Von Schmetterlingskindern haben schon die meisten gehört. Sie leiden an einer seltenen Erkrankung. Von denen gibt es insgesamt mehr als 6.000 – mit über 450.000 Betroffenen in Österreich. Doch das Bewusstsein dafür ist noch recht wenig ausgeprägt.

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Schmetterlingskinder kennen alle. Zumindest hat man den Ausdruck schon einmal gehört oder die Werbekampagne gesehen – und weiß, dass das nichts Cooles ist. Dabei gibt es nur rund 500 davon in Österreich. Und genau deshalb ist es wichtig, dass so viele Menschen wie möglich darüber Bescheid wissen, dass es das gibt. Es ist die einzige Chance von Kindern mit Epidermolysis bullosa – so lautet der Fachausdruck –, dass in die Erforschung dieser genetisch bedingten Krankheit, durch die die Haut extrem verletzlich wird, investiert wird.

Es handelt sich dabei nämlich um eine seltene Erkrankung. So werden alle Erkrankungen bezeichnet, von denen maximal 4.500 Menschen in Österreich betroffen sind. Da es aber viele unterschiedliche seltene Erkrankungen gibt, sind insgesamt sehr viele Menschen davon betroffen – in Österreich etwa 450.000 Personen. Das sind rund fünf Prozent der österreichischen Bevölkerung beziehungsweise mehr als die Einwohneranzahl von Vorarlberg.

Dabei handelt es sich um sehr unterschiedliche Erkrankungen, von Autoimmunkrankheiten über genetische Auslöser bis zu seltenen Krebsformen kann alles dabei sein. Ihnen allen ist gemein, dass jede einzelne für sich unter dem Radar der öffentlichen Aufmerksamkeit liegt. Dabei ist nicht nur das Leben der Betroffenen durch so ein gesundheitliches Problem massiv verändert, auch Angehörige trifft die Ausnahmesituation. Auf all das will der Tag der seltenen Erkrankungen am 28. Februar aufmerksam machen.

Immer mehr Krankheiten

Insgesamt gibt es mehr als 6.000 seltene Erkrankungen, und sie werden mehr. Das liegt paradoxerweise auch an den Fortschritten der wissenschaftlichen Erkenntnisse. Besonders im onkologischen Bereich zeigt sich das. Vor 20 Jahren etwa hat man bei Lungenkrebs nur zwischen groß- und kleinzelligem Karzinom unterschieden. Mittlerweile kennt man viele Subgruppen, die zum Teil auch genetisch bedingt sind und die eine ganz andere Behandlung als die übliche erfordern. Ähnliches gilt für unterschiedliche Brustkrebsarten.

"In der Regel handelt es sich dabei um sehr komplexe Erkrankungen, rund 72 Prozent haben eine genetische Ursache, das heißt, sie sind angeboren, viele betreffen auch mehrere Organsysteme", erklärt Claas Röhl, stellvertretender Schriftführer bei der Betroffenen-Selbsthilfegruppe Pro Rare Austria, Gründer der Selbsthilfegruppe NF Kinder und selbst Vater einer Tochter, die an Neurofibromatose leidet – einer genetisch bedingten Erkrankung, bei der sich zahlreiche gut- und bösartige Tumore entwickeln. Etwa eines von 2.500 Kindern kommt damit zur Welt, es ist damit eine der häufigsten seltenen Erkrankungen, trotzdem ist sie nur sehr wenigen Menschen ein Begriff.

Das Problem mit den seltenen Erkrankungen: Für 95 Prozent davon gibt es keine zugelassenen Therapien. Denn sie sind sehr komplex, und da jede einzelne in Summe so wenige Menschen betrifft, sind Anreiz und Geld für Forschung rar. "Aber in Summe sind sie ein gesundheitsökonomisch sehr relevantes Thema, das man ernst nehmen sollte", betont Röhl.

Große Expertise gefragt

Wegen dieser Komplexität ist in der Behandlung große Expertise nötig. Der Großteil der Krankheitsbilder ist ja genetisch bedingt, aber findet man eine entsprechende genetische Veränderung bei einem Menschen mit einem bestimmten Symptom, heißt das nicht automatisch, dass diese Veränderung die Ursache für die vorliegende Krankheit ist, sagt Daniela Karall, Oberärztin an der Innsbrucker Kinderklinik und Gründungsmitglied des Zentrums für seltene Krankheiten Innsbruck.

