Im Gastblog zeigt Renée Winter vom Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien die problematische Geschichte des Exzellenz-Begriffs und dessen Fortwirken im universitären Kontext.

Die Parole "Nieder mit der Exzellenz" war auf den jüngsten Demonstrationen des Netzwerks Unterbau Wissenschaft zu hören. Heißt das, die demonstrierenden Wissensarbeitenden sind gegen gute Forschung? Oder was ist gemeint? Was bedeutet Exzellenz, und woher kommt der Begriff?

Noch 1984 kennt das Duden-Lexikon den Begriff "Exzellenz" lediglich als einen vor allem "Botschaftern und Gesandten zustehenden Titel". Als Überbleibsel monarchistischer Konventionen trägt er diese Bedeutung bis heute. Seit den 1990er- und 2000er-Jahren wird er im Sinn seiner adjektivischen Bedeutung "herausragend" oder "hervorragend" vermehrt im Feld der Wissenschaftspolitik eingesetzt. Exzellenz soll dort bedeuten: hervorragende Wissenschaft.

Kaum ein Universitätsentwicklungsplan kommt ohne den Begriff der "Exzellenz" aus. Was macht diesen so problematisch?
Foto: Renée Winter

Die Vorstellungen besonders herausragender Leistungen wurden ab dem späten 18. Jahrhundert mit dem "Genie"-Konzept verknüpft. Demnach sei das Genie qua Geburt mit Begabung gesegnet, agiere schöpferisch und kreativ als autonome Künstlerin oder Künstler, Autor oder Autorin sowie Wissenschafter und Wissenschafterin. Hier zu gendern ist fast unnötig, da Genietum fast ausschließlich weißen Männern zugeschrieben wurde. Historikerinnen und Historiker, Literaturwissenschafterinnen und Literaturwissenschafter sowie andere haben mittlerweile die Idee des allein arbeitenden Genies problematisiert und dargelegt, dass Wissensproduktion ein kollektiver Prozess war und ist.

Essenziell für diesen Prozess ist eine Vielzahl administrativer, reproduktiver und redaktioneller Tätigkeiten, die oft nicht genannte Partnerinnen und Partner, Freundinnen und Freunde sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leisten, wie zum Beispiel Johanna Gehmacher, Kristi Niskanen und Katharina Prager vor kurzem in einer Publikation mit dem markanten Titel "When Does the Genius Do the Chores?", auf Deutsch in etwa "Wann erledigt das Genie die täglichen Aufgaben?", dargelegt haben.

Vom Genie zur Intelligenz zur Exzellenz

Ein Sprung ins 20. Jahrhundert: Die Idee der Intelligenz wird zentral; Kriterien zu ihrer Messung werden entwickelt, es wird versucht, Intelligenz an körperliche Merkmale (Schädelgröße) rückzubinden – nicht nur von nationalsozialistischen Wissenschaftern und Wissenschafterinnen. Die Idee der Intelligenz wird funktionalisiert, um Ausschlüsse und Unterdrückung aufgrund sozialer Herkunft, Hautfarbe und Geschlecht zu rechtfertigen. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu wies 1978 in "Der Rassismus der Intelligenz" darauf hin, dass der wissenschaftliche Diskurs zur Intelligenz den Herrschenden zur "Rechtfertigung der von ihnen beherrschten sozialen Ordnung" dient.

Noch ein Sprung: Ende des 20. Jahrhunderts zieht "Exzellenz" in Bildungs- und Wissenschaftspolitik ein. Kaum ein Universitätsentwicklungsplan, kaum eine Stellungnahme zu Forschungsförderung oder Technologieentwicklung kommt heute ohne diesen Begriff aus. Der Soziologe Tobias Peter forschte im Rahmen der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten (also exzellenten!) Forschungsgruppe "Mechanismen der Elitebildung im deutschen Bildungssystem" zur Diskussion um den Begriff "Exzellenz": Demnach würden Universitäten und ihre Arbeitnehmenden einer Wettbewerbslogik, einer Mobilisierung und Optimierung, unterworfen. Ähnlich wie Bourdieu kritisiert Peter "Exzellenzpolitiken": Diese zielen darauf, "jenen gesellschaftlichen Ungleichheiten zum Recht zu verhelfen, die ohnehin existieren, und diese dabei an das Leistungsprinzip zu koppeln".

