Kocher wollte mit seinen Aussagen Missstände aufzeigen und eine "faktenbasierte Diskussion" anstoßen.

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Vor zwei Wochen hatte Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) eine Debatte über Vollzeit- und Teilzeitarbeit in Österreich losgetreten. Im Interview mit dem "Kurier" sprach sich Kocher für geringere Sozialleistungen bei Teilzeit aus. Er wolle Vollzeitbeschäftigung wieder attraktiver machen. Am Sonntagabend war Kocher nun zum selben Thema in der "ZiB 2" zu Gast.

VIDEO – Während hierzulande für mehr Vollzeit geworben wird, weht in Großbritannien ein ganz anderer Wind: Ein britisches Unternehmen führte nach einer landesweiten Studie die Viertagewoche dauerhaft ein. Das Ergebnis: zufriedene Mitarbeiter, mehr Bewerbungen und mehr Umsatz.
DER STANDARD

Seine Forderung bekräftige er im "ZiB 2"-Interview. Um das Sozialsystem in der bestehenden Form erhalten zu können, müssten mehr Menschen Vollzeit arbeiten, stellte Kocher einmal mehr fest. Der Minister verwies auf die demografische Entwicklung. Viele würden in den nächsten Jahren in Pension gehen, gleichzeitig bräuchten Unternehmen mehr Arbeitskräfte. Es gebe jetzt schon eine "große Knappheit", und beim "nächsten Aufschwung wird diese noch stärker werden".

Er wiederholte auch, dass Menschen mit Betreuungspflichten und Gesundheitseinschränkungen nicht von eventuellen Verschlechterungen bei der Teilzeit betroffen sein sollen. "Es geht nicht darum, jemanden etwas wegzunehmen", konterte er die Kritik der vergangenen Tage.

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Keine konkreten Lösungen – noch nicht

Thür wollte von Kocher genauer wissen, wen er denn jetzt konkret mit seiner Forderung meinen würde: "Wer bleibt denn dann noch übrig?" Laut dem Minister gebe es immer mehr Menschen, die freiwillig Teilzeit arbeiten. Hier sei es wichtig, Hindernisse zu beseitigen. Dazu gehöre ein rascher Ausbau der Kinderbetreuung. Das sei nicht nur die Aufgabe der Politik, sondern auch die der Unternehmen.

Er wollte mit seinen Aussagen Missstände aufzeigen und eine "faktenbasierte Diskussion" anstoßen, eine Lösung habe er nicht "sofort" parat. "Es gibt ja viele Vorschläge." Eine bereits eingesetzte Arbeitsgruppe, gemeinsam mit Sozial- und Finanzministerium, beschäftige sich vor allem mit Arbeiten im Alter und den dazugehörigen Aspekten, weniger mit Teilzeit.

Gewerkschaft drängt auf Arbeitszeitverkürzung

Arbeitnehmervertreter erheben allerdings eine Forderung, die sich nicht unter den Vorschlägen Kochers findet. Wolle man gute Leute im Job halten, führe kein Weg an einer Arbeitszeitverkürzung vorbei, sagt Josef Muchitsch, designierter Chef der Fraktion sozialdemokratischer GewerkschafterInnen (FSG), und weiß dabei die ÖVP-nahen Kollegen auf seiner Seite. Norbert Schnedl, Vorsitzende der Fraktion Christlicher Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter (FCG), plädierte im Ö1-"Morgenjournal" ebenfalls für eine Reduzierung der wöchentlichen Arbeitsstunden. Dass es dabei einen vollen Lohnausgleich geben müsse, steht für die beiden Vertreter fest.

Schnedl verweist auf eine Studie in Großbritannien: Dank Arbeitszeitverkürzung seien Mitarbeiter zufriedener, weil weniger oft krank und gestresst. Von 61 Arbeitgebern, die das Modell probiert hatten, seien 56 letztlich dabei geblieben. Muchitsch will auch in Österreich einen Pilotversuch starten, der sich über Firmen aus allen Branchen erstrecken solle. Auf 36 Stunden pro Woche soll die Arbeitszeit dabei gesenkt werden – "in einem ersten Schritt".

Einspruch von Ökonomin

Die Ökonomin Monika Köppl-Turyna vom liberalen Institut Eco Austria hält die Idee hingegen für "kontraproduktiv" – zumindest dann, wenn das Modell quer über alle Branchen angewandt werde. Wenn die Menschen weniger Wochenstunden arbeiten, drohe sich der Arbeitskräftemangel noch zu verschärfen, warnt sie.

Und das Argument, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dafür ja produktiver wären? Das werde in manchen Branchen gelten, wendet Köpll-Turyna ein, nicht aber etwa für den Lehrberuf, die Polizei oder Jobs im Gesundheitsbereich wie die Pflege. Dort sei es nicht möglich, dass die Bediensteten in 40 Stunden dasselbe leisten wie in 36 Stunden: "Da würde der Arbeitsdruck noch steigen." (wie, jo, 27.2.2023)