Die Fashion-Bloggerin Carola Pojer will sich von einer App nicht unter Druck setzen lassen.

Foto: Pilar Schacher

Bisher waren Social Media – einigermaßen – demokratisch, insofern als dass sich jedermann unter denselben Voraussetzungen Reichweite erarbeiten konnte. Zwar gab es auch bisher die Möglichkeit, sich als Werbekunde zusätzliche Reichweite zu erkaufen, und auch die umstrittene Praxis gekaufter Likes ist mittlerweile nicht mehr neu. Dennoch hatten NGOs und aktivistische Gruppierungen eine Chance, ein ebenso großes Publikum zu erreichen wie größere Gegenspieler.

Mit den verifizierten Premiummodellen könnte sich das nun ändern, indem die "blauen Haken" auch käuflich erworben werden können. Was bedeuten diese Änderungen nun für jene, die diese Plattformen beruflich nutzen und sich ihre Accounts – zum Teil über Jahre hinweg – selbst aufgebaut haben? DER STANDARD hat mit Influencerinnen gesprochen und sie nach ihrer Meinung gefragt.

Premiummodelle im Überblick

Die neuen Bezahlabos von Twitter und Meta werben mit verbesserten Sicherheitsfeatures, aber auch mit einer Priorisierung der jeweiligen Nutzerinnen und Nutzer. So werden die Antworten auf Tweets von Twitter-Blue-Accounts "leicht bevorzugt", und auch die Länge der Tweets erhöht sich von 280 auf 4.000 Zeichen.

Auch der Facebook-Mutterkonzern Meta führt mit Meta Verified demnächst einen Premium-Service ein. Wie schon bei Twitter werden verifizierte Konten dann mit einem blauen Haken versehen. Allerdings geht Meta noch einen Schritt weiter: So soll es für die zahlenden Kundinnen und Kunden zusätzlich zur gesteigerten Reichweite auch einen direkten Draht zum Kundensupport geben. Die Verifizierung bei Meta soll – im Unterschied zu Twitter – mittels Personalausweis erfolgen.

Nur eine Frage der Zeit

Carola Pojer ist Fotografin und Gründerin des erfolgreichen Fashion-Blogs "Vienna Wedekind". Auf Instagram hat sie 152.000 Follower um sich geschart, den blauen Haken hat sie auch jetzt schon – ohne Premium-Abo. Die Einführung kostenpflichtiger Accounts kommt für sie nicht überraschend. "Es war nur eine Frage der Zeit, bis Instagram anfängt, Reichweite zu monetarisieren", sagt sie gegenüber dem STANDARD.

Für Kreative verliere die App zunehmend Attraktivität, führt sie weiter aus. "Früher war es ein freier Kanal, um sich auszudrücken und Inspirationen zu teilen, heute sind wir alle Geiseln des Algorithmus", fasst sie die Entwicklung der letzten Jahre zusammen. Sie werde sich jedenfalls nicht von einer App unter Druck setzen lassen und beobachten, wie sich die Einführung der verifizierten Accounts letztendlich auswirken wird. "Ich denke aber, dass da viel heiße Luft generiert wird", so Pojer.

"Früher war es ein freier Kanal, heute sind wir alle Geiseln des Algorithmus", sagt Fashion-Bloggerin und Fotografin Carola Pojer über Instagram.
Screenshot: Carola Pojer, Instagram, @carolapojer

Mehr Druck, mehr Hetze?

Etwas weniger gelassen sieht das die Influencerin Julia Gruber. Auf ihrem Instagram-Account postet sie unter @trinksaufmich feministische Inhalte zu Themen wie Beziehungen, Selbstliebe, und Diskriminierung. 28.500 Follower zählt ihr Instagram-Account, einen blauen Haken hat sie aber nicht. Ihre Reichweite hat sie sich über die Jahre ausschließlich mit dem von ihr geteilten Content erarbeitet.

Dass es demnächst auch im deutschsprachigen Raum möglich sein soll, dass sich jedermann (und -frau) zusätzliche Reichweite erkaufen kann, mache ihr Angst und steigere "den Druck, den man als Content-Creator hat", sagt sie dem STANDARD. Außerdem sieht sie auch die Gefahr des Missbrauchs, denn verifizierte Accounts könnten für "bestimmte Themen und Hetze" ausgenutzt werden.

