Überzeugt ist man jedenfalls von der eigenen Erfindung. In ein paar Jahren schon sollen viele neue Smartphones nicht nur gute Fotos liefern, sondern gute Fotos mit akkuraten Farben. Das Problem dürfte vielen Handybesitzern nicht ganz unbekannt sein. Sehen auf untertags bei guten Lichtbedingungen geschossenen Bildern in der Regel auch die Farben lebensnah aus, wird es mit der Echtheit schwierig, sobald Kunstlicht ins Spiel kommt.

Bei einem Hersteller geraten Fotos dann leicht rötlich, beim anderen schleicht sich ein Gelbstich ein. Trotz aller "Softwaremagie" sind auch High-End-Geräte von Samsungs Galaxy-S-Reihe bis zu Apples iPhone davor nicht gefeit. Das will das 2018 in Belgien gegründete Unternehmen Spectricity lösen – und dabei auch noch einen Rattenschwanz anderer Problemstellen lösen. DER STANDARD hat sich im Rahmen des Mobile World Congress in Barcelona die Technologie näher angesehen.

Der Spectricity S1 hat das Format üblicher Fotosensoren für Handys.
Foto: DER STANDARD/Pichler

Imec-Ausgründung

CEO Vincent Mouret bereitete den Empfang in einem kleinen Konferenzraum eines ans Messegelände angrenzenden Hotels. Nicht ohne Stolz referierte er zuerst über die Geschichte seines Unternehmens. Gegründet wurde es 2008 am Interuniversity Microelectronics Centre (Imec) im belgischen Leuven. Es zählt zu Europas wichtigsten Forschungszentren für Mikroelektronik und Nanotech.

Mittlerweile ist man selbstständig und konnte nach eigenen Angaben 23 Millionen Euro an Kapital über zwei Finanzierungsprogramme lukrieren. 35 Mitarbeiter hat die Firma, verteilt auf vier Länder. Der Großteil des Teams befindet sich in Belgien, der Rest teilt sich auf Taiwan, den Produktionsstandort Malaysia und die USA auf. 66 Patente konnte man seit dem Start anmelden.

Das aktuelle Testkit des Unternehmens besteht aus dem S1 und einer RGB-Kamera.
Foto: DER STANDARD/Pichler

Mehr als RGB

Doch genug der Zahlen, denn am Ende zählt die Technologie dahinter. Das "Baby" von Spectricity ist ein multispektraler Farbsensor mit der Modellbezeichnung S1. Er soll, so das Sujet der Firma, Handys die "Farbenblindheit" austreiben. Die Funktionsweise erklärt man so: Während gängige Kameras drei relativ breite Frequenzblöcke des Lichts verarbeiten – Rot, Grün, Blau –, filtern die Pixel hier insgesamt 16 Teilfrequenzen. 15 davon befinden sich im sichtbaren Bereich des Lichts, einer im Nahinfrarotspektrum.

Dadurch gewinnt man wesentlich mehr Informationen über die zu sehende Farbe, sprich: ihre spektrale Signatur, die sich damit akkurater abbilden lässt. Zwar ist in der digitalen Verarbeitung der Sensordaten immer noch etwas "Schätzarbeit" nötig, aber eben längst nicht so viel wie bisher. Das Verfahren an sich ist nicht ganz neu, Spectricity ist allerdings eine Miniaturisierung gelungen, die die Implementation in Smartphones und andere kompakte Geräte erlaubt. Dabei soll der Sensor von Spectricity nicht als eigene Kamera agieren, sondern als Helfer einer üblichen RGB-Kamera.

Das Test-Setup vor Ort.
Foto: DER STANDARD/Pichler

Gelungene Vorführung

Dass das Behauptete auch funktioniert, war man auch erpicht vorzuführen. In einer von zwei verschließbaren Fotoboxen wurden ein iPhone und das aktuelle Testkit, bestehend aus einem Kamerasensor und dem Spectricity S1, platziert. Deren Output konnte auf einem Laptop mitverfolgt werden. Der Innenraum bot ein Motiv bestehend aus zwei Quietschenten und einer Abwandlung eines Rubikwürfels vor grünlichem Hintergrund.

