Die Parteichefin und ihr mächtigster Unterstützer – oder hat sich der Wind gedreht? Pamela Rendi-Wagner soll ihre von Michael Ludwig garantierte politische Lebensversicherung verloren haben, heißt es.

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Es gelang nicht, den Deckel draufzuhalten. Mitten im Kärntner Landtagswahlkampf, bei dem die Sozialdemokraten einen der ihnen noch verbliebenen drei Landeshauptmannsessel zu verteidigen haben, kocht die Führungsdebatte einmal mehr hoch. Die Frage, wer von der Parteispitze aus um die Kanzlerschaft ringen soll, müsse rasch – und notfalls auch in einer Kampfabstimmung – geklärt werden, forderte Johannes Kunz, einst Pressesprecher von Überkanzler Bruno Kreisky, in einem Gastkommentar im STANDARD; weiteres Zaudern laufe auf Selbstbeschädigung hinaus. Zeitgleich kolportierten Medien, dass es für Pamela Rendi-Wagner nun wirklich eng werden könne.

Vieles, was da thematisiert wird, ist nicht neu. Spätestens seit der Niederlage bei der Nationalratswahl im Herbst 2019 ist es eine bittere Tatsache: Journalisten müssen nicht lange suchen, um unter roten Funktionären Kritiker Rendi-Wagners zu finden. Die Parteichefin und ihr Team beherrschten das politische Handwerk nur leidlich, lautet der Vorwurf. Angesichts der für eine linke Partei günstigen Themenlage – Stichwort Teuerung – müsste die SPÖ in Umfragen weit vorausliegen, statt sich von der FPÖ abhängen zu lassen. Und wie schon in der Vergangenheit prophezeien auch heute wieder Genossen: Die Zeit der Obfrau sei abgelaufen.

Schutzherr im Rathaus

Nahrung gibt dieser Vermutung ein Gerücht, das der "Kurier" transportierte. Wiens Bürgermeister Michael Ludwig, mutmaßlich mächtigster Mann in der SPÖ, soll von der umstrittenen Frontfrau abgerückt sein.

Um zu verstehen, wie die beiden zueinander stehen, gilt es, ein Stück auszuholen. Ludwig zählt keinesfalls zu jenen Strippenziehern, die PRW – so ihr parteiinternes Kürzel – nach dem Abgang von Christian Kern im November 2018 auf den Schild gehoben hatten. Auch hatte der Chef der Wiener SPÖ schon manches an ihrer Politik auszusetzen – etwa als sie vor drei Jahren eine Urabstimmung über ihre eigene Zukunft anstrengte oder sich im vergangenen Dezember ohne interne Absprache dem Nein der ÖVP zum Schengen-Beitritt Rumäniens und Bulgarien anschloss.

Dennoch hat Ludwig Rendi-Wagner bis dato weitgehend gestützt, was angesichts des großen Gewichts der Wiener Partei in der SPÖ einer Lebensversicherung gleichkommt. Das habe, so meinen Insider, mehrere Gründe. Erstens sei Loyalität für Ludwig ein hohes Gut: Was er sich von den eigenen, einst ebenfalls zerstrittenen Funktionären in der Hauptstadt erwartet, lebe er gegenüber der Obfrau vor. Zweitens halte der Lenker im Rathaus Führungsdebatten für fatal, solange sich keine taugliche Alternative abzeichne. Doch genau daran haken diverse Planspiele über die Ablöse Rendi-Wagners (siehe Personalien unten).

Drittens eint das Duo die enge Beziehung zu einer einflussreichen Frau. Doris Bures, Zweite Nationalratspräsidentin, hat Ludwig einst beim Kampf um das Bürgermeisteramt gegen dessen Rivalen Andreas Schieder unterstützt, ist aber auch zur Vertrauten Rendi-Wagners avanciert. Die Ex-Ministerin gilt somit als Bindeglied zwischen den Chefetagen in Wien und der Bundespartei.

Druck von der Basis

Doch Ludwig kann nicht einfach nach Gutdünken entscheiden, sondern muss auf die Stimmung seiner Anhängerschaft achten. Mache sich unter den Stadtfunktionären der Eindruck breit, dass die Performance der Bundes-SPÖ auch sie hinunterziehe, wachse der Druck auf den Bürgermeister, sagt ein Genosse. So geschehen bei einer Sitzung des sogenannten Wiener Ausschusses am vorvergangenen Montag. Ein Bezirkschef soll da Klartext gesprochen haben, berichtet ein Augenzeuge: Man solle sich nicht in die Tasche lügen, dass es mit Rendi-Wagner noch aufwärtsgehen könne.

