Kleben und einsitzen für die Jugend: Schmidt, Engel und Erdmann.

Foto: Letzte Generation/Collage Beigelbeck

Die Aktivistinnen und Aktivisten, die sich Letzte Generation nennen und entschlossen sind, mit ihren Aktionen so lange weiterzumachen, bis die Regierung auf ihre Forderungen, etwa Tempo 100 auf Autobahnen, eingeht, regen auf. Und genau dadurch ist die Klimakrise mehr denn je ein Thema in der Gesellschaft. DER STANDARD hat mit drei älteren Mitgliedern der Gruppe gesprochen. In einem Alter, in dem andere die Pension genießen, gehen sie regelmäßig ins Gefängnis. Sie alle tun es für die nächsten Generationen. Für ihre eigenen und auch die Kinder und Kindeskinder der anderen.

Wilfried Engel (62)

Viele Male hat sich der Vorarlberger Wilfried Engel seit Mai 2022 schon mit der Letzten Generation auf Straßen angeklebt und wurde von der Polizei abgelöst und festgenommen. Am 20. Februar aber lief das anders ab. Nahe der Praterbrücke auf einem Steg, auf dem eigentlich Mautgeräte über der Autobahn hängen, entrollten Engel und drei andere erst Transparente, dann klebten sie sich in luftiger Höhe fest. Den Verkehr blockierten sie dort nicht, aber maximale Aufmerksamkeit war ihnen sicher. "Von uns vieren hatten drei Höhenangst", sagt Engel, der bis Ende 2022 selbstständiger Tischler war und nun Pensionist ist. Aber nicht nur, dass der Kleber bei ihm besser haftete als bei den Jüngeren – "das ist vielleicht altersbedingte trockene Haut" –, sondern die Polizei sah in seinem Fall von einem Einschreiten ab. Ein Mitstreiter musste erst Lösungsmittel und Wattestäbchen holen. Die Hand war zudem an der Unterseite des Steges angeklebt. Durch die Schwerkraft dauerte es sechs Stunden, bis er wieder von der im Wind wackelnden Brücke herabsteigen konnte.

Aber was macht ein pensionierter Tischler aus einer Vorarlberger Gemeinde zwischen Bregenz und Dornbirn überhaupt als Aktivist in Wien? Engel, der seine im Kleinkindalter zu Waisen gewordenen beiden Neffen gemeinsam mit seiner Frau großgezogen hat, war alles andere als ein radikaler Umweltschützer. Er interessierte sich für Forstwirtschaft und hörte immer öfter, "dass auch im abgemilderten Klima im Raum Bodensee die Klimakrise immer prägender wird", erzählt Engel, "die Forstmenschen sind sich bewusst, dass wir stark gegensteuern müssen". Mit seinem Kompagnon in der Tischlerei versuchte er auch, seinen Betrieb ökologisch auszurichten.

Für Zwentendorf zu jung

Gegen Zwentendorf durfte er mit 17 zwar nicht abstimmen, aber "ich hab in der Familie das Thema in die richtige Richtung gelenkt". Auch die Proteste in der Hainburger Au verfolgte er nur als Sympathisant aus der Ferne. "Der Naturschutzbund Vorarlberg war das, wo ich mich hingetraut habe. Eine eher konservative Bewegung, gesunder Wald, Ozon, das waren die Themen", erinnert sich Engel.

Andere Protestformen würden leider nicht wahrgenommen, ist sich der pensionierte Tischler Wilfried Engel sicher.
Foto: Letzte Generation

Auf die Straße brachte ihn Greta Thunberg mit Fridays for Future. "Aber diese Art des Protests wird nicht wahrgenommen." Zivilen Ungehorsam lernte er erst 2019 bei der Gruppe Extinction Rebellion. Dann fiel Engel die Letzte Generation auf und er schloss sich ihr an. Der Unterschied: "Bei der Letzten Generation gehen wir prinzipiell mit Namen und Gesicht in die Öffentlichkeit."

Die beiden Ziehsöhne, 19 und 20 Jahre, finden das Engagement okay, sind aber nicht aktiv. Die Reaktionen der Passanten seien divers. Da gebe es auch den BMW-Fahrer, der aussteige und sage: "‚Ja, ihr habt vollkommen recht.‘ Und natürlich gibt es auch Exekutivbeamte, die sich riesige Sorgen machen, die Kinder haben. Wenn man das Thema an sich heranlässt, kann es einem nur Angst machen", weiß Engel. Bei Politikern, so vermutet er, "ist das entweder nicht angekommen, oder sie sind so skrupellos, dass sie drüber hinweggehen", glaubt er. Das habe zur Folge, dass die Bevölkerung zu wenig aufgeklärt wird und Lobbyisten Querschüsse gegen den Klimaschutz abgeben könnten.

Leolitta Erdmann (67)

Warum und für wen sich eine 67-jährige pensionierte Krankenschwester regelmäßig einsperren lässt, kann auch Leolitta Erdmann, eine gebürtige Knittelfelderin und Wienerin, schnell beantworten: wegen der Mutter, für die Kinder, auch wenn sie selbst keine habe.

Die Mutter sei "keine Umweltschützerin gewesen, aber den Respekt vor der Natur hat sie mir beigebracht". Mit großer Liebe erzählt Erdmann von ihrer früh verstorbenen Mutter, die als Alleinerzieherin ein Haus baute und allen vier Kindern eine gute Ausbildung samt Musikinstrument zu ermöglichen. "Sie wurde damals auf dem Land ordentlich gemobbt", erinnert sich Erdmann. Doch wichtiger sind andere Erinnerungen: "Jeden Morgen mit ihr in den Wald gehen, Schwammerln suchen, alle Wildkräuter erklärt bekommen, leise sein, damit wir die Rehlein nicht erschrecken, den Auerhahn bei der Balz beobachten", schwärmt die späte Klimaaktivistin.