Nacheinander wurden unterschiedliche Lichtquellen eingeschaltet, die in der Fotobox montiert waren: eine Energiesparlampe sowie warmweiße und kaltweiße LEDs. Das iPhone bildete unter letzterem Lichteinfluss den Innenraum farblich noch brauchbar akkurat ab, driftete bei der wärmeren Beleuchtung aber deutlich ins Rötliche ab. Das Testkit hingegen erbrachte Aufnahmen mit konstanter und realistischer Färbung und nur minimalen Abweichungen zwischen den Lichtquellen. Spectricity liefert dazu auch Testfotos in seiner Broschüre, die das Liveerlebnis gut repräsentieren. Im zweiten Vorführbereich teilte der Sensor recht präzise das von ihm erfasste Motiv in Farbblöcke auf, die anhand der erkannten Lichtfrequenzen gut markierten, welche von mehreren Lichtquellen am stärksten darauf einwirkte.

Die Broschürenbilder von Spectricity entsprechen ziemlich genau den Resultaten bei der Vorführung.
Foto: Spectricity

Bis voraussichtlich die ersten Handys mit dem Sensor den Markt erreichen, sind aber noch Probleme zu lösen. Bei der Demonstration dauerte es einige Sekunden, bis die Aufnahme der RGB-Kamera mit dem S1-Sensor und der Software von Spectricity nachträglich getunt wurde. Länger, als die meisten Smartphonenutzer wohl zu warten gewillt sind, um ein fertiges Foto zu erhalten.

Das, sagt Mouret, ist ein gut lösbares Softwareproblem, zumal moderne Telefone ohnehin mehr als genug Leistung erbringen. Die für die Bildverarbeitung notwendigen Berechnungen ließen sich sogar direkt in die Software der Chips integrieren.

Vielfältig anwendbar

Das Interesse an der Technologie sei jedenfalls groß, viele relevante Smartphonehersteller würden bereits mit den Testkits arbeiten. Man selbst verfüge auch schon über alle notwendigen Kapazitäten für die Massenproduktion. Dazu ist man verpartnert mit dem südkoreanischen Unternehmen Namuga. Die 2004 gegründete Firma ist schon lange am Markt tätig, unter anderem seit 15 Jahren in Diensten von Samsung.

Auch dünklere Hautfarben sollen sehr konsistent und genau erfasst werden.
Foto: Spectricity

Die Anwendungsmöglichkeiten gehen weit über Schnappschüsse mit akkuraten Farben hinaus, so Mouret. Er sieht Potenziale auch im E-Commerce, etwa beim Verkauf von Mode. Zudem sei die Entwicklung für die Kosmetikindustrie relevant, die personalisierte Hautcremes und Schminkprodukte als ihr nächstes "großes Ding" etablieren will.

In der Medizin lässt sich die Technologie einsetzen, um Hautauffälligkeiten besser einschätzen zu können. Der Spectricity S1 könne außerdem zur Messung von Durchblutung, Melaninkonzentration und und Sauerstoffsättigung herangezogen werden. Nicht zuletzt verspricht er die realistische Abbildung von Hauttönen. Unternehmen wie Apple und Google investieren hier stark in Postprocessing-Algorithmen und künstliche Intelligenz, um insbesondere dünklere Hautfarben präziser einfangen zu können. Diese Lösungen, lehnt sich Mouret aus dem Fenster, könnten aber niemals so genau arbeiten, weil ihnen die Datengrundlage fehlt, die der Multispektrum-Sensor liefert.

Lange soll es jedenfalls nicht mehr dauern, bis die Entwicklung den Beweis am Markt antreten soll. Erste damit ausgerüstete High-End-Handys erwartet er bereits für 2024. (Georg Pichler, 1.3.2023)