Regine Kapeller-Adler brillierte im Labor – in Wien wie in Edinburgh nach ihrer Flucht.
Foto: privat / Liselotte Adler-Kastner

Frischer Wind wehte neuen Forscherinnengeist ins Wien um 1900: Frauen durften erstmals an der Alma Mater studieren. Sexistische Vorurteile der Professoren sollten es ihnen freilich noch jahrzehntelang schwermachen, sich Gehör und Respekt zu verschaffen. Das antisemitische Klima sorgte dafür, dass viele junge Studentinnen doppelt diskriminiert wurden.

Diesen Schwierigkeiten zum Trotz konnte sich Regine Kapeller in Wissenschaftskreisen einen Namen machen. Um 1900 in der heutigen Ukraine geboren, die damals teils zu Österreich-Ungarn gehörte, ging sie in Wien in die Schule. Sie stammte aus bürgerlichem, jüdisch-orthodoxem Haus. Um studieren zu dürfen, musste sie zunächst um elterliche Erlaubnis kämpfen.

Ihre Wahl fiel auf das Fach Chemie. Mit 22 erhielt die Forscherin an der Universität Wien ihren Doktortitel. Ihre exakte Arbeit war legendär, bald forschte und lehrte sie als Assistentin am Institut für medizinische Chemie. "Bis 1936 publizierte Regine Kapeller insgesamt 35 wissenschaftliche Beiträge – seit ihrer Heirat unter dem Doppelnamen Kapeller-Adler", sagt der Medizinhistoriker Herwig Czech von der Med-Uni Wien. "Das ist eine außerordentliche Zahl – vor allem für die damaligen Verhältnisse."

Mit dem Chemiestudium an der Universität Wien begann ihre Forschungskarriere. Später studierte Kapeller-Adler dort auch Medizin, doch den Abschluss konnte sie nach dem "Anschluss" nicht erlangen, weil sie Jüdin war.
Foto: privat / Liselotte Adler-Kastner

Vom nächsten großen Schritt zur Professur rieten ihr Vorgesetzte ab, als Frau und Jüdin stünden ihre Chancen schlecht. Das hielt sie nicht von Glanzleistungen ab, die international Anerkennung fanden: Berühmt wurde sie mit 34 Jahren durch die Entwicklung eines Schwangerschaftsschnelltests.

Schnelltest ohne Versuchstiere

Im Vergleich zu heutigen Fünf-Minuten-Tests erscheint die damalige Auswertung, die vier Stunden dauerte, sehr langsam. Doch für die 1930er-Jahre war er revolutionär. Die damals beste Methode war der A-Z-Test, benannt nach seinen Entwicklern, den jüdisch-deutschen Gynäkologen Selmar Aschheim und Bernhard Zondek. Er brachte erst nach 100 Stunden ein Ergebnis.

Zudem handelte es sich beim A-Z-Test um einen biologischen Test, er erforderte Versuchstiere. Jungen weiblichen Mäusen wurde der Urin der getesteten Frau unter die Haut gespritzt. Dann fand man heraus, ob es bei den jungen Mäusen zum Eisprung kam – was auch die Frage beantwortete, ob die Frau schwanger war. Um dies zu bestimmen, mussten die Mäuse allerdings getötet werden.

Ohne Versuchstiere kam dagegen Kapeller-Adlers Farbnachweis aus, der die Konzentration der Aminosäure Histidin im Urin zeigte. Kurz nach dem Ausbleiben der Periode konnte dies auf eine Schwangerschaft hinweisen. Die "sensationelle Entdeckung einer Wiener Chemikerin" war auch in der österreichischen Presse ein großes Thema.

Geboren war damit die medizinisch-chemische Pionierin, die "Histidine Queen", wie sie britische Kollegen später in Anspielung auf ihren Vornamen – in der englischen Version Regina (Königin) – nannten. Geboren hat sie 1934 auch ihre Tochter Liselotte, wenig später nahm sie ein weiteres Studium, Medizin, auf.

