John Cale, seit The Velvet Underground ein Unberührbarer der Popkultur. Am Donnerstag gastierte der 80-Jährige in Wien.

Foto: Madeline McManus

Wie ein Guru saß er da. In schwarzem Tuch, die weißen Haare zu einer bestenfalls mit den Fingern gescheitelten Polsterfrisur zerzaust. Brille am Zinken, ein weißer Ziegenbart südlich der Unterlippe.

Er ist eine über die Jahrzehnte gewachsene Autorität, die sich darin begründet, dass er Rock 'n' Roll wieder gefährlich gemacht hat, damals in den 1960ern, in New York, als einer der Gründer von The Velvet Underground. Mit dieser von Andy Warhol protegieren Band haben er und Lou Reed Rockmusik nach Jahren des lauwarmen Geplätschers an und in den Abgrund menschlicher Obsessionen geführt. Sex und Drogen, Lack und Leder. Und das Ganze geistvoll, kalt wie Rache und mit New Yorker Zynismus kredenzt.

Das ist eine Aura, die John Cale bis heute umweht, und da sind die pophistorischen Meilensteine noch nicht erwähnt, die er produziert hat: Horses von Patti Smith, das Debüt der Stooges, Alben von Nico oder den Erstling der Modern Lovers. Und da ist sein Solowerk noch nicht erwähnt, dem der gebürtige Waliser heuer mit Mercy einen Eintrag hinzufügte.

Qualitätsschub im Band-Setting

Die Tour zum Album führte ihn am Donnerstag ins Porgy & Bess. Der Club war in kürzester Zeit ausverkauft, schön für jene, die Karten ergattert hatten, denn so nahe wird man Cale vielleicht nie wieder kommen: Der Mann wird nächste Woche 81. Da verwendet man keinen Atem mehr für Zwischenansagen.

Auf einem Barhocker hinterm Keyboard lehnend navigierte er durch ein Set, das aus einigen Songs des neuen Albums bestand sowie einem eklektischen Querschnitt älterer Titel. Während die neuen am Album oft nur schablonenhafte Keyboardnebel verströmten, erfuhren sie im Setting von Gitarre, Bass und Schlagzeug eine ganz andere Dringlichkeit, was Titeln wie Night Crawling oder Moonstruck (Nico's Song) einen wohltuenden Qualitätsschub verpasste, andere wie Mercy blieben selbst live klebrig.

Zerdehnte Lieder

Konnte man über die von der sehr guten Band – Gitarrist Dean Boyer, Bassist Joey Maramba und Schlagzeuger Alex Thomson – belebten neuen Lieder noch frohlocken, verwüstete er bald darauf Klassiker wie Half Past France fast zur Unkenntlichkeit. Er zerdehnte das Lied zu jenen elend jammernden Synthieschlieren, die im Verein eines mit dem Geigenbogen gestrichenen Basses zur Geduldsprobe wurden. Ein Song aus derselben Ära wie The Endless Plain of Fortune wurde hingegen zu einem frühen Höhepunkt.

Für einen Songs erhob John Cale sich zur Gitarre.

Doch Cale gilt als ewiger Radikaler, als Avantgardist, der seine Lieder schon früher gerne zerlegt hat, als er noch einem Lebensstil frönte, der ihm sein jetziges Alter nicht unbedingt in Aussicht gestellt hat. Und natürlich hat er am Ende des Konzerts dann zu vieles nicht gespielt, einiges wie seine Interpretation von Elvis Presleys Heartbreak Hotel hat man hingegen schon einmal zu oft gehört.

Weit vorne

Immerhin spielte er davor das eher selten gegebene Villa Albani, das Mitte der 1980er bereits wie eine Vorwegnahme des Dancerock des LCD Soundsystem klang – mit dem er später kooperieren sollte. