Südlich vom Tunnel durch die namensgebende Koralm wird die Jauntalbrücke – eine der höchsten Bahnbrücken Europas – derzeit für die Hochgeschwindigkeitsbahn aufgerüstet.

Foto: ÖBB/Emedia

Der nagelneue ÖBB-Bahnhof im südkärntnerischen Kühnsdorf schaut so aus, als könnte jeden Augenblick ein Zug einfahren. Die Baukräne haben das Areal längst verlassen, ein moderner Übergang für Fußgänger verbindet die Bahnsteige, viergleisige Schienen wurden verlegt und Wartehäuschen aus Glas aufgestellt.

Was fehlt, ist das Bahnhofsschild – und wenn es nach der Kärntner Politik geht, noch einiges an Beton. Denn der Bahnhof, der im Dezember als Puzzleteil der Koralmbahn auf Kärntner Seite in Betrieb genommen wird, ist aus ihrer Sicht zu kurz geraten.

Genauer gesagt: Die Bahnsteige sind rund 60 Meter zu kurz, wie der STANDARD von Albert Kreiner, dem zuständigen Abteilungsleiter der Kärntner Landesregierung, erfuhr. Sie sind demnach zwar lang genug für die Regional- und S-Bahnen, die mit Jahresende auf der neuen Strecke zwischen Wolfsberg im Osten und der Landeshauptstadt Klagenfurt elektrifiziert unterwegs sein werden. Aber nicht für künftige Intercity-Züge (IC) aus Graz und Wien, die hier nach Kärntner Wunsch einen Halt einlegen sollen, wenn mit dem 33 Kilometer langen Koralmbahn-Tunnel (2025) und dem Semmering-Basistunnel (2030) die ÖBB-Südstrecke in Betrieb geht.

Ab in den Süden

Die aktuellen Railjet-Modelle könnten zwar stehenbleiben. Aber: "Die ÖBB hat den Bahnhof zu kurz für die bereits bestellte neue Garnitur der Fernzüge gebaut – das verstehe ich einfach nicht", sagt Kreiner sichtlich verärgert. Eine fernverkehrstaugliche Haltestelle sei Kärnten vonseiten des Bundes und der ÖBB im Laufe der jahrelangen Verhandlungen über die Trasse mehrfach zugesagt worden.

Davon, dass die Grazer künftig statt zwei Busstunden nur noch 45 Minuten und die Wienerinnen vom Hauptbahnhof nur noch rund drei Stunden in den sonnigen Süden Österreichs brauchen, sollten immerhin nicht nur Klagenfurt und der Wörthersee profitieren – sondern auch der Klopeiner See und seine Tourismusbetriebe.

Unweit des alten Bahnhofs in Kühnsdorf wurde ein neuer Bahnhof für die Koralmbahn gebaut.

Auch der Bürgermeister der betroffenen Marktgemeinde Eberndorf, Wolfgang Stefitz (SPÖ), zeigt sich besorgt, dass ohne IC-Halt die neue Koralmbahn "an Südkärnten vorbeifahren" könnte. Wer dreimal öffentlich umsteigen muss, komme nicht mit den Öffis an den Klopeiner See, sagt Stefitz und verweist auf die sogenannte letzte Meile, die jedenfalls per Bus zu bewältigen ist.

Auch für die vielfach herbeigesehnten Betriebe würde der Standort mit IC-Halt um ein Vielfaches attraktiver. Er sieht sich aber noch nicht vor vollendete Tatsachen gestellt: Die ÖBB habe versichert, dass die Verlängerung der Bahnsteige weiterhin möglich sei – obwohl die Baustelle eigentlich fertig ist.

Bürgermeister Stefitz kämpft für einen Fernverkehrshalt und neue Betriebsansiedelungen in seiner Gemeinde – mit der Unterstützung des Zweiten Landtagspräsidenten Jakob Strauss (beide SPÖ).
Foto: Flora Mory

Hoffnungsschimmer

Zuletzt hatte es tatsächlich positive Signale für einen IC-Halt gegeben: In einem inoffiziellen Fahrplanentwurf des Verkehrsministeriums in Wien kam Kühnsdorf laut Berichten vor. Allerdings dürfte ein möglicher Halt der Koralmbahn am Flughafen Graz dem Wunsch Konkurrenz machen. Dieser soll einst vom damaligen freiheitlichen Landeshauptmann Jörg Haider (der den Bau der einst heftig umstrittenen und rund sechs Milliarden Euro teuren Koralmbahn im Bund hartnäckig vorantrieb) verhindert worden sein, heißt es in SPÖ-Kreisen. Im Amt der Kärntner Landesregierung dementiert man das als Mythos. Klar sei aber: Damit die ÖBB die rasche Geschwindigkeit im Fernverkehr einhalten könne, könne es wenn überhaupt wohl nur einen weiteren Fernzughalt geben – vorzugsweise in Kühnsdorf.

