In Ländern von Brasilien bis Kanada und Rumänien stoßen Behörden oder NGOs immer wieder auf illegale Abholzung.

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Ob Holzhäuser, hochwertige Möbelstücke oder Yachtendecks aus Teakholz: Umweltzertifikate helfen Unternehmen weltweit, ihre Produkte zu vermarkten. Nicht alle Waren, die einen grünen Stempel verpasst bekommen, halten allerdings, was sie versprechen.

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In alarmierend vielen Fällen bestätigen Wirtschaftsprüfer und Zertifizierer die Nachhaltigkeit von Produkten, für die Wälder abgeholzt oder Menschenrechte verletzt wurden. Das zeigt die neue Recherche des International Consortium of Investigative Journalism (ICIJ) "Deforestation Inc.", an der 39 Medienpartner weltweit beteiligt sind – darunter der STANDARD, das Nachrichtenmagazin "Profil" und der ORF.

Die Recherche zeigt: Mehrere Unternehmen von Brasilien nach Kanada bis Rumänien verkaufen zertifizierte Holzprodukte, obwohl diese die Branchenstandards verletzen oder den eigenen Angaben der Unternehmen widersprechen. So gibt etwa ein brasilianisches Unternehmen an, "mit Bravour" zertifiziert worden zu sein – obwohl es seit 1998 bereits 36-mal Strafe zahlen musste, weil es Holz ohne entsprechende Herkunftsdokumente gelagert und transportiert hatte. In Kanada nutzte eine Gruppe von Holzfällern einen zertifizierten "nachhaltigen Waldbewirtschaftungsplan", um Bäume in indigenem Waldland zu fällen. Und in Rumänien führten die Behörden vergangenes Jahr Razzien bei mehreren Unternehmen durch, die sie verdächtigten, illegal geschlägertes Holz zu lagern – auch das österreichische Unternehmen Egger war darunter. Der Konzern betonte allerdings: Die Vorwürfe der Behörden richteten sich allein gegen Zulieferer.

Insgesamt dokumentierte das ICIJ mehr als 340 zertifizierte Holzunternehmen, denen seit 1998 von lokalen Gemeinden, Umweltgruppen und Regierungsbehörden Umweltverbrechen oder andere Verstöße vorgeworfen wurden. Etwa 50 von ihnen hielten sogar zu dem Zeitpunkt, als sie von Behörden verurteilt wurden, ein Nachhaltigkeitszertifikat.

Ein Holzlager nahe der Ortschaft Vișeu de Sus im nördlichen Rumänien. Im vergangenen Jahr führte das Land Razzien bei Holzunternehmen durch, bei denen es illegal geschlägertes Holz vermutete. Zuvor war Rumänien lange Zeit nicht gegen die illegale Abholzung vorgegangen.
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Milliardenschwere Zertifizierung

"Es ist das gesamte Zertifizierungssystem, auf das wir uns verlassen, das aber nicht funktioniert", sagte Grégoire Jacob, ein Berater in der Forstindustrie, gegenüber dem ICIJ-Partner Radio France. "Man gaukelt uns vor, dass wir nachhaltigere Produkte bekommen. Manchmal stimmt das, manchmal ist es falsch." Die Zertifizierungsstandards seien unzureichend und die Verfahren ineffektiv, so Jacob. Während Versuche laufen, das System zu verbessern, verschwinden Wälder weltweit: Seit 1990 wurden Flächen größer als die ganze EU abgeholzt. Lebensräume werden zerstört, Arten sterben aus, und das Klima wird durch das CO2, das zuvor in den Wäldern gespeichert war, weiter erhitzt.

Hinter dem Zertifizierungssystem, das das verhindern soll, steht eine Branche, die mittlerweile rund 16,8 Milliarden Euro schwer ist. Teil dieser Branche sind auch die beiden internationalen Organisationen Forest Stewardship Council (FSC) und das Programme for the Endorsement of Forest Certification (PEFC). Beide wurden in den 1990ern gegründet, nachdem Regierungen daran gescheitert waren, einen internationalen Rahmen für den Waldschutz zu schaffen. Zusammen haben die beiden Organisationen seither über 790 Millionen Hektar Wald als nachhaltig gekennzeichnet.