Bei minus 28 Grad in der Hainburger Au

Erdmann wurde Krankenschwester und war als solche auch bei der Besetzung der Hainburger Au dabei. Damals sei sie zwar nicht in Konflikt mit Polizei geraten, "aber als ich bei minus 28 Grad Decken für alle in unserem Zentrallager in Stopfenreuth holen wollte, damit mir ja keiner erfriert, hab ich einen Beamten gebeten, dass mich der Polizeibus reinbringt, das hat er verneint". Das wundert sie heute noch: "Das war nicht nett. Aber Leute vom Roten Kreuz haben mir dann geholfen, haben ihren Bus mit Decken vollgestopft und sind mit Blaulicht an der Polizei vorbeigefahren."

Die pensionierte Krankenschwester Leolitta Erdmann sagt: "Martha Krumpeck hat mich aus meiner Agonie gezogen."
Foto: Letzte Generation

In dem Gemeindebau in Wien-Favoriten, in dem Erdmann Jahrzehnte lebte, lernte sie freiwillig mit den Kindern im Haus. "In meinem Hof hatten mehr als drei Viertel die Matura", erzählt sie stolz.

Beim Umweltschutz ging es ihr aber "irgendwann wie dem alten Mann in Thomas Bernhards Stück Heldenplatz. Ich hab gedacht: Es hilft eh nichts mehr", sagt Erdmann. Doch dann begegnete sie beim Einkauf auf dem Viktor-Adler-Markt der Aktivistin Martha Krumpeck. "Sie hat da in so einer Hütte einen Vortrag gehalten, so ehrlich, so authentisch, das hat mich so berührt. Martha hat mich aus meiner Agonie gezogen."

Wie war die erste Festnahme? "Boah, am liebsten möchtest davonrennen, sehr unangenehm", ruft die resolute Pensionistin, "da kommt man ins Anhaltezentrum und muss sich komplett ausziehen und die Beine breitmachen. Die hat sogar unterhalb reingeschaut!" Doch Erdmann wisse, für wen sie das tue: "Ich möchte einfach für die Jugend da sein. Die Gesellschaft stürzt sich wie die Geier auf die Jungen, schreit nach höheren Strafen, und dabei hinterlassen wir ihnen einen verdreckten Planeten, plastikverseuchte Meere und einen riesen Schuldenberg." Mittlerweile ziehe sie sich stets gleich von selbst aus: "Ich lass mir das nicht mehr von wem sagen, ich zieh mich aus, bis sie rufen: ‚Passt scho!‘"

Barbara Schmidt (59)

"Wir sind die letzte Generation, die noch etwas ändern kann", sagt Barbara Schmidt, eine Angestellte in einer Firma, die Brillengläser herstellt. Wenn sie sich wie in der Protestwoche Ende Februar täglich auf Straßen klebt, dann mache sie das auch für ihre erwachsenen Kinder und Enkelkinder: "Ich möchte, dass meine Enkel mit 50 oder 60 die Umwelt so erleben können wie ich."

Für Umweltschutz engagiert sie sich seit 15 Jahren, fünf Jahre war sie grüne Gemeinderätin in Bad Vöslau. Die Partei habe sie aber sehr enttäuscht: "Sie kommen aus einer Bewegung wie unseren und haben ihre Wurzeln vergessen." Die Regierung habe "nicht mehr das Wohlergehen der Bevölkerung" im Sinn. Bei ihr seien "Verzweiflung, Frust und Ärger immer mehr gewachsen". Als sie die Chemikerin der Letzten Generation Caroline Thurner kennenlernte, fand Schmidt die für sie richtige Protestform. Die Familie habe ihr Aktionismus gespalten.

Barbara Schmidt rechnet damit, die Geldstrafen irgendwann einmal zahlen zu müssen, und hofft auf Crowdfunding.
Foto: Letzte Generation

Schmidt glaubt, dass "fast alle Leute Angst haben und entweder immer ruhiger und verzweifelter werden, oder sie werden aggressiv und lassen es an denen aus, die sie daran erinnern, dass wir wirklich bedroht sind".

Nudeln in Haft

Die Haft laufe immer gleich ab: "Zuerst wartet man in der Sammelzelle auf der Holzbank, dann Leibesvisitation, dann wird man in den fünften Stock begleitet." Dort bekomme man eine Einzelzelle oder Sammelzelle für sechs Personen mit drei Stockbetten. "Das Essen ist einseitig. Wenn man, wie wir alle, vegan oder vegetarisch ist, gibt es immer Nudeln. Das heißt, letzte Woche gab es für mich täglich Nudeln. Aber ich will mich nicht beschweren, es ist ja kein Hotel", sagt sie. Die Beamtinnen im fünften Stock seien dafür "extrem lieb und höflich".

Auch wenn man die Strafen gesammelt mit einem Anwalt beeinsprucht habe, sei für sie klar: "Irgendwann muss ich zahlen, und das wird meine Pension, die ich im November antrete, sehr schmälern." Sie hoffe auf Crowdfunding, denn mit Sozialarbeit lasse man Verwaltungsstrafen nicht abgelten. "Bankräuber dürften das." (Colette M. Schmidt, 3.3.2023)