In der Region Brjansk im Südwesten Russlands nahe der Grenze zur Ukraine soll es nach Angaben aus Moskau zu Gefechten gekommen sein. Im Kreis Klimowsk führten russische Kräfte mit Unterstützung des Verteidigungsministeriums einen Einsatz zur "Vernichtung bewaffneter ukrainischer Nationalisten" durch, die die Grenze verletzt hätten, teilte Russlands Inlandsgeheimdienst FSB am Donnerstag der Nachrichtenagentur Interfax zufolge mit. Präsident Wladimir Putin habe angesichts des "Terrorangriffs" eine Reise in den Kaukasus verschoben, erklärte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Berichte, wonach ein Treffen des Nationalen Sicherheitsrats deshalb von Freitag auf Donnerstag vorverlegt worden sei, wies er aber zurück.

Putin trat wenig später allerdings im Fernsehen auf und sprach von einem "Terrorakt". Die Kämpfer hätten Zivilisten ins Visier genommen. Es handle sich bei den Angreifern um jene, die "uns unseres historischen Gedächtnisses, unserer Geschichte und unserer Sprache berauben wollen", so Putin. Derartige Vorwürfe richtet der russische Präsident für gewöhnlich gegen die Regierung in Kiew. "Sie werden nicht siegen, wir werden die Oberhand behalten", sagte er weiter.

Unabhängig überprüfen ließen sich die russischen Angaben zunächst nicht. Videos und Fotos zeigen Mitglieder des "russischen Freiwilligenkorps" in der Ukraine an der Grenze zwischen den beiden Staaten und vor einem Gebäude, das sich in Russland befinden soll. Auf dem Telegram-Kanal des einstigen Hooligans und russischen Neonazis und Rassisten Denis Nikitin (eigentlich: Kapustin) sind Bilder zu sehen, die ihn beim angeblichen Übertritt über die schlecht bewachte Grenze zu Russland zeigen.

Nikitin ist eine merkwürdige Figur: Der einstige Organisator von Mixed-Martial-Arts-Kämpfen hat sich vor einigen Jahren ukrainischen Nationalisten und Rechtsextremisten angeschlossen, obwohl er an sich auch der Ideologie des Kreml nahesteht. Dass er zumindest bis kürzlich für die ukrainische Seite kämpfte, ist belegt. In den Erklärungen der Gruppe ist, entgegen den russischen Angaben, zu lesen, dass man keine Zivilisten angreifen werde. . Wegen mutmaßlichen Drogenschmuggels in der Ukraine fahndete zumindest zeitweise auch das FBI nach ihm. Ein Bericht des "Spiegel" über den in Deutschland aufgewachsenen Nikitin spekulierte 2019, also deutlich vor dem Krieg, über russische Geheimdienstkontakte

Geiselnahme dementiert

Der Gouverneur der Region, Alexander Bogomas, hatte zuvor vom Beschuss eines Zivilfahrzeugs durch einen ukrainischen Sabotagetrupp berichtet. "Durch den Beschuss ist ein Einwohner ums Leben gekommen, ein zehnjähriges Kind wurde verletzt", schrieb Bogomas auf seinem Telegram-Kanal. Das Kind werde inzwischen in einem Krankenhaus versorgt. Auch diese Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

Zugleich wiesen die Behörden Medienberichte über eine angebliche Geiselnahme und den Beschuss eines Schulbusses zurück. Nahe der Grenze gebe es seit Monaten wegen erhöhter Terrorgefahr nur Fernunterricht. Die Verwaltung der Ortschaft Suschany dementierte ebenfalls, dass dort mehrere Menschen von ukrainischen Kämpfern als Geiseln genommen worden seien. Russland führt seit mehr als einem Jahr einen Angriffskrieg gegen das Nachbarland Ukraine. Immer wieder klagt die russische Seite über Beschuss.

Kiew warnt vor "False Flag"

Ukrainische Beobachter warnten unterdessen vor russischer Desinformation. Ein Berater im ukrainischen Präsidentenbüro, Mychajlo Podoljak, sprach von einer "klassischen Provokation". Russland wolle die eigenen Leute einschüchtern, um den Angriffskrieg bei wachsender Armut zu rechtfertigen. "Unterdessen wird die Partisanenbewegung in Russland stärker und aggressiver. Fürchtet eure Partisanen ...", schrieb Podoljak auf Twitter. Tatsächlich hatte der ukrainische Geheimdienst in einer Mitteilung vom 23. Februar vor einer russischen "False Flag"-Operation in dem Gebiet gewarnt.

Wie genau die Gruppe nach Russland gelangt ist und auf wessen Geheiß die Aktion stattgefunden haben soll, ist weiter offen. Videos des angeblichen Angriffs lassen Zweifel an der russischen Version der Ereignisse laut werden – auch wenn es sich bei den handelnden Personen tatsächlich um Kämpfer handeln dürfte, die zumindest in der Vergangenheit für die Ukraine tätig waren.

So zeigen die Uniformen der Kämpfer keinerlei Gebrauchsspuren, sondern sind vollkommen sauber. Auch Bild- und Toneffekte machen nicht unbedingt den Eindruck großer Spontanität oder Gefahr. In russischen sozialen Medien werden die angeblichen Angriffe jedenfalls vor allem von nationalistischen Militärbloggern ausgeschlachtet. Der einstige Berater von Präsident Putin, Sergej Markow, schrieb etwa, man solle nun die Initiative ergreifen und von der "Spezialoperation" zu einem vollen Krieg übergehen.

Darauf, dass Russland die Angriffe zumindest propagandistisch nicht ganz ungelegen kommen, deuten auch Aussagen des Gouverneurs der Grenzregion Kursk hin. Dieser behauptete am Donnerstag, ukrainische Truppen würden seit Beginn des Tages über die Grenze nach Russland schießen. (red, APA, 2.3.2023)