PEFC gilt als Waldbesitzer-nah, während FSC häufig stärker mit den Präferenzen von Umweltschützern in Verbindung gebracht wird. Zu den Initiatoren des Labels gehört Greenpeace, vor einigen Jahren stieg die Umweltschutzorganisation aus. FSC-zertifizierte Urwälder seien abgeholzt worden, begründete Greenpeace-Holzexperte Christoph Thies den Schritt. "Der Erhalt der letzten intakten Urwaldgebiete gehört aber zu den Kernzielen von Greenpeace."

Kritik: Je mehr Unternehmen zahlten, desto stärker lockern Zertifizierer ihre Standards

In den vergangenen Jahren machten beide Zertifizierer Negativschlagzeilen. Etwa hatte FSC massenweise Holz für den schwedischen Möbelkonzern Ikea zertifiziert, das illegal in Sibirien geschlägert worden war. Und PEFC hatte 2015 eine Beschwerde gegen den österreichischen Holzkonzern Schweighofer eingestellt, obwohl das rumänische Umweltministerium bereits damals feststellte, dass das Unternehmen in Rumänien zusätzliches Holz entgegennahm, ohne es den Behörden zu melden – damit blieb auch die Herkunft des Holzes undokumentiert.

Drei ehemalige Prüfer erzählten dem ICIJ, sie hätten ihren Job gewählt, weil sie hofften, einen positiven Effekt auf die Holzindustrie haben zu können. Doch allmählich seien sie von dem System desillusioniert, sagten sie. Je mehr Unternehmen bereit sind, für die Zertifizierung zu bezahlen, desto mehr hätten sowohl FSC als auch PEFC ihre Standards gelockert, sagten Prüfer und Experten.

Beide Organisationen verteidigten sich gegen die Kritik. FSC-Generalsekretär Kim Carstensen sagte gegenüber dem ICIJ, sein Label habe strenge Umwelt- sowie Sozialauflagen und involviere Interessengruppen. In einer idealen Welt würden die Regierungen eine stärkere Rolle im Waldschutz spielen. Solange das nicht der Fall sei, könne FSC einen Beitrag leisten. Als ein "freiwilliges Werkzeug" würde FSC nicht vorgeben, ein vielschichtiges Problem wie die Entwaldung zu lösen, ergänzte ein Sprecher.

PEFCs Kommunikationsleiter Thorsten Arndt antwortete, die Organisation entwerfe ihre Standards auf Grundlage des aktuellen Standes der Wissenschaft und relevanter aufkommender Themen, um sicherzustellen, dass Wälder nachhaltig bewirtschaftet werden. Auch die UN nutzten PEFC als einen Indikator für Fortschritt bei den UN-Sustainable Development Goals und dem Biodiversitätsabkommen, betonte er.

In den vergangenen Jahren war das österreichische Holzunternehmen HS Timber, vormals Schweighofer, unter Verdacht geraten, illegal geschlägertes Holz zu verarbeiten. Heute sorgt HS Timber für mehr Transparenz in seiner Lieferkette – unter anderem durch GPS-Tracking von Baumstämmen.
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Wie Österreich Holz zertifiziert

Beide Organisationen – PEFC und FSC – sind auch in Österreich aktiv. Allerdings ist PEFC hierzulande um ein Vielfaches größer: FSC zertifiziert bloß zwei Betriebe mit insgesamt 350 Hektar Wald. PEFC hingegen ist für rund 90.000 Waldbesitzerinnen und somit eine Fläche von etwa drei Millionen Hektar Wald zuständig. Wie auch in jedem anderen Staat, in dem es ein von PEFC International anerkanntes System gibt, hat die lokale PEFC-Organisation die Standards für nachhaltige Waldbewirtschaftung an die lokalen Bedingungen angepasst. "Die Waldbewirtschaftung in Österreich ist schließlich eine ganz andere als etwa in Malaysien, aber sie unterschiedet sich genauso von jener in Griechenland oder Finnland", erklärt Martin Kubli. Der PEFC-"Chain of Custody"-Standard ist hingegen weltweit einheitlich. Er reguliert die internationale Lieferkette für Holzprodukte.

