In Flirtlaune: Anna (Emma Drogunova) und Jonas (Gustav Schmidt).

Foto: WDR/Gaumont/Lotta Kilian

Podcasterin Kelly (Shari Asha Crosson) ergründet die unterschiedlichen Perspektiven auf die Tat.

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Es ist warm und sonnig in der Stadt, die Stimmung ist gelöst, der Alkohol fließt in rauen Mengen, Flirts sind immer und jederzeit willkommen. Ein solcher entwickelt sich auch zwischen der 27-jährigen Anna (Emma Drogunova) und dem um ein Jahr älteren Jonas (Gustav Schmidt). Die beiden lernen sich über einen gemeinsamen Freund vor der Uni kennen. Nach einem eher bedeutungslosen One-Night-Stand treffen sie immer wieder aufeinander, genießen ihre rhetorischen Scharmützel, provozieren sich verbal, sie sind beide belesen, diskursfreudig, es geht um Mansplaining, Sexismus, Genderdebatte.

Sie sagt "Nein", er spricht von einvernehmlichem Sex

Zwei Menschen, bei deren flirtfreudigen Begegnungen man gerne zuschaut und zuhört. Interessant, ironisch, amüsant, aber harmlos. Bis zu jener Nacht, als Anna von Jonas vergewaltigt wird. Nach einer Party landet sie sturzbesoffen bei ihm im Bett, hat so etwas wie einen Filmriss, erinnert sich aber an ihr Nein. Jonas hingegen spricht von einvernehmlichem Sex. Er ist es gewohnt, dass ihm geglaubt wird, fühlt sich missverstanden, weil er doch "einer von den Guten" ist. "Ein Feminist", wie seine Mutter einmal sagt.

Verschiedene Perspektiven

Der ARD-Film "Nichts, was uns passiert" – zu sehen am Mittwoch um 20.15 Uhr in der ARD und noch länger in der Mediathek des Senders – basiert auf dem gleichnamigen Roman von Bettina Wilpert. Verfilmt wurde er von Regisseurin Julia C. Kaiser. Sie führt im Film auch die Podcasterin Kelly (Shari Asha Crosson) ein, die Anna, Jonas und deren Freunde und Familie interviewt und so uns Zuschauerinnen und Zuschauern die unterschiedlichsten Perspektiven – die des Täters und des Opfers, aber auch jene des Umfelds – näherbringt. "Unser Grundsatz war, dass es keine objektive Perspektive geben kann. Eher war die Frage, inwiefern Situationen unterschiedlich wahrgenommen, erzählt und erinnert werden und es dabei nicht nur die eine Wahrheit gibt. Diese unterschiedlichen Realitäten existieren parallel", sagt Kamerafrau Lotta Kilian.

"Vergewaltigung ist nichts, was uns passiert"

Anna ist seit jener Nacht traumatisiert, will aber "keines dieser #MeToo-Opfer" sein. "Vergewaltigung ist nichts, was uns passiert, Vergewaltigung passiert anderen Leuten." Ihr geht es vor allem darum, dass Jonas versteht, was er getan hat, und dass er sich dafür entschuldigt. Sie will, dass er für seine Tat Verantwortung übernimmt. Doch das passiert nicht. Im Gegenteil, er tut so, als sei nichts passiert.

Erst Wochen nach der Vergewaltigung zeigt Anna Jonas an, ihre Schwester ermutigt sie dazu. Eine beklemmende Situation auf dem Polizeikommissariat folgt – inklusive dem Rat, weniger zu trinken. Das Verfahren wird aus Mangel an Beweisen eingestellt, es steht Aussage gegen Aussage.

Trotzdem war diese Anzeige wichtig, Anna hat sich gewehrt – oder wie es Podcasterin Kelly ausdrückt: "Du hast dir deine Geschichte zurückgeholt." Ein wichtiger, starker Film. Empfehlung. (Astrid Ebenführer, 1.3.2023)