Ein via App bestelltes Fahrzeug sollte eigentlich die Sicherheit für Passagiere erhöhen. Das gilt aber nur, wenn sie in das tatsächlich georderte Auto einsteigen.

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Wien – Egal von welcher Position aus man ihn betrachtet, der Prozess gegen Herrn T. ist eine seltsame Geschichte. Dem 35-Jährigen wird versuchte Vergewaltigung vorgeworfen: Er soll laut Staatsanwalt am Morgen des 29. Mai zwei junge Frauen in sein Auto gelockt haben, mit ihnen in die Tiefgarage seines Wohnhauses gefahren sein und sie dort verprügelt haben, um sie zu vergewaltigen. Stimmt nicht, beteuern der sechsfach vorbestrafte Rumäne und sein Verteidiger Sascha Flatz: Die Frauen hätten sich irrtümlich in seinen Wagen gesetzt, T. habe in seinem Drogenrausch Panik bekommen und die Opfer attackiert.

Der Angeklagte, der am 28. September in Spanien festgenommen wurde, hat bisher von seinem Recht zu schweigen Gebrauch gemacht, vor dem Schöffensenat unter Vorsitz von Corinna Huber erzählt er daher erstmals seine Version der Geschichte. Er bekennt sich nur der Körperverletzung schuldig, eine Vergewaltigungsabsicht bestreitet er entschieden. Er sei damals in der Nacht davor allein daheim in Wien-Meidling gewesen und habe einen halben Liter Whisky, Ecstasy und nicht näher definierte "psychoaktive Substanzen" konsumiert. Letztere hätten ihn aufgeputscht, vier oder fünf Stunden später sei er unruhig geworden.

Beeinträchtigte Autofahrt

"Ich wollte Luft schnappen", lässt der Arbeitslose übersetzen. Allerdings nicht mit einer Runde um den Block, sondern indem er mit heruntergelassenen Fenstern im Auto durch die Gegend kurvte. "Ich dachte, ich fahre ein bisschen mit dem Auto, damit es mir durch den Luftzug besser geht." Während der Fahrt sei ihm sein Mobiltelefon aus der Halterung gefallen, weshalb er gegen 5.15 Uhr an den rechten Fahrbahnrand fuhr und anhielt. Ihm fiel eine Gruppe aus mehreren Personen auf dem Gehsteig auf, aus der sich zwei plötzlich lösten und bei ihm hinten Platz nahmen.

"Zu diesem Zeitpunkt bin ich in Panik geraten", behauptet T., der mit den beiden Unbekannten losfuhr. "Dann habe ich gemerkt, dass sie nichts sagen. Ich hatte den Eindruck, dass sie mich schlagen wollen", versucht er dem Gericht zu erklären. In seinem beeinträchtigen Zustand will er nicht einmal erkannt haben, dass es sich um zwei junge Frauen – damals 22 und 23 Jahre alt – gehandelt hat.

"Wir haben zu raufen begonnen"

Da während der rund zehnminütigen Fahrt kein Wort gewechselt worden sei, habe er beschlossen, zurück in die Garage seines Hauses zu fahren. "Ich habe Kopfweh gehabt, bin in Angst und Panik geraten und wollte die zwei Personen loswerden", behauptet der Angeklagte weiter. Nachdem er in die Garage gerollt war, sei einer seiner ungewollten Passagiere aus dem Auto gesprungen und in Richtung des sich schließenden Garagentors gelaufen. T. rannte nach. "Wir haben zu raufen begonnen, ich weiß nur, dass ich dann weggelaufen bin", will er sich an keine Details mehr erinnern können.

Tatsächlich brachte er zunächst die 23-Jährige zu Boden und schlug ihr mehrmals mit der Faust ins Gesicht, wodurch die Frau neben Prellungen auch einen verschobenen Nasenbeinbruch erlitt. Da in der Zwischenzeit die Begleiterin versuchte, auf der anderen Garagenseite ins Stiegenhaus zu entkommen, jagte er auch dieser Frau nach, riss sie zurück und schlug und trat auch sie. Da das ältere Opfer versuchte, das Garagentor zu öffnen, und um Hilfe schrie, lief er zu dieser zurück und schlug neuerlich zu. Erst als ein Passant ihn durch das leicht hochgezogene Tor anschrie, ließ T. ab und flüchtete.

