Annalena Baerbock, die grüne Außenministerin von Deutschland, wünscht sich einen "feministischen Reflex" und will Frauen in ihren Rechten, Ressourcen und Repräsentanzen stärken.

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Als Annalena Baerbock am Mittwoch, nach der Kabinettssitzung, vor das Kanzleramt in Berlin tritt, beruhigt sie erst einmal. "Wir rufen hier heute nicht die Revolution aus", sagt sie, und in ihrer Stimme schwingt leiser Spott mit.

DER STANDARD

"Feministische Außenpolitik" will sie stärker betreiben, das ist im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP auch so festgelegt. Doch seit der nun vorgestellte Entwurf ihres Strategiepapiers in Berlin kursiert, wird der deutschen Grünen-Außenministerin wenig Schmeichelhaftes entgegengebracht.

"Baerbock ordnet feministischen Reflex an", schrieb der "Spiegel". Und in der "Süddeutschen Zeitung" ätzte die Schriftstellerin Jagoda Marinić über das "Konzept einer Frauenbeauftragten aus den Achtzigerjahren". Zudem befand sie: "Eine feministische Haltung vermittelt man aber nicht wie in der Hundeschule."

Bevor Baerbock ihr Konzept erklärt, stellt sie erst einmal klar: "Feministische Außenpolitik ist kein Nice-to-have, kein kleines Blümchen." Vielmehr ziehe sich diese Art von Politik durch alle Bereiche: "Humanitäre Hilfe, Stabilisierungsmaßnahmen, Friedensmissionen, Kultur- und Bildungspolitik."

Neben ihr steht Entwicklungshilfeministerin Svenja Schulze (SPD). Sie will ihre Arbeit künftig ebenfalls nach feministischen Grundsätzen ausrichten. "Bitter nötig" sei das, schreibt Baerbock in ihrem 80-seitigen Leitfaden.

Denn: Wie Ältere und Kinder seien auch Frauen "in Konflikten besonders verletzlich". Feministische Außenpolitik bedeute, "dass wir besondere Verletzlichkeiten nicht nur sehen, sondern sie gezielt angehen, auch in unserer Projektförderung oder der humanitären Hilfe".

Gezielte Förderungen

Geld, das von Deutschland aus in Projekte in aller Welt fließt, soll dort eingesetzt werden, wo Bedürfnisse von Frauen berücksichtigt werden, konkret folgende drei R, nämlich: "Rechte, Repräsentanz und Ressourcen". Wie das aussehen könnte, erklärt Baerbock an einem Beispiel.

"Von der männlichen Betrachtungsweise" her, würde man in einem Dorf in Nigeria beim Wiederaufbau die Sanitäranlagen wohl am Rande der Siedlung anlegen, wegen des Geruchs. Das sei aber für die Frauen problematisch, weil sie sich allein dort nicht hintrauten. Also sollten die Anlagen in die Mitte der Siedlung. Es gehe darum, "unsere Gelder effizienter zu machen" und "gendersensibel einzusetzen".

Geprägt hat den Begriff der "feministischen Außenpolitik" erstmals 2014 die damalige schwedische Außenministerin Margot Wallström. Mittlerweile hat man sich in Schweden davon wieder abgewandt. Laut Baerbock wird feministische Außenpolitik jedoch in 30 anderen Ländern praktiziert, darunter Chile, Spanien und die Mongolei.

Schlagabtausch zwischen Merz und Baerbock

Die deutsche Außenministerin bezieht in dieses Engagement auch Friedens- und Sicherheitspolitik ein. Legendär ist ein Wortgefecht, dass sich Baerbock vor einem Jahr im Bundestag mit dem CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz zu diesem Thema geliefert hat.

Der machte deutlich, dass er Baerbocks Weg für entbehrlich hält, und erklärte: "Sie können von mir aus feministische Außenpolitik machen, aber nicht mit dem Etat für die Bundeswehr." Baerbock sprach daraufhin von Frauen aus dem ehemaligen Jugoslawien, die dafür kämpfen mussten, dass Vergewaltigungen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit anerkannt wurden. "Deshalb gehört zu einer Sicherheitspolitik des 21. Jahrhunderts auch eine feministische Sichtweise. Das ist kein Gedöns!", sagte sie.

Auch jetzt betont sie, der Satz "Vergewaltigung, das gehört halt zum Krieg dazu" sei nicht akzeptabel. Feministische Außenpolitik bedeute, "sich dagegenzustellen, klarzumachen, dass Vergewaltigungen ein Kriegsverbrechen sind".

Am Verhandlungstisch

Baerbock möchte Frauen auch besser in Friedensprozesse integrieren. "Zwischen 1992 und 2019 waren (...) nur durchschnittlich 13 Prozent der Verhandlungsführenden weiblich", heißt es in ihren Leitlinien. Das müsse sich ändern. In Friedensmissionen sollen zudem ausreichend Soldatinnen eingesetzt werden.

Auch intern plant die Ressortchefin Neuerungen. Derzeit werden nur 26 Prozent der deutschen Botschaften weltweit von Frauen geführt. Da, so Baerbock, "gibt es also viel Luft nach oben".

Neue Botschafterin für feministische Außenpolitik

Ernennen wird Baerbock auch eine "Botschafterin für feministische Außenpolitik". Sie soll die Leitlinien weiterentwickeln. Es gehe darum, einen "feministischen Reflex" auszubilden. Baerbock räumt aber ein: " Feminismus ist kein Zauberstab. Wir sind nicht naiv. Wir werden mit einer feministischen Außenpolitik nicht alle Probleme dieser Welt lösen können."

Lob kommt von der Hilfsorganisation Brot für die Welt. "Aus unserer weltweiten Arbeit wissen wir, dass Hilfsprojekte dann besonders erfolgreich sind, wenn sie aus der Perspektive von Frauen gestaltet sind und Frauen in den Blick nehmen", sagt Chefin Dagmar Purin.

FDP-Vize Wolfgang Kubicki hingegen sagt: "Ich halte wenig vom Konzept der feministischen Außenpolitik, weil es weniger darauf abzielt, diplomatische Verbesserungen zu erwirken, als auf die emotionale Befriedigung innenpolitischer Akteure." (Birgit Baumann aus Berlin, 1.3.2023)