Beide Standards werden von unabhängigen Zertifizierungsstellen überprüft – in Österreich ansässige Zertifizierungsstellen sind zum Beispiel die Quality Austria, die Holzforschung Austria und die Bautechnische Versuchs- und Forschungsanstalt Salzburg (Bvfs). Weltweit gibt es unzählige weitere Zertifizierungsstellen. Sie sollen garantieren, dass die Standards, die von PEFC im "Bottom-up-Prozess" erstellt werden,von unabhängigen Dritten und nicht von PEFC selbst kontrolliert werden, erklärt Kubli. "Die lückenlose Nachvollziehbarkeit weltweiter Lieferketten ist sehr herausfordernd. Es wird immer schwarze Schafe geben, die versuchen, das System zu umgehen. Umso mehr Grund, weiter zu kontrollieren, um das große Ziel, 'Raubbau' am Anfang der Lieferketten zu verhindern, zu erreichen."

Mischwälder gelten als krisensicherer.
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In Österreichs Wäldern komme es jedoch kaum zu Verstößen gegen den PEFC-Standard, erklärt Karin Enzenhofer vom WWF. Ihr seien keinerlei Fälle bekannt. Der Grund dafür sei allerdings, dass dieser eine sehr niedrige Latte setze, meint sie. Wenn ein Betrieb in Österreich durch PEFC zertifiziert ist, heiße das im Grunde genommen nur, dass der Betrieb das österreichische Forstgesetz einhalte, so Enzenhofer. "Warum brauche ich dazu eine Zertifizierung?", kritisiert die Ökologin.

Was in Wahrheit nötig sei: Für eine Nachhaltigkeitszertifizierung müssten höhere Standards gelten als das schon veraltete Forstgesetz, meint Enzenhofer. Als Beispiel nennt sie Monokulturen mit standortfremden Baumarten – sekundäre Fichtenwälder etwa. Gerade in Tallagen werden sie dem Klimawandel kaum standhalten können. "Solche Monokulturen gehören verboten oder dürften zumindest kein Nachhaltigkeitssiegel bekommen", so Enzenhofer. Stattdessen müssten Mischwälder gefördert werden, die krisenfester sind. "Die Zertifizierung ist grundsätzlich ein gutes Tool, um Standards durchzusetzen", sagt Enzenhofer. "Aber es ist eben die Frage, welche Standards da gesetzt werden."

EU arbeitet an Anti-Greenwashing-Gesetz

Um höhere Standards für grüne Label zu setzen – beziehungsweise mehr Klarheit für Konsumentinnen und Konsumenten zu schaffen –, arbeitet die EU derzeit an einer Reihe von Gesetzen, die einen Rahmen stecken sollen. Eines davon ist die Anti-Greenwashing-Richtlinie. Die EU-Kommission will am 22. März einen Entwurf präsentieren. Einem geleakten Entwurf zufolge, der dem STANDARD vorliegt, müssen Unternehmen damit künftig transparent machen, wie ein Nachhaltigkeits-Claim zustande kommt.

"Das Gesetz reguliert sozusagen die Anwenderseite des Zertifizierungssystem. Es gibt Regeln, wie und mit welchen Labeln Unternehmen werben dürfen", erklärt der Anwalt Jonathan White von der Organisation Client Earth. Heute sei der Bereich der Umweltprüfung kaum reguliert – ganz im Gegensatz zu Bereichen wie der Rechnungsprüfung. "Auch in der Umweltprüfung müssen Zertifizierer den Unternehmen gegenüber skeptischer sein. Sie müssen weiter gehen, als nur die Informationen zu prüfen, die ihnen Unternehmen geben."

Inwiefern das EU-Gesetz auch für Wirtschaftsprüfer und Zertifizierer gelten wird, ist noch unklar. "Es wäre wichtig, dass hier klare Regeln gesetzt werden", so White. Nur so könnten Label – etwa für nachhaltiges Holz – wieder an Vertrauen gewinnen. (Scilla Alecci, Alicia Prager, 1.3.2023)