Gesagt haben soll dies Rudolf Kaske, Vorsitzender in Simmering. Auf Nachfrage des STANDARD stellt der ehemalige Arbeiterkammerchef seine Wortmeldung allerdings anders dar. Er habe darauf hingewiesen, dass die Führungsfrage gelöst werden müsse, damit endlich Inhalte im Vordergrund stünden, erläutert Kaske. Dass die Entscheidung zulasten Rendi-Wagners ausgehen müsse, habe er nie gesagt: "Ich habe ihren Namen nicht einmal ausgesprochen."

In seiner Antwort äußerte sich Ludwig – so weit decken sich die Berichte – ähnlich: Die Personaldebatte müsse vom Tisch, sonst komme die SPÖ nie mit ihren Themen durch. Darüber hinaus unterscheiden sich aber die Versionen. Manche haben den Obergenossen so verstanden, dass die Personalfrage offen sei und nach der Kärntner (5. März) oder Salzburger Landtagswahl (23. April) gelöst werden müsse. Aus Ludwigs Büro heißt es hingegen: Der Bürgermeister habe ausgedrückt, dass der Fokus nach den Wahlen "ganz klar" auf dem Rückhalt für Rendi-Wagner liegen müsse.

Am späten Dienstagnachmittag nahm schließlich Ludwig auch persönlich Stellung. "Die Sozialdemokratie war immer dann stark, wenn der Zusammenhalt, die Solidarität im Vordergrund gestanden ist", sagte er vor einer Veranstaltung zum Thema Zukunft der Demokratie, bei der die SPÖ an die Ausschaltung des Parlaments im März 1933 erinnerte. Er stehe "ganz stark" hinter der Vorsitzenden: "Daran gibt es nichts zu rütteln."

Den Hinweis auf triste Umfrageergebnisse, laut denen die SPÖ inzwischen den ersten Platz verloren hat, quittierte er betont gelassen: "Ich will nur daran erinnern, dass wir noch vor kurzer Zeit als SPÖ mit Abstand auf dem ersten Platz gelegen sind." Auch da sei Rendi-Wagner an der Spitze der Partei gestanden, "von da her ist es immer ein Auf und Ab". In den Wiener Gremien habe er zuletzt lediglich betont, dass es notwendig sei, gemeinsam aufzutreten – und dass Wortmeldungen in den Medien manchmal "nicht hilfreich" seien.

Angebliche Zwischenlösung

Ein Dementi kommt auch von Bures' Seite. Nicht zum ersten Mal wird die erfahrene Wienerin als interimistische SPÖ-Chefin gehandelt, die bis zu einem Parteitag eine geordnete Übergabe an eine für den Wahlkampf geeignete Führungspersönlichkeit vorbereiten soll. Weil damit der Posten im Nationalratspräsidium frei würde, stünde für PRW ein gesichtswahrendes Ausgedinge parat. Ein Sprecher von Bures sagt allerdings: An all diesen Spekulationen sei absolut nichts dran.

"Totale Unterstützung" Rendi-Wagners verspricht auch Frauenvorsitzende Eva-Maria Holzleitner. Dass manche in der Partei ständig am Posten der Obfrau rüttelten, qualifiziert sie als unprofessionell und respektlos jenen gegenüber, die sich im Wahlkampf für die SPÖ die Füße wundliefen – und sich dann für die Führungsdebatten rechtfertigen müssten. Es sei auffällig, dass sich in erster Linie Männer zu Wort meldeten, sagt Holzleitner. In puncto Emazipation sei "das Ende der Fahnenstange auch in der SPÖ noch nicht erreicht. Das betrifft auch die Solidarität gegenüber unserer Parteivorsitzenden."

SPÖ-Vizeklubobmann Jörg Leichtfried spricht von "intriganten Spielchen": Gerüchte über eine Ablöse würden jeder Grundlage entbehren.

Das wirft die Frage auf, ob jemand die Gerüchte gezielt gestreut hat. Manche Genossen tippen auf die ÖVP – andere auf den üblich Verdächtigen Hans Peter Doskozil samt seiner Anhängerschaft. Doch in diesem Fall ist das nicht unbedingt plausibel. Aus der Perspektive der Fans des burgenländischen Landeshauptmanns ist die Bures-Variante eher ein Versuch, Doskozil zu verhindern: Da wolle sich ein Klüngel wieder einmal im Wiener Hinterzimmer ausschnapsen, wer die SPÖ anführen solle. (Gerald John, Walter Müller, 28.2.2023)