"Man muss klären, ob diese genetische Veränderung der Grund für eine Erkrankung ist – und was genau sie bewirkt. Da ist es enorm wichtig, eine klare und treffsichere Diagnose zu stellen", betont Krall. Der Hauptschwerpunkt in Wissenschaft und Forschung ist deshalb das Verständnis für die Pathomechanismen, die zu bestimmten Erkrankungen führen, und welche Mechanismen sie ausbrechen lassen. "Das ist die Grundlage dafür, dass man überhaupt eine spätere Therapie entwickeln kann."

Ebenso wichtig wie die genaue Diagnose sind die Dokumentation und das Erstellen von Registern. "Dann macht man sich auf die Suche nach eventuellen weiteren Betroffenen, auch um Erkenntnisse vergleichen zu können", erklärt Karall Herausforderungen in der Betreuung. Dafür ist die internationale Vernetzung enorm wichtig. Und auch die Kommunikation innerhalb der Ärzteschaft ist nötig: Denn seltene Erkrankungen haben oft sehr allgemeine Symptome beziehungsweise solche, die auch verschiedene weitverbreitete Krankheiten aufweisen. Eine wichtige Botschaft von Karall an ihre Kolleginnen und Kollegen ist deshalb: "Hat eine Patientin oder ein Patient eine Erkrankung, die man an sich gut kennt, und die Person springt nicht auf die Therapie an oder hat auch noch andere, nicht so klare Symptome, dann sollte man daran denken, dass es auch noch eine andere Ursache als die offensichtliche geben kann. Sehr oft handelt es sich bei den Betroffenen nicht um komplizierte Patientinnen oder Patienten, die sich nur etwas einbilden, sondern es liegt möglicherweise eine seltene Erkrankung vor."

Breit aufgestelltes Team für Behandlung

Nicht nur in der Diagnose, auch in der Behandlung sind die seltenen Erkrankungen herausfordernd – weil es eben bei den meisten keine konkrete Therapie gibt und auch keine Heilung. Class Röhl betont: "Wir haben ein gutes Gesundheitssystem, aber es ist auf gängige Erkrankungen ausgelegt. Die Betroffenen von seltenen Erkrankungen brauchen nämlich eine breite Therapie, wo auch Schmerzbehandlung, Physiotherapie und mehr mitgedacht ist. Und zwar nicht für einen begrenzten Zeitraum, sondern bedarfsorientiert und mitunter lebenslang. Denn die Krankheit verschwindet im Normalfall nicht." Und er bedauert, dass das Bewusstsein für seltene Erkrankungen immer noch viel zu gering ist, "weil ja außer den Betroffenen und wenigen Expertinnen und Experten niemand wirklich Interesse dafür hat". Deshalb seien auch die Patientenorganisationen so wichtig.

Dazu komme das Stigma, dem Betroffene ausgesetzt sind: "Viele reden nicht gern über ihre Krankheit, weil sie fürchten, nicht akzeptiert zu werden. Oder sie haben Angst, dass sie einen Job nicht bekommen. Das ist verständlich, aber solange seltene Erkrankungen bestmöglich versteckt werden, kann sich nichts ändern in der Wahrnehmung", sagt Röhl. Dabei beeinflusst so eine Krankheit das gesamte Leben: Beruf, Familie, soziale Beziehungen, aber auch die finanzielle Situation und das Selbstbewusstsein der Betroffenen. "Chronisch krank sein bedeutet leider sehr oft auch einen sozialen Abstieg." Hier sind dringend Verbesserungen in der Betreuung und vor allem in der Bürokratie nötig. Beispielhaft dafür, wie Röhl erzählt: "Weil viele der Erkrankungen genetisch bedingt sind, handelt es sich in der Regel um chronische Erkrankungen. Trotzdem muss man immer wieder zum Check, ob die Erkrankung und die damit einhergehenden Einschränkungen immer noch bestehen."

Und doch hat sich schon einiges in der Awareness und in der Betreuung getan. Fachärztin Karall sagt, dass viel mehr Menschen etwas mit dem Begriff seltene Erkrankung anfangen können als noch vor zehn oder 15 Jahren. Und auch das Credo der wohnortnahen Betreuung kann vielfach schon umgesetzt werden – vorausgesetzt, dass eine Diagnose gestellt wurde. Karall betont: "Der Patient oder die Patientin soll nicht reisen müssen. Zentren für Rare Diseases gibt es zwar nur wenige, aber vorausgesetzt, dass die Kommunikation zwischen Zentrum und Hausarzt gut funktioniert, können Betroffene vor Ort gut betreut werden und müssen im Idealfall womöglich nur einmal im Jahr in ein Spezialzentrum zur Kontrolle kommen." (Pia Kruckenhauser, 28.2.2023)