Einzug des Leistungsdenkens

Unterscheidungen beziehen sich im Rahmen des Exzellenzgedankens nun nicht mehr auf Angeborenes, sondern auf "Leistung". Um diese messbar zu machen, wurden neue Kriterien entwickelt, zum Beispiel die Anzahl der Publikationen, Impactfaktor, Anzahl der betreuten Studierenden, positive Prüfungsabschlüsse, Vortragstätigkeit, Outreach, Mobilität, internationale Gutachten etc. In "Die Erfindung der Leistung" beschreibt die Historikerin Nina Verheyen Entstehungs- und Wirkungskontexte des Leistungsparadigmas im 19. und 20. Jahrhundert, die sich heute in einem kaum widersprochenen "Versprechen der Leistungsgerechtigkeit" ausdrücken. Auf solchen Versprechen aufbauend, bilden Kennzahlen und Indikatoren heute die Grundlage für Beurteilungen, somit auch von Finanzierungen von Arbeit in der Wissenschaft.

Die Ideologie der Leistung geht einher mit der Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse: Diese soll die zueinander in Konkurrenz gebrachten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu mehr Leistung anspornen. Eine weitere Verschärfung der Arbeitsbedingungen an den Universitäten bewirkte in Österreich zuletzt eine Novelle zum Universitätsgesetz. Katharina Wiedlack und Julia Lajta-Novak thematisierten in diesem Blog bereits 2021 die zu befürchtenden Folgen der damals erst geplanten UG-Novelle.

Am 1. Oktober 2021 trat die Novelle in Kraft. Erste Auswirkungen sind zu spüren, an Universitäten organisieren sich Beschäftigte und Studierende. An der Uni Wien gründete sich im Herbst des vergangenen Jahres die Initiative Unterbau, um gemeinsam mit der bereits über 25 Jahre tätigen IG LektorInnen und WissensarbeiterInnen, Studierenden und dem Netzwerk Unterbau Wissenschaft für bessere Arbeits- und Studienbedingungen sowie für Demokratisierung der Universitäten einzutreten.

Die Initiative Unterbau Uni Wien tritt für bessere Arbeitsbedingungen an den Universitäten ein.
Foto: Renée Winter

"Solidarität statt Konkurrenz – Nieder mit der Exzellenz", lautet vollständig der auf den Demonstrationen zu hörende Slogan. Universitäten sind seit ihrer Gründung Orte, an denen großteils Personen tätig sind, die auf verschiedene Weisen privilegiert sind – umso mehr, je höher die Position. Universitäten waren lange Zeit ausschließlich männliche Orte, sie sind immer noch Orte der ökonomisch und sozial Privilegierten; die Universität Wien ist nach wie vor ein sehr weißer Ort. Ausschlussmechanismen in Bezug auf Klasse und Rassismus wurden in den letzten Jahren in verschiedenen Publikationen thematisiert. Die auf die UG-Novelle, die Finanzierungspolitiken des Ministeriums und die Personalpolitiken der Universitäten folgenden Prekarisierungen und Verschärfungen von Konkurrenzdruck führen dazu, dass vor allem diejenigen bleiben, die den (finanziell) längeren Atem haben. Wer kann und möchte es sich leisten, jahrelang befristeten Vertrag auf befristeten Vertrag folgen zu lassen, mit dem Risiko, dass trotzdem nach acht Jahren jede weitere Beschäftigung in diesem Beruf ausgeschlossen ist?

Universität als Arbeitsplatz

Die Initiativen der Wissenschafterinnen und Wissenschafter richten sich nicht gegen gute Forschung, sondern machen darauf aufmerksam, dass gute Forschung auch gute Arbeitsbedingungen braucht, wie auch kürzlich in der alle Exzellenz-Kriterien erfüllenden wissenschaftlichen Zeitschrift "Nature" festgehalten wurde. Universitäten sind Arbeitsplätze und sollten als solche behandelt werden. Finanzielle und soziale Sicherheit, nicht Prekarität ermöglicht gutes Arbeiten und bildet die Basis für kontinuierliche interdisziplinäre Forschung, verlässliche Betreuung von Studierenden und Verknüpfung von Forschung und Lehre.

Die IG LektorInnen und WissensarbeiterInnen fordert dementsprechend eine "Kennzahl für Permanenz", die ebenfalls etwas misst, nämlich den Anteil unbefristeter Arbeitsverhältnisse an den Universitäten. Es sollte nicht zuletzt möglich sein, den Beruf der Wissenschafterin oder des Wissenschafters innerhalb der Normalarbeitszeit oder in Teilzeitbeschäftigung auszuführen – auch deshalb, weil, wie historische Beispiele zeigen, die Vorstellung eines autonomen, allein arbeitenden exzellenten Wissenschafterinnensubjekts oder Wissenschaftersubjekts auf Ausschlüssen und Ausblendungen beruht. Wann macht die exzellente Forscherin die "chores", die Hausarbeit, die notwendigen Routinetätigkeiten, wenn sie ganz mit der Erreichung der notwendigen Exzellenz-Marker beschäftigt ist? Oder macht sie jemand anderes? Wird dafür jemand bezahlt? Wer ist das? Und wer bezahlt die Miete, wenn das exzellente Projekt zu Ende ist? (Renée Winter, 1.3.2023)