Outer Bald Tusket Island ist eine unwirtliche und unbewohnte Insel und liegt im Süden von Nova Scotia.

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Wer Abgeschiedenheit sucht, ist hier richtig: Die Tusket Islands sind eine kleine Inselgruppe im Süden der kanadischen Halbinsel Nova Scotia. Die mehr als zwanzig Inseln und Inselchen liegen einige Kilometer südlich der Stadt Yarmouth. Die ursprünglich hier ansässigen Mi'kmaq nannten das Gebiet an der neuschottischen Südspitze Keespongwitk, was so viel bedeutet wie "Ende des Landes".

Das südlichste und damit abgelegenste Eiland des Archipels heißt Outer Bald Tusket Island. Die nierenförmige Insel ist nur 16.000 Quadratmeter groß. Umgeben von einem breiten Strand, erhebt sich ein kleines Plateau im Zentrum der Insel. Darauf befindet sich nur ein einziges Bauwerk, eine Ruine eines Hauses auf dem höchsten Punkt der Insel. Vor siebzig Jahren stand die Insel im Mittelpunkt eines bizarren diplomatischen Konflikts – inklusive einer Kriegserklärung einer aus Fischern bestehenden Nation an die Sowjetunion.

Sportfischereldorado

Seit den 1930er-Jahren begann sich das Gebiet in Nova Scotia touristisch zu entwickeln. Die kleine Hafenstadt Wedgeport, die auf halbem Weg zwischen Yarmouth und den Tusket Islands liegt, wurde zu einem beliebten Ziel von Sportfischern. 1937 wurde ein internationales Thunfischwettfischen ins Leben gerufen, das zu einem Anziehungspunkt für die Prominenz aus Wirtschaft und Gesellschaft Nordamerikas und Europas wurde. Zu dieser Gesellschaft zählte auch der Pepsi-Lobbyist Russell Moore Arundel.

Bis heute findet in Nova Scotia ein internationales Thunfischwettfischen statt.
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1948 verfolgt der begeisterte Angler Arundel den internationalen Wettkampf und entdeckt dabei Outer Bald Tusket Island für sich – eine Insel ohne Bäume oder gar Bewohner, die bestenfalls als Schafweide taugt, aber mitten in einem der weltbesten Gewässer für den Thunfischfang liegt. Er zögert nicht lange und erwirbt die Insel um 750 US-Dollar. Er lässt sich ein kleines Gebäude errichten, das als Unterschlupf bei seinen Fischerausflügen dienen soll.

Bestens vernetzt

Doch ein schlichtes Fischerdomizil kann für einen Mann wie Arundel nicht ausreichen. Der 1902 in Illinois geborene Arundel arbeitet in den 20er- und 30er-Jahren zunächst als Journalist. So kommt er nach Washington, wo er auf dem Capitol Hill als Sekretär eines Senators tätig ist. Unter Präsident Franklin D. Roosevelt arbeitet er für die Kommission des im Entstehen begriffenen Mount Rushmore Memorial und knüpft ein Netzwerk aus Kontakten. Diese reichen bis ins Weiße Haus, wo er zu einer Pokerrunde gehört. Er verfasst 1936 das Buch "Roosevelt Riddles" und 1937 "Everybody's Pixillated", in dem er "Doodles" gesammelt hat – Kritzeleien, die Menschen gelangweilt und geistesabwesend bei Telefonaten oder Sitzungen anfertigen. Unter den prominenten Zeichnern befindet sich auch Präsident Roosevelt.

Als Unternehmer gründet Arundel im Jahr 1943 auf Long Island die Pepsi Cola Bottling Company und ist damit finanziell unabhängig – so unabhängig, dass er dem Senator Joseph McCarthy 1947 einen 20.000-Dollar-Scheck anbietet, damit dieser Schulden begleichen kann. Dass diese "geringfügige finanzielle Transaktion für einen Freund" etwas mit McCarthys Feldzug gegen die noch aus den Kriegsjahren fortbestehende Politik der Zuckerrationierung zu tun hat, bestreitet der Pepsi-Lobbyist Arundel.

Herrscher im eigenen Staat

Ein Mann mit einem derart illustren Hintergrund besitzt nicht einfach nur eine kleine Insel im Nirgendwo – er legt sich vielmehr einen eigenen Staat zu. Gemeinsam mit Freunden ruft Arundel im Juli 1949 das "Fürstentum Outer Baldonia" aus.