Vorsitzende Huber und Beisitzer Wolfgang Etl sehen in dieser Geschichte mehrere Ungereimtheiten, weshalb sie nachfragen. "Warum sagen Sie den Frauen nicht einfach, dass sie aussteigen sollen?", lautet eine der Fragen. "Ich war in diesem Zustand, und die Drogen haben mich geführt", begründet T. sein irrationales Verhalten. "Aber Auto fahren konnten Sie noch?" – "Ich bin hier ein Jahr lang Taxi gefahren, das Auto fährt fast von allein", sieht der Angeklagte offensichtlich keine Gefahr für andere Verkehrsteilnehmende.

Einschlägige Vorstrafen in Rumänien

"Sie haben in Rumänien eine Vorstrafe wegen Vergewaltigung und eine wegen Kinderpornografie – es würde Ihrer Persönlichkeit also nicht ganz fern liegen, dass Sie Sexualstraftaten begehen", hält die Vorsitzende T. vor. Der widerspricht: Es habe sich 2010 um keine richtige Vergewaltigung gehandelt – er habe damals als 23-Jähriger eine 16 Jahre alte Freundin gehabt, mit der er einvernehmlichen Geschlechtsverkehr hatte. In Rumänien sei das damals illegal gewesen. Da er auch einmal einen Geschlechtsakt mit dem Handy gefilmt hätte, sei der Kinderpornografievorwurf dazugekommen.

Und überhaupt: Nachdem er wegen dieser Verurteilung knapp drei Jahre in einer rumänischen Justizanstalt gewesen sei, habe sich seine sexuelle Orientierung geändert. "Nach der Verurteilung bin ich nur mehr mit Männern gegangen. Ich will mit Frauen nichts mehr zu tun haben", beteuert der Angeklagte. "Sie sind jetzt homosexuell?", fragt Huber nach. "Ja", lautet die Antwort. Dass er in Spanien festgenommen wurde, sei auch keine Flucht gewesen, stellt T. klar: Er sei dort schlicht auf Urlaub gewesen und habe gar nicht gewusst, dass gegen ihn ein Haftbefehl ausgestellt war.

Fahrtendienst per App bestellt

Tatsächlich haben sich die Ermittlungen hingezogen – und das hat mit der Darstellung der beiden verletzten Frauen zu tun. Sie sagen als Zeuginnen vor Gericht auf ihre Bitte hin in Abwesenheit des Angeklagten aus. Bis 4 Uhr Früh seien sie damals in einem Pub gewesen, hätten danach noch privat weitergefeiert und um 5.13 Uhr per App ein Bolt-Fahrzeug, also einen Fahrtendienst, bestellt, um einen weiteren Bekannten zu besuchen. Mit drei jungen Männern seien sie auf dem Gehsteig gesessen, als ein blauer Hyundai in der Nähe anhielt.

In der irrigen Annahme, es sei das bestellte Fahrzeug, stiegen die beiden alkoholisierten Frauen ein. Dass der Fahrer nichts zu ihnen sagte, kam ihnen nicht komisch vor. Schließlich habe man bereits in der App das Fahrziel bekanntgegeben. Dem jüngeren Opfer fiel zwar noch auf, dass nicht wie sonst die Live-Route in der Software angezeigt wurde, die Frau ging aber von einem technischen Defekt aus. Wie lange die Fahrt dauerte, kann keine der beiden sagen, man habe untereinander geplaudert und wohl auch ein wenig gedöst, da man alkoholisiert gewesen sei.

Aus rollendem Auto gesprungen

Als der Wagen stoppte, dachte man zunächst, man sei angekommen, in Wahrheit wartete T., dass sich das Garagentor öffnet. Als er dann hineinfuhr, sei ihnen klar geworden, dass etwas nicht stimme, sagen beide Zeuginnen übereinstimmend. Die 23-Jährige riss daher die Hecktür auf, während das Auto noch zum Stellplatz rollte, und versuchte zu flüchten. Die Jüngere schaffte das zunächst nicht, da sie die Autotür nicht aufbekam. T. sei aber sofort aus dem Auto gesprungen, ihrer Freundin nachgelaufen und habe auf sie eingeprügelt. Ihr eigener Fluchtversuch endete vor der Tür zum Stiegenhaus, erinnert sich die 22-Jährige.

