Haie gelten als lebende Fossilien, die sich bereits früh zu perfekten Jägern entwickelten und sich über Jahrmillionen kaum noch veränderten. Sie tauchten vor etwa 400 Millionen Jahren erstmals auf, überlebten fünf große Massensterben und können heute als eine der erfolgreichsten Spezies der Erdgeschichte gelten.

Trotz unzähliger Funde ist die Rekonstruktion vergangener Arten oft schwierig. Haie sind Knorpelfische, und bei den Funden handelt es sich meist um die robusten Zähne.

Doch es gibt Fundorte, die spektakuläre Ausnahmen bilden. In einer sogenannten Konservat-Lagerstätte in Bayern finden sich nicht nur Reste der Knorpel, sondern sogar der Haut. Das erlaubte nun einer Gruppe vom Department für Paläontologie der Universität Wien, eine bereits vor über 100 Jahren beschriebene Art genauer zuzuordnen. Dabei zeigte sich, dass entgegen bisherigen Annahmen die eineinhalb Meter langen, flachen Raubfische, die zu den Jurahaien zählen, nicht primitive Vorfahren heutiger Knorpelfische, sondern eine eigenständige Gruppe hochentwickelter Haie waren. Das berichtet Patrick L. Jambura, der Erstautor der nun im Fachmagazin "Diversity" veröffentlichten Studie.

Meist blieben von Haien nur fossile Zähne zurück. Doch einige besondere Fundstätten warten sogar mit konservierter Haut auf.
Foto: Sebastian Stumpf

500 Hai-Arten

"Knorpelfische wie Haie und Rochen sind evolutionär eine sehr alte Tiergruppe, die bereits vor den Dinosauriern vor über 400 Millionen Jahren auf der Erde lebte", erklärt der Forscher. Es gibt mehr als 500 Hai- und gut 600 Rochen-Arten. Doch meist ist das knorpelige Skelett so wie der restliche Körper verwest.

Im Solnhofer Archipel in Bayern sind die Bedingungen aber sehr speziell. Vor 150 Millionen Jahren war an diesem Ort eine Inselgruppe im Tethys-Meer, dem Urmittelmeer. Auf den dortigen Koralleninseln gab es Insekten und den Urvogel Archaeopteryx, wie gefundene Überreste bezeugen.

In den Lagunen waren wiederum Knorpelfische der Art Protospinax annectans beheimatet. Diese wurde 1918 erstmals beschrieben, und zwar als eineinhalb Meter langer, flacher Knorpelfisch mit ausgebreiteten Rückenflossen und zwei prominenten Stacheln vor jeder Rückenflosse. Unklar war bisher, wo man die Art einreihen sollte. Eine mögliche Einordnung sah sie als "Missing Link" zwischen Haien und Rochen, eine andere als Ur-Hai und eine weitere als Urahn einer Untergruppe, die den heute lebenden Weißen Hai hervorbrachte.

Untersuchung des Gencodes lebender Tiere

Um diese Frage zu beantworten, erstellte das Team um Jambura zunächst von heute lebenden Haien und Rochen einen Stammbaum anhand ihrer genetischen Codes, genaugenommen der mitochondrieller DNA. Dann verglichen die Forscher 224 Gestaltmerkmale bei der ausgestorbenen Art Protospinax annectans, heute lebenden Haien und Rochen sowie von anderen fossilen Haien und Rochen. Dadurch konnten sie die Verwandtschaftsverhältnisse und die Stellung von Protospinax annectans im evolutionären Stammbaum bestimmen.

Eine künstlerische Rekonstruktion des in Bayern gefundenen Fossils. Es zeigt gut die markanten Brustflossen des Tiers.
Foto: Manuel Andreas Staggl

"Unsere Analyse ergab, dass die nächsten Verwandten von Protospinax die heute lebenden Engelshaie und die Sägehaie sind", berichtete Jambura. Die Unterschiede zu den beiden seien aber so groß, dass er wohl zu einer eigenen, sehr weit entwickelten Gruppe gehörte. "Das war unerwartet, da man bei einer so alten Art eigentlich mit einem ursprünglichen Hai oder einem Vorfahren einer Gruppe rechnen würde", meinte der Paläontologe.

Evolution ist keine Einbahnstraße

"Auch wenn Knorpelfische bis heute als Tiergruppe überlebt haben, verschwanden die meisten Arten im Laufe der Evolution", schreibt das Team. Das dürfte auch bei Protospinax annectans passiert sein. Die Gründe des Aussterbens vor etwa 145 Millionen Jahren, lange vor dem Aussterben der Dinosaurier vor 66 Millionen Jahren, bleiben allerdings rätselhaft. "Wir tendieren dazu, die Evolution wie eine hierarchische Leiter zu betrachten, in der ältere Gruppen am Anfang dieses Systems stehen. Tatsächlich ist die Evolution aber auch für diese urtümlichen Vertreter nie stehen geblieben, sondern auch sie entwickelten sich Tag für Tag über Veränderungen in ihrer DNA weiter, um sich einer sich ständig ändernden Umwelt anzupassen und bis heute zu überleben", sagt Jambura. (red, APA, 5.3.2023)