"Lassen Sie diese Tatsachen einer aufrichtigen Welt vorlegen", schreibt Arundel in der Unabhängigkeitserklärung seines Staates, deren Entstehung der Legende nach mit dem Genuss von Whisky und Rum in Verbindung steht. Fischer seien ein eigenes Volk, heißt es da. Im Fürstentum Outer Baldonia seien Fischer "mit den folgenden unveräußerlichen Rechten ausgestattet: das Recht auf Freiheit von Fragen, Nörgeln, Rasieren, Unterbrechungen, Frauen, Steuern, Politik, Krieg, Monologen, Heuchelei und Hemmungen. Das Recht auf Applaus, Eitelkeit, Schmeichelei, Lob und Selbstüberhöhung. Das Recht zu fluchen, zu lügen, zu trinken, zu spielen und zu schweigen. Das Recht, laut, ausgelassen, ruhig, nachdenklich, expansiv und urkomisch zu sein. Das Recht, Gesellschaft zu wählen, und das Recht, allein zu sein. Das Recht, den ganzen Tag zu schlafen und die ganze Nacht aufzubleiben."

"Deshalb formen wir uns jetzt zu einer neuen Nation, für immer unabhängig von allen anderen Nationen, und errichten auf den Inseln und Gewässern von Outer Bald Island eine neue Regierung, die für immer als das Fürstentum von Outer Baldonia respektiert und anerkannt werden soll", verlangt die Unabhängigkeitserklärung.

Thunfischprinzen

In der Gründungsurkunde des Fürstentums ist geregelt, wie man in den erlauchten Kreis der Baldonier aufgenommen werden kann: Hierzu ist es nötig, einen Blauflossenthunfisch zu fangen und eine Gebühr von 50 Dollar zu entrichten – dann erhält man den Titel Prinz. Die Zahl der Prinzen wird auf hundert begrenzt, und Arundel trägt den Titel Prince of Princes in Anlehnung an den Hoheitstitel "König der Könige". Das Militär des Fürstentums besteht aus 69 Admiralen. Frauen sind freilich in Outer Baldonia nicht zugelassen – natürlich nur zum Schutz der Baldonier, die das verbriefte Recht darauf haben, alle Hemmungen fallenzulassen, inklusive der Kleidung. Eine Ausnahme gibt es: Arundels Sekretärin Florence MGinnis erhält den Titel "Ehrenprinzessin", schließlich "habe ich den ganzen Papierkram erledigt", sagt sie. Die Insel betritt sie niemals, wie auch die Ehefrauen der Thunfischprinzen. Die wollen einen unwirtlichen Platz wie Outer Bald Tusket Island dem Prinzen der Prinzen zufolge aber ohnehin nicht besuchen.

Leere Flaschen als Exportartikel

Als Hauptexportartikel des Fürstentums werden leere Bierflaschen und Rumflaschen genannt, als Währung wird der "Tunar" eingeführt, Gold- und Silbermünzen werden geprägt und sogar ein 25.000-Tunar-Schein gedruckt. Auch über Reisepässe verfügt der neue Staat. Die Flagge des Fürstentums zeigt eine Schwanzflosse eines Thunfischs in weißem Kreis auf grünem Grund. Arundel hat auch einen Freund beim Landkartenverlag Rand McNally und lässt so sein Inselreich auf zumindest einer Karte veröffentlichen. Die Baldonier parodieren auch das internationale Thunfischwettfischen: Prämiert werden der hässlichste Fisch, der kleinste und auch der am intelligentesten dreinschauende.

Zu den Bürgern des Fürstentums gehört unter anderem auch Ronald Wallace als "Außerordentlicher Botschafter und bevollmächtigter Minister". Später wird Wallace seine politische Karriere in Kanada als Abgeordneter im Parlament Nova Scotias und Bürgermeister von Halifax krönen. Andere Baldonier erhalten Titel wie "Ritter des Ordens der Blauen Flosse" und "Erbprinz des Reiches". Sogar Harry S. Trumans Vizepräsident Alben Barkley soll sich dem Vernehmen nach um eine Staatsbürgerschaft bemühen – er wäre gerne Finanzminister eines Staates ohne Vermögen und ohne Schulden.