Vertrag nicht verlängert

Zuvor war jedoch ihre Assistenzstelle ausgelaufen, eine Problematik, die auch heute viele Forscherinnen und Forscher verfolgt. Prekäre Anstellungsverhältnisse in der Wissenschaft wurden nicht erst in unserer Zeit zum Problem. "Kapeller-Adler war das Opfer einer frühen Variante der Kettenvertragsregelung", sagt Historiker Czech. Damals wurden Assistenzstellen in der Regel nach sechs Jahren ohne Habilitation gekündigt.

Regine Kapeller-Adler mit ihrer Tochter Liselotte. Auch sie wurde eine erfolgreiche Medizinerin.
Foto: privat / Liselotte Adler-Kastner

"Meine Mutter war sogar acht statt sechs Jahre am Institut angestellt, weil sie für ihren Chef unersetzlich war", ergänzt Tochter Liselotte Adler-Kastner. Das Ministerium lehnte einen weiteren Antrag auf Verlängerung ab. Nichtsdestotrotz forschte die junge Mutter weiter – neben dem Medizinstudium und später der Leitung eines Diagnoselabors.

Schicksalhafte Märztage

Alles verändern sollte die Nacht auf den 12. März 1938, als der sogenannte Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland eingeleitet wurde. "Unvergesslich wird uns dieser Tag bleiben, weil er ja nicht nur bestimmend für unser zukünftiges Schicksal wurde sondern auch von unendlicher Bedeutung für die gesamte Welt werden sollte", schrieb Kapeller-Adler über den 11. März in ihr Tagebuch. Um acht Uhr abends hörte sie im Radio die letzte Rede des Bundeskanzlers Kurt Schuschnigg an das österreichische Volk. Sie fand die ganze Nacht keine Ruhe.

Am 12. März hatte sich mit dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht das Stadtbild Wiens stark verändert. An Mänteln und in Auslagen prangten Hakenkreuz-Abzeichen, schrieb die Wissenschafterin. In Erinnerung blieb ihr das ohrenbetäubende Rattern der Flugzeuge über der Stadt, der Lärm war "kaum zu ertragen" – damals gewiss ein besonders seltenes Erlebnis. "Dazwischen in den Straßen (der jüdischen Nachbarschaft, Anm.) fahle, zermürbte Gesichter, die zu fragen schienen: Wohin nun?"

Antisemitische Schikanen

Die junge Forscherin stand kurz vor dem Abschluss ihres Medizinstudiums, der ihr als Jüdin nun verwehrt war. Ihr ebenfalls jüdischer Mann Ernst Adler arbeitete weiterhin als Arzt. Er durfte aber nicht mehr als solcher bezeichnet werden: Jüdische Ärzte nannte man despektierlich "Krankenbehandler". Sie durften nur mehr jüdische Patientinnen und Patienten behandeln.

Der traurige Höhepunkt der Schikanen kam für sie im folgenden November, in der "Reichspogromnacht". Ernst Adler wurde von der Gestapo festgenommen. Vier Tage lang wurde er brutal misshandelt, wie die Tochter viele Jahre später erfuhr: "Meine Mutter hat alles versucht, um ihn freizubekommen." Die Israelitische Kultusgemeinde konnte erwirken, dass er freigelassen wurde – im letzten Moment: "Die anderen sind am nächsten Tag alle in das Konzentrationslager in Dachau geschickt worden", sagt Adler-Kastner.

Lebensrettendes Angebot

Die Antwort auf die Frage nach dem "Wohin nun?" entschied sich im Jänner 1939: Edinburgh, Schottland. Trotz kaum vorhandener Englischkenntnisse stand das Ziel fest. "Dort befand sich das einzige Diagnoselabor, das in den 1930er-Jahren in Großbritannien Schwangerschaftstests durchgeführt hat", sagt Adler-Kastner. Der Vorstand des Instituts, F.A.E. Crew, kannte die berühmte Arbeit ihrer Mutter. Er muss deren Namen auf einer Liste der "Society for the Protection of Science and Learning" (SPSL) entdeckt haben, die gefährdete Forscherinnen und Forscher bei ihrer Flucht durch Vernetzung unterstützte. Und er bot ihr eine Stelle an. "Das hat uns effektiv das Leben gerettet", sagt Adler-Kastner.

