Zerstörter Wohnblock in Antakya.

Foto: REUTERS/Eloisa Lopez

Istanbul – Wegen mangelnder Erdbebensicherheit hat in der Millionenmetropole Istanbul die Evakuierung zweier Krankenhäuser begonnen. Die Patienten des staatlichen Krankenhauses Kagithane würden in ein Spital im Stadtteil Sisli verlegt, sagte Gesundheitsminister Fahrettin Koca am Dienstag in Hatay. Der Umzug sei in ein paar Tagen abgeschlossen. Auch das Universitätskrankenhaus Istanbul Cerrahpasa werde evakuiert. Die türkische Millionenmetropole Istanbul ist stark erdbebengefährdet.

Das Cerrahpasa-Krankenhaus hatte am Montag mitgeteilt, dass nach der Erdbeben-Katastrophe vom 6. Februar in der Südosttürkei die Gebäude erneut auf Sicherheit hin überprüft worden seien. Ein Großteil des Krankenhauskomplexes habe dem nicht standgehalten, deswegen könne der Betrieb nicht fortgesetzt werden. Betroffen seien unter anderem 800 Betten der Inneren Medizin und Chirurgie, 32 Operationssäle sowie Intensiv- und Dialyse-Station. Insgesamt gehe es um eine Fläche von 105.000 Quadratmetern, die nicht mehr nutzbar sei.

Erdoğan bittet um Vergebung

Präsident Tayyip Erdoğan bat am Montag um Vergebung für Verzögerungen bei der Erbeben-Hilfe. Am 6. Februar hatten zwei Beben der Stärke 7,7 und 7,6 die Südosttürkei und den Nordwesten Syriens erschüttert. Mehr als 50.000 Menschen sind in der Türkei und Syrien ums Leben gekommen. Allein in der Türkei wurden nach Angaben der dortigen Regierung mehr als 173.000 Gebäude in elf Provinzen des Landes zerstört.

Nach den Beben vor drei Wochen war Kritik am Krisenmanagement der Regierung laut geworden. Vielerorts wurde beklagt, dass Rettungsteams zu spät, in zu geringer Zahl und mit zu wenig Ausrüstung in die Krisenregion gekommen seien. Unter Trümmern verschüttete Menschen hätten so nicht gerettet werden können. In den Erdbebengebieten herrschten vielerorts Minusgrade, viele der Eingeschlossenen erfroren. In der Provinz Hatay etwa fehlt es Augenzeugen zufolge zudem auch drei Wochen nach den ersten Beben noch immer an Zelten.

"Ein Jahr Zeit"

Erdoğan räumte nun einmal mehr Versäumnisse ein und sagte bei einem Besuch in Adiyaman, aufgrund der großen Zerstörung, der Wetterbedingungen und der Schäden an der Infrastruktur habe man in den ersten Tagen nicht in der "gewünschten Effektivität" arbeiten können. Deswegen bitte er um Vergebung. Er bat zudem "um ein Jahr" Zeit, um "die Wunden des Erdbebens zum Großteil" zu heilen. "Wie jeder Sterbliche können auch wir Fehler, Mängel und Makel haben."

Erdoğan mahnte jedoch auch, die Menschen sollten nicht auf die "Narren" hören, die staatliche Krisendienste angegriffen hätten. Die Opposition kritisierte dagegen den Vorstoß des türkischen Präsidenten. Man nehme die Entschuldigung nicht an, schrieb etwa die prokurdische Partei HDP auf Twitter. Der Chef der Oppositionspartei Deva erklärte, Erdoğan könne der Verantwortung nicht entkommen.

Zelte verkauft

In Kritik für ihren Umgang mit dem Erdbeben geriet auch der türkische Rote Halbmond – die größte Wohltätigkeitsorganisation in der Türkei. Sie soll Zelte für Erdbebenopfer an die private Hilfsorganisation Ahbap verkauft haben – statt sie kostenlos zu verteilen. Der Ahbap-Vorsitzende und Musiker Haluk Levent bestätigte am Montag entsprechende Berichte.

Der Chef des türkischen Roten Halbmonds, Kerem Kinik, gab zu, dass seine Organisation 2.050 Zelte an Ahbap gegen ein Entgelt geliefert habe, Gewinn sei aber nicht erzielt worden. Eine für die Herstellung von Zelten zuständige Tochterfirma habe die Zelte zum Preis der Produktionskosten zur Verfügung gestellt, schrieb er auf Twitter. Das Vorgehen löste im Land große Empörung aus.

Cholera-Ausbruch

Nach dem Erdbeben sind im Nordwesten Syriens einem Helfer zufolge Menschen an Cholera gestorben. Es gebe zwei Tote in dem von der Opposition kontrollierten Gebiet, sagte ein Mitarbeiter dort tätiger Rettungskräfte am Dienstag der Nachrichtenagentur Reuters. Bei dem Beben Anfang Februar waren nach offiziellen Angaben auf syrischer Seite mehr als 4.000 Menschen getötet worden.

Auch Strukturen im Gesundheitswesen und in der Wasserver- und Entsorgung wurden zerstört. Deshalb wird ein weiterer Anstieg der Cholera-Fälle befürchtet, die auf schweren Durchfall und Erbrechen in Folge von verunreinigtem Trinkwasser und mangelnder Hygiene zurückzuführen sind.

Milliardenschaden

Die Erdbeben-Katastrophe hat nach Schätzung der Weltbank allein in der Türkei einen reinen Sachschaden von mindestens 34,2 Milliarden US-Dollar (rund 32,4 Milliarden Euro) verursacht. Das entspreche vier Prozent des Bruttoinlandprodukts des Landes im Jahr 2021, hieß es in einem entsprechenden Bericht. Die Kosten für den Wiederaufbau könnten möglicherweise mehr als doppelt so hoch sein. Das hänge auch davon ab, inwieweit neue Bauvorschriften angewendet würden.

Die von der Katastrophe betroffenen Regionen haben in der Türkei die höchste Armutsquote und beherbergen außerdem mehr als 1,7 Millionen syrische Flüchtlinge, wie es in dem Bericht weiter heißt. Die Weltbank schätzt, dass 1,25 Millionen Menschen aufgrund der Schäden an ihren Wohnhäusern oder eines vollständigen Gebäudeeinsturzes vorübergehend obdachlos geworden sind. Die türkische Regierung hatte zuletzt von rund zwei Millionen Menschen ohne Obdach gesprochen.

Das Erdbeben hat die Türkei mitten im Wahlkampf getroffen. Erdogan hatte vor der Naturkatastrophe angekündigt, die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen von Juni auf den 14. Mai vorzuziehen. Ob er daran festhält, ist derzeit unklar. (red/APA, 28.2.2023)