Auf Instagram erreicht Julia Gruber 28.500 Menschen – für Reichweite bezahlt hat sie dabei nicht.
Screenshot: Instagram, Julia Gruber, @trinksaufmich

Erhöhte Reichweite für problematischen Content

Ähnlich skeptisch zeigt sich Christl Clear, die mit ihrem Instagram-Profil 44.800 Menschen erreicht und sich zu Lifestyle-Fragen, aber auch gesellschaftlichen Themen äußert. "Viele Accounts, die problematischen und gefährlichen Content veröffentlichen und promoten, können sich dann in Zukunft noch mehr Gehör verschaffen", gibt sie zu bedenken.

Erschwerend komme da noch hinzu, dass Meta ihrer Erfahrung nach "einen richtig schlechten Job macht, all den toxischen Content zu unterbinden". Sie befürchte, dass Accounts von NGOs und aktivistischen Gruppen bei dem neuen System auf der Strecke bleiben, weil sie sich einen kostenpflichtigen Zugang nicht leisten können oder wollen, während andere "lauter und mächtiger" werden. Auch Julia Gruber ist gespannt, inwiefern all jene, die diese Plattformen regelmäßig nutzen, aber kein kostenpflichtiges Abo abschließen wollen, noch weiter eingeschränkt werden.

"Viele Accounts, die problematischen und gefährlichen Content veröffentlichen und promoten, können sich dann in Zukunft noch mehr Gehör verschaffen", sagt Christl Clear, die einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn hat und sich auch gesellschaftskritisch äußert.
Foto: Xenia Trampusch

Eingeschränkte Reichweite für politischen Content

Bereits jetzt haben politische Content-Creator mit eingeschränkter Reichweite zu kämpfen. Wenn Julia eine Story postet, wird diese an manchen Tagen über 10.000-mal angesehen. "Wenn ich dann aber feministische Themen anspreche oder mich politisch in meiner Story äußere, sehen die Story plötzlich nur noch 3.000 Menschen", erzählt sie.

Grund dafür seien Beschränkungen seitens Meta, wenn gewisse Begriffe in einem Post vorkommen. "Wörter wie 'queer' oder 'Sexismus' gehören da dazu", aber auch Werbekooperationen würden erkannt und weniger häufig angezeigt – sofern es sich nicht um bezahlte Anzeigen handelt.

Postings wie diese können die Reichweite schon einmal beschränken. Wenn sie sich politisch äußert, haben ihre Storys weniger Reichweite, berichtet Julia Gruber alias @trinksaufmich.
Screenshot: Instagram, Julia Gruber, @trinksaufmich

Exodus auf andere Plattformen?

"Meta tut sich damit auf lange Sicht sicher keinen Gefallen", meint Christl Clear. Zwar würden durch die Bezahl-Abos zusätzliche Einnahmen lukriert, langfristig bestehe aber die Gefahr, dass Userinnen und User auf andere Plattformen wie Tiktok, Pinterest, Twitch oder Snapchat ausweichen.

Unbegründet ist dieser Verdacht nicht: Der Cambridge-Analytica-Skandal, bei dem Nutzerdaten illegitim für Kampagnen im US-Wahlkampf genutzt wurden, bewirkte einen Rückgang an Likes, Shares und Posts von knapp 20 Prozent. Auch die Konkurrenz – allem voran Tiktok – setzt der Plattform erheblich zu. Laut einem Bericht des Wirtschaftsmagazins "Forbes" verlor Facebook in den letzten drei Monaten des Jahres 2021 rund 500.000 tägliche Nutzer. Eine uneingeschränkte Loyalität gegenüber einer einzelnen Plattform gibt es also scheinbar nicht – vor allem dann, wenn sich Userinnen und User ungerecht behandelt fühlen.

Zweiklassensystem

Besonders der Aspekt der Gleichberechtigung sollte bei den neuen Abomodellen auf Twitter und Meta nicht unterschätzt werden. Denn die Bevorzugung zahlender Nutzerinnen und Nutzer könnte langfristig den demokratischen Diskurs auf den Plattformen gefährden. Wie aber damit umgehen, wenn man auf diese Kanäle finanziell angewiesen ist? Julia Gruber möchte die Entwicklung nicht unterstützen, "aber natürlich stellt sich die Frage, wie lang man gegen diese ankämpfen kann, wenn man sein Geld mit dieser Plattform verdient", sagt sie gegenüber dem STANDARD.