Kapeller-Adler bei einer Konferenz 1955, als einzige Frau unter vielen männlichen Fachkollegen. Diese bezeichneten sie als "Histidine Queen". Der von ihr entwickelte Schwangerschaftstest beruhte auf einem anderen Prinzip als heutige Tests und war für die damalige Zeit revolutionär.
Foto: privat / Liselotte Adler-Kastner

Neben der Vermittlung durch die SPSL war es jedoch wesentlich, "einen Bürgen oder eine Bürgin zu finden, der oder die sich dazu bereit erklärte, persönlich für die Geflüchteten einzustehen und für ihren Lebensunterhalt aufzukommen, wie es viele Einwanderungsbehörden erforderten", sagt Historiker Czech. Erschwerend kam hinzu, dass die Geflüchteten zuvor finanziell fast vollständig beraubt wurden. Dafür sorgten verschiedene Mechanismen, unter anderem die sogenannte "Reichsfluchtsteuer".

Restriktive Einwanderungspolitik

Diese Aufgabe übernahm ein Ehepaar, ohne die Familie persönlich zu kennen: Henrietta und Napoleon Ryder. Henrietta war die Tochter von Moses Gaster, ein Oberrabbiner der sephardisch-jüdischen Gemeinde in Großbritannien. Ihr gefielen die Fotos der Familie Adler, und der Vertrauensvorschuss ermöglichte der Forscherin, dem Arzt und der jungen Tochter die Einreise.

Glück hatte die Familie auch trotz der restriktiven Einwanderungspolitik der Briten. Ernst Adler schaffte es auf eine Liste von 50 österreichischen Ärzten, die nach der Ablegung der britischen Prüfungen praktizieren durften. "Ursprünglich wollte die britische Regierung 500 österreichische Ärzte aufnehmen", sagt Adler-Kastner. Diese Zahl wurde reduziert: "Die Ärztegewerkschaft hatte Sorge vor dem Zustrom von der weltberühmten Wiener medizinischen Schule und Angst um die eigenen Stellen."

Ende der 1930er-Jahre hatte sich die Situation verschärft, ergänzt Czech: "Schon ab 1933 emigrierten zahlreiche Ärzte aus Deutschland. Da gab es also eine Vorgeschichte und das Gefühl: Wir haben schon genügend Flüchtlinge aufgenommen." Viele Migrantinnen und Migranten scheiterten daran, ihre Karriere im Exil fortzusetzen.

Studierende aus aller Welt fanden unter Kapeller-Adlers (Mitte) gastfreundlicher Betreuung in Schottland ihr zweites Zuhause.
Foto: privat / Liselotte Adler-Kastner

Regine Kapeller-Adler war dies möglich. Sie setzte ihre Forschung zu Stoffwechsel und Schwangerschaft fort und blieb passionierte Universitätslektorin. Noch nach ihrer Pensionierung verfasste sie ein Standardwerk zur Enzymkategorie der Aminosäure-Oxidasen.

Regine, die Starke

Einfach war ihr Leben nicht. "Sie war eine Kämpferin – für Gerechtigkeit, ihre Prinzipien und ihre Forschungsarbeit", sagte ihre Tochter im vergangenen Februar. Damals fanden erstmals eine Veranstaltungsreihe und eine Preisverleihung des österreichischen Vereins zur Förderung von Wissenschaft und Forschung (VFWF) statt, die der Biochemiepionierin gewidmet wurden.

Offizielle Ehren aus Österreich wurden ihr erst spät zuteil: 1973 verlieh ihr die Uni Wien das Goldene Ehrendiplom. Eine Auszeichnung, die ihr Mann, mit dem sie eine sehr glückliche Ehe verbunden hatte, nicht mehr miterlebte. "Eigentlich war meine Mutter die Starke, auch in schwierigen Zeiten", sagt Adler-Kastner. "Mein Vater war ein wunderbarer Arzt, aber er wäre verloren gewesen ohne sie. Seinen Tod hat sie nie überwunden."

Regine Kapeller-Adler starb am 31. Juli 1991 in Edinburgh. Der "Daily Telegraph" schrieb damals, die gebürtige Österreicherin habe zu einer Generation an Ärzten und Forschenden gehört, "deren Vertreibung durch die Nazis zu Großbritanniens Gewinn wurde". (Julia Sica, 5.3.2023)