Ein IC-Halt war dort bisher nie vorgesehen, kommentiert ÖBB-Sprecherin Rosanna Zernatto-Peschel die Bahnsteiglänge auf Nachfrage. Sie bestätigt aber neue Überlegungen von ÖBB, Bund und Land über einen Halt in Kühnsdorf, deren Ausgang aber offen sei.

SPÖ-Landeshauptmann Peter Kaiser appelliert bei dem Spatenstich für einen Wohnkomplex in Wolfsberg, die "Jahrhundertchance" der Koralmbahn zu ergreifen.
Foto: Flora Mory

Nach bald 25-jähriger Planung sind aber nicht nur die ÖBB am Zug, das Beste aus der Koralmbahn zu machen: In Kärnten, wo bis Sonntag noch ein intensiver Landtagswahlkampf herrscht, wird der Tunnel als "Jahrhundertchance" beschworen – wie damals, als die Südautobahn gebaut wurde. Sichtbar ist die Veränderung allemal: Die Hochgeschwindigkeitstrasse – auf der bis zu 250 km/h möglich sind – entzweit die Landschaft. Alte Bahnhöfe in Ortsnähe werden aufgelassen, abseits der Orte entsteht moderner Ersatz und neue Park & Ride anlagen.

Schlafzimmer von Graz

Es gelte schon jetzt, Schritte einzuleiten, um diese Chance auch gut nützen zu können, sagte jüngst etwa Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ), der sich um seine Wiederwahl bemüht – wohl in Richtung der Anrainergemeinden der Bahn.

Immer wieder haben Kritikerinnen einigen Bürgermeistern Untätigkeit vorgeworfen: Es gelte, mehr Flächen für wirtschaftliche Zwecke zu sichern und umzuwidmen sowie Wohnraum für künftige Mitarbeiter zu schaffen. Sonst würden dringend benötigte Fachkräfte bald nur im Schnellzug Richtung Graz sitzen, und das ohnehin von Abwanderung betroffene Kärnten würde leer ausgehen.

Diese Gefahr sieht Stefan Salzmann nicht. Der 40-jährige Bürgermeister (SPÖ) der 3200-Seelen-Gemeinde Sankt Paul im Lavanttal, wo die schnellen Züge zwischen Graz und Klagenfurt fix auf halber Strecke halten werden. Es hätten sich bereits einige starke Betriebe in der Region angesiedelt, die künftig von der Bahn profitieren werden.

Für den Bürgermeister von Sankt Paul bricht mit der Koralmbahn eine aufregende Zeit an.
Foto: Flora Mory

"Und wenn wir zum Schlafzimmer für Graz und Klagenfurt werden, ich sehe darin kein Problem", erklärt er dem STANDARD. Es sei sogar Ziel, dass Sankt Paul zum schönsten Vorort für die Uni- und Landeshauptstädte, die künftig in rund 30 Minuten erreichbar sind, werde. "In puncto Abwanderung sei die Talsohle erreicht", zeigt er sich optimistisch. Nach Jahren des Bevölkerungsschwunds werde die Bahn die Trendwende einläuten.

Neuer Ballungsraum Österreichs

Salzmann unterlegt seine Zuversicht mit einer Studie der Denkfabrik Joanneum Research, wonach mit der von der EU mitfinanzierten Koralmbahn ein Ballungsraum mit 1,1, Millionen Menschen entsteht. Anstatt junge Leute zwanghaft in Sankt Paul festzuhalten, wolle er lieber Jungfamilien herlocken, für die der Wohnraum in der Stadt unattraktiv oder zu teuer geworden ist. Nicht mit der Aussicht auf ein Einfamilienhaus, sondern auf geförderten Wohnbau nach Vorarlberger Vorbild: verdichtete Flachbauten samt Garten oder Balkon.

Ebenfalls dem massiven Flächenfraß im Lavanttal und "alten Kirchturmdenken" entgegenwirken soll ein interkommunaler Gewerbepark (IGP) neben dem Bahnhof – auf Äckern, über die mit dem Besitzer (dem Benediktinerstift) verhandelt wird. Denn wenn mehrere Gemeinden die Kommunalsteuer kassieren, wird der Anreiz geschwächt, konkurrierende Gewerbeparks zu bauen, so Salzmann. Diesen Weg will auch die Marktgemeinde Eberndorf gehen und hat bereits einige Flächen optioniert und zum Teil erworben. Das Land hat zudem den Beschluss gefasst, den alten Bahnhof zu kaufen – für die Verladung von Gütern auf die Schienen. Die neue Bahn sei ein Gewinn, so Bürgermeister Stefitz – mit IC-Halt oder ohne.

Nicht alle sehen das so: In Klagenfurt und am Wörthersee, wo etliche Bewohner schon seit Jahren über den lärmenden Güterverkehr klagen, fürchtet man eine Verschlechterung bis hin zum Todesstoß für den Tourismus. Den von Bürgerinitiativen und Landesregierung geforderten Bau einer ausweichenden Gütertrasse lehnt die ÖBB bisher ab. Peter Unterluggauer von "Stop den Bahnlärm" warnt, dass den Unterkärntnern ähnliches Leid blühen könnte. (Flora Mory aus Eberndorf, 1.3.2023)