Diplomatie

In Washington lässt Arundel die Telefonnummer der Botschaft Outer Baldonias – die Nummer seines Büros in der US-Hauptstadt – ins Telefonbuch eintragen. Arundel erhält bald diverse Einladungen ausländischer Vertretungen, für seine Kommunikation druckt er Briefpapier mit einem goldgeprägten großen Siegel Outer Baldonias. Zu offiziellen Terminen erscheint Arundel in einem Zeremonialumhang aus Sardinendosen und mit Orden aus Bierkronkorken. Sogar eine mögliche Mitgliedschaft bei den Vereinten Nationen soll im Raum stehen.

Schon bald berichten die kanadischen Medien augenzwinkernd von dem separatistischen Fürstentum auf Kanadas Boden. Schließlich wird das neue Fürstentum auch auf der anderen Seite der Welt wahrgenommen. In der Moskauer Wochenzeitung "Literaturnaya Gazeta" erscheint 1952 ein von "L. Chernaya" gezeichneter Brief, in dem über Outer Baldonia hergezogen wird. Das verfassungsmäßige Recht auf Fluchen, Lügen, Spielen und Trinken wird kritisiert, Arundel als Tyrann bezeichnet, der seine Untertanen zu Wilden machen will, indem er sie dazu ermächtigt, "von der Menschheit aufgestellte ethische und moralische Gesetze" zu ignorieren. Die westlichen Medien werden dieses Briefes gewahr und zitieren genüsslich aus dem Pamphlet gegen die Dekadenz des Kapitalismus, das eventuell in Wirklichkeit sogar eine subversive Überspitzung gegen das Sowjetregime darstellt.

Einladung nicht angenommen

Bei "L. Chernaya" soll es sich Recherchen der Baldonier zufolge um eine Frau handeln, die beleidigt sei, weil Frauen der Zutritt zum Fürstentum verwehrt ist. Sie wird – natürlich auf eigene Kosten – zum nächsten Wettfischen eingeladen, um sich ein Bild von Prinz Arundels libertärer Herrschaft machen zu können. Doch "L. Chernaya" reagiert nicht, woraufhin der Prinz der Prinzen am 9. März 1953 in einem beleidigten Brief der Sowjetunion den Krieg erklärt. Er droht mit dem Abbruch der (niemals aufgenommenen) Beziehungen zwischen Outer Baldonia und der Sowjetunion, sollte sich die "Literaturnaya Gazeta" nicht entschuldigen. Die Sowjets sollen darüber hinaus ihre Fischtrawler aus den baldonischen Gewässern zurückziehen, als Leinenfischer missbillige er ihre Fangpraktiken mit Netzen und Stromschlägen.

Baldonische Flotte

Mit Outer Baldonia solidarisieren sich auch der Royal Yacht Club von Halifax und die Fischer von Wedgeport. Gemeinsam mit diesen Partnern verfügt die "Outer Baldonian Navy" nun über eine Flotte aus mehr als hundert Fischerbooten, Yachten, Dinghis und Ruderbooten. Die Abgeordneten von Nova Scotia stimmen sogar für die offizielle Anerkennung der Unabhängigkeit Outer Baldonias – solange die Baldonier ihre Grundsteuern weiterhin in Nova Scotia entrichten.

Die Sowjets dürften aufgrund der baldonischen Gewaltdrohung in Schockstarre verfallen: Zwar erscheinen in den sowjetischen Medien weitere Artikel, in denen gegen das dekadente Reich der Thunfischfischer gegeifert wird. Doch Arundel erhält keine formelle Antwort auf seine Kriegserklärung und schließt daraus: "Und so habe ich den Krieg gegen Russland gewonnen."

Vogelschutzgebiet im Fürstentum

Im Jahr 1973 endet die Geschichte des Fürstentums: Arundel verkauft seine Insel um den symbolischen Preis eines kanadischen Dollars an die Nova Scotia Bird Society. Heute ist Outer Bald Tusket Island ein Schutzgebiet für brütende Vögel. Schon lange davor beschäftigt sich Arundel mit dem Naturschutz: In den 50er-Jahren finanziert er eine weltweite Studie über gefährdete Säugetiere – ein frühes Beispiel für einen Fokus auf den Artenschutz.

Arundel, der einstige Prinz der Prinzen von Outer Baldonia, stirbt 1978. Nach Stürmen liegt sein einstiger Fürstensitz auf Outer Bald Tusket Island mittlerweile in Trümmern. (Michael Vosatka, 9.3.2023)