"Der 24. Februar 2022 markiert eine Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinents": Mit diesen Worten begann der deutsche Kanzler Olaf Scholz (SPD) wenige Tage nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine seine vielbeachtete Rede.

Im niedersächsischen Ostenholz ließ sich Olaf Scholz im Herbst die Leistungsfähigkeit der Truppe demonstrieren. Der deutsche Kanzler will die Soldaten besser ausrüsten, aber das dauert noch.
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Es war ein Sonntag, die Abgeordneten waren zu einer Sondersitzung zusammengekommen. "Der Krieg ist Putins Krieg", stellte Scholz klar und erklärte dann, welche Handlungsanleitung sich daraus für Deutschland ergebe: "Wir müssen deutlich mehr in die Sicherheit unseres Landes investieren, um auf diese Weise unsere Freiheit und unsere Demokratie zu schützen."

Als Scholz dann ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Truppe ankündigte, applaudierten viele, jemand rief laut "Bravo!".

Es klang damals auch recht einfach. "Wir brauchen Flugzeuge, die fliegen, Schiffe, die in See stechen, und Soldatinnen und Soldaten, die für ihre Einsätze optimal ausgerüstet sind", so der Kanzler.

Andere ahnten, dass es schwierig werden würde. Die Bundeswehr, machte Heeresinspekteur Alfons Mais recht deutlich, stehe "mehr oder weniger blank da". Denn die Truppe war von vielen Verteidigungsministern und -ministerinnen zusammengespart worden.

Ein Jahr ist nun seit der Zeitenwende-Rede vergangen, die Sondermittel sind vom Bundestag längst bewilligt. Doch getan hat sich nach Ansicht vieler noch viel zu wenig.

Nichts spürbar verbessert

"Für die Soldaten hat sich seitdem noch nichts spürbar verbessert. Ob bei Material, Personal oder Infrastruktur, es braucht in dieser Legislaturperiode eine echte in der Truppe spürbare Wende, sonst war’s das mit der Zeitenwende", sagt André Wüstner, der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbands.

Er kritisierte in der Bild am Sonntag: "Es geht noch viel zu langsam. Wir haben bis heute keine einzige Panzerhaubitze, die wir im letzten Jahr an die Ukraine abgegeben haben, oder gar Ersatzteilpakete dafür neu bestellt." Auch die "18 Leopard-Panzer, die wir an die Ukraine abgeben", müssten in den nächsten Wochen nachbestellt werden.

In Berlin hat sich, auch bei der oppositionellen Union, die Beschreibung von der Zeitenwende in Zeitlupe breitgemacht. CDU-Verteidigungspolitiker Johann Wadephul lobt zwar ein Jahr danach die Aussagen von Scholz noch als "große Rede". Aber: "Die Umsetzung ist bisher mangelhaft."

Als der CDU-Bundestagsabgeordnete Ingo Gädechens kürzlich im Berliner Finanzministerium nachfragte, wie viel Geld im Jahr 2022 von den 100 Milliarden Euro abgeflossen sei, bekam er folgende Antwort: "Das Sondervermögen Bundeswehr hat im Haushaltsjahr 2022 keine Mittel verausgabt."

30 Milliarden Euro verplant

Das Verteidigungsministerium weist allerdings darauf hin, dass rund 30 der 100 Milliarden Euro jetzt verplant seien. "Wir sind an die Regularien und Gesetze gebunden und dürfen erst zahlen, wenn die Leistung erbracht ist", heißt es. Damit werde unter anderem die Vollausstattung der Soldaten mit Kleidung, die Bewaffnung von Drohnen und die Beschaffung der US-Tarnkappenjets F-35 finanziert.

"Es ist bedauerlich, dass es aus dem Sondervermögen bisher nur wenige Bestellungen bei deutschen Unternehmen gab, weil die Politik im letzten Jahr stark mit Haushaltsfragen beschäftigt war", sagt der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV), Hans-Christoph Atzpodien. Er sei aber "zuversichtlich", dass "wir jetzt in der Breite Aufträge bekommen".

Laut Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) werde es noch drei Jahre dauern, bis das Sondervermögen ausgegeben sei. Und danach werde man noch mehr brauchen, auch für den laufenden Betrieb der Bundeswehr.

Apropos Haushalt. Scholz hatte vor einem Jahr auch erklärt, man werde von nun an Jahr für Jahr mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung investieren. Das fordern die USA schon lange von Deutschland. Nach regierungsinternen Berechnungen müsste dafür der Wehretat in diesem Jahr um 15 Milliarden Euro aufgestockt werden. (Birgit Baumann aus Berlin, 28.2.2023)