischen Eskalation und den baldigen Beginn von Verhandlungen. "Es ist naiv zu glauben, man könne Russland militärisch ohne Nuklearkrieg besiegen." Der von Russland ausgelöste völkerrechtswidrige Angriffskrieg sei nach einem Jahr zu einem "Abnutzungskrieg" geworden – dies bedeute, dass es keine vernünftige militärische Lösung mehr gebe.

Auf der falschen Seite

Wagenknecht und Schwarzer hatten vor zwei Wochen ein "Manifest für Frieden" veröffentlicht, in dem sie den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz aufrufen, "die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen", und einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen fordern. Im Internet erklärten mehr als 640.000 Menschen ihre Zustimmung zum "Manifest". Ihre Demonstration am Samstag stellten die beiden Initiatorinnen unter das Motto "Aufstand für den Frieden". Kritiker hatten Wagenknecht und Schwarzer vorgeworfen, ihr Text sei "naiv".

Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) kritisierte die Demonstration. "Jeder, der bei Sinnen und Verstand ist, wünscht sich Frieden", sagte der deutsche Wirtschaftsminister am Freitagabend in einem ARD-"Brennpunkt". Wagenknecht und die ihr folgenden Leute wollten aber etwas als Frieden verkaufen, das ein "imperialistischer Diktator" Europa aufzwinge. Wenn sich das durchsetze, wäre das eine Einladung an den russischen Präsidenten Wladimir Putin, die nächsten Länder zu überfallen.

Auch FDP-Chef Christian Lindner kritisierte den Aufruf von Wagenknecht und Schwarzer heftig. "Putins Aggression verharmlosen, Waffenlieferungen ablehnen. Keine Hilfen – nur Forderungen nach diplomatischen Lösungen", schrieb der deutsche Finanzminister am Samstag bei Twitter. Der Protestaktion müsse man "deutlich entgegnen: Wer der Ukraine nicht zur Seite steht, steht auf der falschen Seite der Geschichte".

Wagenknecht und die ihr folgenden Leute wollten etwas als Frieden verkaufen, das ein "imperialistischer Diktator" Europa aufzwinge, sagt der Grüne Vizekanzler.
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Abgrenzung auch von SPD und Linke

Führende Politiker von SPD und Linke grenzten sich ebenfalls ab. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich sagte der "Rheinischen Post" (Samstag): "Die Sichtweise von Frau Wagenknecht ist nicht meine." Es wäre aus seiner Sicht gut gewesen, wenn der Aufruf eine stärkere Abgrenzung gegenüber radikalen Strömungen gehabt hätte. Mützenich sagte aber auch, man müsse anerkennen, dass Teile der Bevölkerung eine noch stärkere Orientierung auf Friedensgespräche wünsche.

Auch Linke-Parteichefin Janine Wissler kritisierte den Aufruf zur Veranstaltung. Der Umgang mit der Mobilisierung in rechten Kreisen mache ihr Sorgen. "Da hat der Aufruf eine Leerstelle", sagte Wissler den Funke-Zeitungen.

Alice Schwarzer weist Vorwürfe zurück

Alice Schwarzer widersprach den Vorwürfen. "Selbstverständlich werden wir gegen jede Art von rechtsextremer Propaganda auf dem Platz angehen", versicherte die Frauenrechtlerin der Deutschen Presse-Agentur. Sowohl Wagenknecht als auch sie stünden für das Gegenteil von rechter Politik. Mit Blick auf die vielen Unterzeichner des Manifestes sagte sie: "Wir sind also auf dem besten Weg, eine richtige Bürgerbewegung zu werden." Es erstaune sie, dass Kanzler Scholz die Bedenken so vieler Menschen offenbar nicht ernst nehme. "Es geht hier um das Überleben der Menschheit", sagte Schwarzer. "Der UN-Generalsekretär Antonio Guterres hat gesagt, wir gingen mit offenen Augen in den Weltkrieg."

Alice Schwarzer widersprach den Vorwürfen und bekräftigte, dass man "selbstverständlich gegen jede Art von rechtsextremer Propaganda auf dem Platz angehen" werde.
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Schwarzer bestritt auch, dass sie generell gegen Waffenlieferungen an die Ukraine sei. Diese müssten aber einhergehen mit diplomatischen Bemühungen. Es stimme absolut nicht, dass Wagenknecht und sie eine Kapitulation der Ukraine in Kauf nehmen wollten. "Aber nach einem Jahr Tod und Zerstörung frage ich auch: Was hält uns davon ab, jetzt schon Verhandlungen zu beginnen anstatt noch drei Jahre damit zu warten?"

Großaufgebot der Polizei

"Es ist bereits sehr voll auf dem Platz des 18. März und es strömen weiter Menschen zur Kundgebung", hieß es in einem Tweet der Polizei am Nachmittag. Zwischenzeitlich hielten S- und U-Bahnen nicht mehr am Brandenburger Tor. Die Polizei wollte am Samstag wegen Demos in Mitte im Zusammenhang mit dem Krieg mit 1.400 Kräften im Einsatz sein. Unterstützt wurde sie von Kollegen aus Sachsen-Anhalt. Es habe am Rande der Veranstaltung am Brandenburger Tor kleinere Handgreiflichkeiten gegeben, berichtete ein Polizeisprecher. Zudem lieferte sich laut Polizei eine Gruppe linker Gegendemonstranten eine lautstarke Auseinandersetzung mit dem Herausgeber des "Compact-Magazins", Jürgen Elsässer. Das Bundesamt für Verfassungsschutz stuft das Magazin als erwiesen rechtsextremistische Bestrebung ein.

Die Polizei teilte am späten Nachmittag mit, dass sie keine Kenntnisse von rechtsextremen Teilnehmern der Kundgebung habe. Bestätigen konnte ein Sprecher lediglich, dass sich Menschen aus dem rechten Spektrum unter die Teilnehmer gemischt hatten. Nach Parteiangaben waren auch zahlreiche Mitglieder der AfD vor Ort, unter ihnen der sächsische AfD-Chef Jörg Urban.

Auf der Webseite zur Kundgebung "Aufstand für Frieden" wurden Teilnehmerinnen und Teilnehmer zum Verzicht auf Partei- und Nationalfahnen aufgerufen. "Rechtsextreme Flaggen, Embleme und Symbole haben auf unserer Kundgebung keinen Platz", hieß es weiter. (APA, dpa, 25.2.2023)