Organoide aus Hirnzellen (hier in vergrößerter Darstellung) könnten künftig die Grundlage für Biocomputer liefern. Verschiedene Zelltypen sind mit unterschiedlichen fluoreszierenden Farben dargestellt: Pink sind Nervenzellen (Neurone), grün Astrozyten, rot Oligodendrozyten. Alle Zellkerne sind blau eingefärbt.
Bild: Thomas Hartung, Johns Hopkins University

Die Zukunft der Computer ist organischer als gedacht. Sie dürfte nicht nur Siliziumchips und Quantenrechner zeigen, sondern auch Zellhaufen, die auf menschlichen Hirnzellen basieren. Solche Gehirn-Organoide – populärwissenschaftlich oft als "Mini-Hirne" bezeichnet – kommen zwar nicht an die Rechenleistung bisheriger Computer heran, können manchen Forschenden zufolge aber in anderen Bereichen glänzen: Die entsprechenden Fähigkeiten ließen sich analog zur künstlichen Intelligenz (KI) als "Organoid-Intelligenz", also OI, bezeichnen.

Eine Vorreiterrolle im Bereich Biocomputer will ein Forschungsteam der US-amerikanischen Johns Hopkins University in Baltimore um Thomas Hartung einnehmen. Pharmakologe Hartung, der aus Deutschland stammt, hat sich bisher vor allem einen Namen gemacht, weil er Organoide verwenden und verbessern will, um Tierversuche zu vermeiden. Dass die gezüchteten Hirnzellen auch die Technologie revolutionieren könnten, stellen er und sein Team nun im Fachjournal "Frontiers in Science" in Aussicht.

Thomas Hartung forscht in seinem Labor an Hirn-Organoiden. Im Gegensatz zu den meisten Zellkulturen sind Organoide nicht flach, sondern dreidimensional.
Foto: Will Kirk/Johns Hopkins University

Der Artikel des Forschungsteams skizziert vor allem, wie es in den kommenden Jahrzehnten in Sachen Biocomputer weitergehen könnte, und bleibt bei einer eher konservativ klingenden Schätzung: Das interdisziplinäre Forschungsfeld könnte sich noch während der Lebenszeit heute lebender Menschen zur Praxisanwendung entwickeln.

2.500 Terabyte Speicher

Um große Datenmengen zu verarbeiten und mit Zahlen umzugehen, bleiben wohl auch künftig siliziumbasierte Computer das beste Werkzeug. Das macht die KI Alpha Go deutlich, die für das Strategiespiel Go mit den Daten aus 160.000 Spielen gefüttert wurde, sagt Hartung: "Ein Mensch müsste mehr als 175 Jahre lang fünf Stunden am Tag spielen, um so viele Spiele zu erleben."

Doch Hirn-Organoide, die auf menschlichen Gehirnzellen basieren, hätten andere Vorteile. Sie seien etwa energieeffizient: Die Energie, die gebraucht wurde, um die Alpha-Go-KI zu trainieren, würde einem aktiven Erwachsenen locker für zehn Jahre reichen, während sein Gehirn auch noch ganz andere Leistungen vollziehen könnte.

Als weiteres Argument nennt Hartung die Speicherkapazität eines menschlichen Gehirns, die schätzungsweise 2.500 Terabyte beträgt. "Wir stoßen an die physikalischen Grenzen von Siliziumcomputern, weil wir nicht mehr Transistoren in einen winzigen Chip packen können", sagt Hartung. Das Gehirn sei hingegen völlig anders verdrahtet: "Es hat etwa 100 Milliarden Neuronen, die durch über 1.015 Verbindungspunkte miteinander verbunden sind. Das ist ein enormer Leistungsunterschied im Vergleich zu unserer heutigen Technologie."

Zellkultur spielt "Pong"

Nichtsdestotrotz bliebe noch viel zu tun, bis etwas wie ein Biocomputer tatsächlich nutzbar werden könnte. Das Besondere an Organoiden allgemein ist, dass sie im Gegensatz zu vielen anderen Zellkulturen in der Petrischale nicht nur flach sind, sondern eine dreidimensionale Struktur haben. So ist eine wesentlich größere Zelldichte möglich. In Hirn-Organoiden können Nervenzellen viel mehr Verbindungen untereinander knüpfen als auf nur einer Ebene. Die Strukturen bestehen aber nicht nur aus Neuronen, sondern auch aus verschiedenen anderen Zelltypen.

Jedoch sind Gehirn-Organoide derzeit noch sehr klein. Die "Mini-Hirne" können derzeit etwa 50.000 Zellen groß werden. "Für OI müssten wir diese Anzahl auf zehn Millionen erhöhen", sagt Hartung. Bisher konnte ein Forschungsteam um Brett Kagan, der ebenfalls an der aktuellen Publikation beteiligt war, zeigen, dass eine flache Hirnzellkultur quasi das simple Videospiel "Pong" spielen kann.

Dies wird nun mit Hirn-Organoiden getestet. "Ich würde sagen, dass das Nachstellen dieses Experiments mit Organoiden schon die grundlegende Definition von OI erfüllt", schätzt Hartung. Um entsprechende Forschung auf dem Weg zu Biocomputern voranzutreiben, sei aber auch die entsprechende Finanzierung nötig.

Bewusstsein aus der Petrischale

Aber kann ein Hirn-Organoid zum "richtigen" Gehirn werden? Die Forschungsgruppe betont, dass die Arbeit stets durch ethische Überlegungen begleitet wird und Fachleute aus dem Bereich der Bioethik wie auch die Öffentlichkeit den Fortschritt kontinuierlich evaluieren würden. Dies reicht an komplexe Fragestellungen heran, etwa die Frage, was überhaupt eine rudimentäre Art von Bewusstsein ausmacht.

Biologische Hardware: Wenn eine Art Organoid-Intelligenz anwendbar sein soll, müssten zunächst Zellkulturen verbessert und Hirn-Organoide komplexer werden.
Bild: Frontiers/John Hopkins University

Und es spricht zwar vieles dafür, dass das menschliche Gehirn selbst keine Schmerzen empfindet, sondern nur entsprechende Reize aus dem Rest des Körpers verarbeitet. Nichtsdestotrotz stellen manche sich auch bei entwickelten Hirn-Organoiden die Frage, ob sie Leid erfahren können. Hinzu kommen rechtliche Fragen – etwa welchen Einfluss und Anspruch Personen haben könnten, deren Hirnzellen dafür verwendet wurden, Organoide herzustellen.

Blick in die Glaskugel

Ein wichtiger Punkt, um Biocomputer herzustellen, ist auch die Kommunikation mit Hirn-Organoiden. Das Forschungsteam entwickelte bereits eine Hirn-Computer-Schnittstelle, sie erinnert im Prinzip an eine EEG-Haube, mit der bei Menschen Hirnströme gemessen werden können. Die flexible Hülle, die mit kleinen Elektroden versehen ist, kann Signale erfassen und auf das Organoid übertragen.

Wie bei vielen zukunftsträchtigen Technologien – etwa der Kernfusion – stellt sich die Frage, ob sie umsetzbar sind und wie realistisch der Zeithorizont ist, den Fachleute anstreben. Die Hoffnung auf Biocomputer ist jedenfalls nicht neu: Schon 1999 berichtete DER STANDARD über Hoffnungen auf entsprechende Innovationen, die schon zehn Jahre später, 2009, Biocomputer in den Handel bringen könnten. Eine sehr optimistische Schätzung, wie heute klar ist. (Julia Sica, 28.2.2023)