Kussversuche oder Berührungen der Geschlechtsteile durch den Angeklagten habe es nicht gegeben, sagen die Zeuginnen aus. Die unmotivierten Angriffe können sie sich aber nur mit einer Vergewaltigungsabsicht erklären. Die 22-Jährige sagte unmittelbar nach dem Vorfall zu den von Passanten alarmierten Polizisten, T. habe sie "sicher vergewaltigen wollen". Die 23-Jährige formuliert es vor Gericht etwas anders: "Ich hatte das Gefühl, er wollte uns bewusstlos schlagen. Keine Ahnung, wie es danach weitergegangen wäre."

Verletzte musste Job aufgeben

Sicher sind sich beide, dass der Angeklagte, der während der Fahrt kein Wort gesprochen hatte, nicht beeinträchtig gewesen ist. Nur an ein Detail erinnert sich die Jüngere noch: "Nachdem wir eingestiegen sind, ist der Taxifahrer – oder Nichttaxifahrer – schnell losgefahren." Für sie hatte der Angriff schwere Folgen: Nach einem Monat im Krankenstand musste sie wenige Monate später ihre Arbeitsstelle kündigen, da sie sich fürchtete, allein in der Nacht unterwegs zu sein.

Da die beiden Frauen den Fahrer nicht mehr genau beschreiben konnten, wurde es für die Polizei kompliziert. Denn das Tatfahrzeug gehörte einem anderen, T. benutzte es nur. Außerdem musste eruiert werden, welche Rolle der tatsächlich bestellte Bolt-Fahrer in der Angelegenheit spielte. Erst ein DNA-Gutachten, das das Genmaterial des Angeklagten auf den Kleidungsstücken der Verletzten nachwies, führte zum Haftbefehl.

Der Privatbeteiligtenvertreter der beiden Frauen fordert für die 23-Jährige 9.810 Euro Schmerzengeld, für die jüngere Verletzte 1.100 Euro sowie 400 Euro Verdienstentgang. Ein Teil der geforderten Summe wird anerkannt, Verteidiger Flatz übergibt seinem Standeskollegen gleich im Saal 1.500 Euro für die Ältere und 500 Euro für die 22-Jährige.

Vorwurf für Verteidiger "absurd"

Flatz bleibt aber bei seiner Verteidigungsstrategie: Eine Vergewaltigungsabsicht sei "absurd", da T. keine Chance hatte, zwei Frauen gleichzeitig in seiner Gewalt zu halten. Auch die Tatsache, dass sein Mandant zurück in seine eigene Tiefgarage gefahren ist, sei in diesem Zusammenhang widersinnig, da er dadurch identifizierbar wurde.

Ganz anders sieht das der Staatsanwalt: "Das, was passiert ist, ist schlichtweg der Albtraum von jungen Frauen", hält er in seinem Schlussplädoyer fest. "Die große Frage ist: Was war das Motiv des Angeklagten? Ein Vergewaltigungsvorsatz liegt auf der Hand", ist der Ankläger überzeugt, da T. keine Anstalten gemacht hat, den Frauen etwas zu rauben. Für absurd hält er das nicht – "mir sind schon absurdere Dinge untergekommen", meint der Staatsanwalt.

Zwischen den Berufs- und Laienrichterinnen und -richtern scheint aber Diskussionsbedarf zu bestehen. Wird zunächst eine Beratungszeit von gut 15 Minuten angekündigt, erfolgt der Aufruf zur Urteilsverkündung erst nach knapp 50 Minuten. Schließlich verkündet Huber einen Schuldspruch im Sinne der Anklage und verurteilt T. bei einer Strafdrohung von zwei bis 15 Jahren zu viereinhalb Jahren Haft.

Strafe im unteren Drittel

"Der Senat hat Ihre Verantwortung als unglaubwürdig befunden", begründet die Vorsitzende die Entscheidung. Man glaube T. weder die Drogenbeeinträchtigung noch seine Angst vor den beiden Zugestiegenen. "Die subjektive Tatseite ist schwieriger, sie muss in so einem Fall aus den äußeren Umständen abgeleitet werden", erklärt Huber weiter. "Der naheliegendste Tatplan ist, dass Sie beide außer Gefecht setzen und danach vergewaltigen wollten", zeigt sich die Vorsitzende überzeugt. Eine Raubabsicht sieht sie nicht, da beispielsweise ein heruntergefallenes Mobiltelefon eines Opfers nicht berührt wurde.

Zur Überraschung der Zuhörerinnen und Zuhörer erklärt der Verteidiger nach mehrminütiger Beratung mit dem Angeklagten einen Rechtsmittelverzicht, auch der Staatsanwalt ist einverstanden, die Entscheidung daher rechtskräftig. (Michael Möseneder, 27.2.2023)