Wer macht die Arbeit von morgen, und wie finanzieren wir das Sozialsystem nachhaltig? Zu viele Menschen, die geringfügig arbeiten, erschweren beides.

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Seine Rolle als Ökonom hat Martin Kocher auch in der Regierung nicht abgelegt. Anders ist es nicht zu erklären, dass der Wirtschafts- und Arbeitsminister nun schon seit Tagen in Medien laut darüber nachdenkt, wie die Teilzeit zurückgedrängt werden kann, ohne ein Konzept oder einen Plan vorzulegen. Im Regelfall sollte es ja in der Politik so ablaufen: Die Regierung identifiziert ein Problem, tauscht sich mit Expertinnen und Experten aus und präsentiert Lösungsvorschläge. Ökonominnen und Ökonomen können dagegen laufend über irgendetwas laut nachdenken, sie müssen ja keine Probleme lösen.

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Aber gut, nun läuft die Debatte, und sie ist es tatsächlich wert, geführt zu werden. Kocher verweist nämlich auf mehrere richtige Punkte: Angesichts der demografischen Entwicklung, also der Alterung der Gesellschaft, und der großen Aufgaben, die auf uns zukommen, Stichwort Klimaschutz, wird es schwer, den Wohlstand zu erhalten, wenn ein zunehmend kleinerer Teil der Bevölkerung bereit ist, Vollzeit zu arbeiten.

Dazu kommt das Problem, den Sozialstaat zu finanzieren. Bei den Pensionen gilt zwar, dass die Menschen in Rente weniger herausbekommen, wenn sie weniger arbeiten. Aber in der Gesundheitsversicherung ist das nicht so. Ob jemand 20, 35 oder 40 Stunden arbeitet, ist egal, der Anspruch auf die Versorgung ist hier immer gleich. Kurzum: Auch für die Erhaltung des Sozialstaats braucht es genügend Menschen, die Vollzeit arbeiten. Über Strafen, also weniger Sozialleistungen, eine Lösung zu suchen, ist weder sinnvoll noch vernünftig. Aber der Staat sollte überlegen, mehr Anreize für längeres Arbeiten zu schaffen. Es gibt zumindest einen Teilbereich der Debatte, bei dem die Politik recht einfach etwas bewegen könnte: die Geringfügigkeitsgrenze.

Eine hinderliche Schwelle

Gut 400.000 Menschen arbeiten in Österreich derzeit geringfügig, diese Personen sind also nur einige Stunden in der Woche beschäftigt und verdienen nicht mehr als 500 Euro und 91 Cent. Gut 60 Prozent davon sind Frauen, das Modell ist vor allem im Handel, aber auch im Tourismus und im Sozialwesen beliebt.

Diese Geringfügigkeitsschwelle hindert viele daran, Stunden aufzustocken. Denn während unterhalb der Schwelle keine Abgaben für die Beschäftigten anfallen, schlägt die Sozialversicherung über der Schwelle hart zu mit 15 Prozent plus, die vom Gehalt abgeknabbert werden. Auch für Arbeitgeber kommt es etwas günstiger, Mitarbeiter geringfügig zu beschäftigten.

Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Kocher will über Teilzeit reden.
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Genau das sind aber die falschen Anreize. Bisher wurde über die Abschaffung des Schwellenwerts nur in einem Teilbereich, bei Arbeitslosen, diskutiert. Dabei gehört die Grenze in ihrer bestehenden Form komplett abgeschafft. Wenn tatsächlich ein großer Teil der 400.000 Menschen bei den Arbeitsstunden aufstockt, würde das den Sozialversicherungen ein nettes Körberlgeld bringen. Die meisten geringfügig Beschäftigten sind irgendwo mit krankenversichert, zahlen also selbst gar keine Beiträge. Die Zahl der gearbeiteten Stunden würde steigen. Und Betroffene hätten den Vorteil, weil sie danach pensionsversichert wären, was sie in der Geringfügigkeit nicht sind.

Interessenvertreter wenig begeistert

Natürlich bräuchte es begleitende Maßnahmen. Es mag Teilbereiche geben, etwa bei Pensionistinnen und Pensionisten, wo ein Dazuverdienen ohne Abgaben Sinn macht. Warum über die Geringfügigkeit dennoch nicht lauter diskutiert wird in der Politik? Weil Arbeitnehmervertreter das Modell nicht abschaffen wollen – viele Beschäftigten sind ja zufrieden damit. Auch Arbeitgeber sehen Vorteile durch die niedrigeren Abgaben. Will Kocher also in der Sache noch etwas bewegen, wird er einige Diskussionen mit den Interessenvertretern führen müssen – bei denen er sich nicht nur Freunde damit machen würde. Aber das ist ja auch nicht Aufgabe eines Politikers. (András Szigetvari, 27.2.2023)