Christl sorgt sich hier eher um das Wohl der Userinnen und User. Nicht alle würden sich den kostenpflichtigen Zugang leisten können und würden dadurch benachteiligt, in Kombination mit dem "pseudo-perfekten Content" könnte Instagram dadurch für manche "noch belastender" werden.

Nicht alle können – oder wollen – sich einen kostenpflichtigen Zugang leisten. Christl Clear sorgt sich vor der Entstehung eines digitalen Zweiklassensystems.
Foto: Xenia Trampusch

Bezahlen würde übrigens keine der drei für die Premium-Abos. Selbst wenn sie nicht schon ein – nicht erkauftes – Häkchen hätte, würde sie ihr Geld lieber anders investieren, sagt Christl. "So wie ich auch nie Beiträge beworben habe, um bessere Reichweite zu bekommen." Das habe sich für sie nie richtig angefühlt.

Carola Pojer will sich von der erhöhten Reichweite ebenfalls nicht unter Druck setzen lassen. "Wahrscheinlich ist es um Meta finanziell auch nicht mehr so gut bestellt, und daher kommt nun dieser Schachzug ins Spiel", vermutet sie. "Ich glaube, wir alle können uns das Geld sparen."

Direkter Kundensupport, der entscheidende Vorteil?

Wenn also die zusätzliche Reichweite kein Kaufkriterium ist, kann Meta Verified dann zumindest mit verbessertem Kundenservice punkten? Wer als Content-Creator sein Geld verdient, ist immerhin mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einmal auf die Dienste des Supports angewiesen. Im Umgang mit "Shitstorms" oder Anfeindungen durch andere Nutzerinnen und Nutzer ist ein guter Draht zum Kundenservice hilfreich.

"Mein Account wurde auch schon mal gelöscht, weil er zu oft von Antifeministen gemeldet wurde", erinnert sich Julia. Für sie bedeutete das eine Woche ohne jegliche Einnahmequelle: "Da wäre ein direkter Kontakt zu Meta natürlich super gewesen."

Kundenservice leistete nach Hackerangriff gute Arbeit

Auch Carola Pojer hat die Dienste des Serviceteams bereits in Anspruch nehmen müssen. "Mein Account wurde letzten Sommer gehackt, und der Hacker hat mich erpresst. Ich bekam sogar SMS von ihm, was relativ gruselig war", erinnert sie sich an den Vorfall.

Das Support-Team von Instagram konnte ihren Account glücklicherweise innerhalb von 24 Stunden zurückholen. "Ich finde aber schon, dass das Help Center für solche Fälle ausgebaut werden sollte", sagt Pojer. Vor allem wenn man keine direkte Kontaktmöglichkeit hat, sei es wichtig, dass der Support besser erreichbar ist.

Carola Pojers Account wurde im vergangenen Sommer gehackt, ihr Hacker schickte ihr dann sogar SMS, "was relativ gruselig war".
Foto: Carola Pojer, Instagram, @carolapojer

Verifizierung: Echter Vorteil oder "Verkaufsschmäh"?

Accounts mit großen Followerzahlen werden häufig zum Ziel von Nachahmern, die unter falschem Namen Schaden anrichten. Zumindest wenn es um derartige Fake-Accounts geht, scheint der bestehende – kostenlose – Support aber brauchbare Arbeit zu leisten. Diese Fälle gäbe es zwar, "aber die melde ich einfach, und dann verschwinden die meist wieder", sagt Christl Clear.

Auch Julia erinnert sich an ähnliche Fälle in ihrem Umfeld, üblicherweise werden die Fake-Accounts aber schnell entdeckt, gemeldet und rasch gelöscht. Ihrer Einschätzung nach handelt es sich bei Meta Verified eher um eine Ausrede, um durch die erforderliche Verifizierung "an noch mehr persönliche Daten zu kommen". (Lisa Haberkorn, 2.3.2023)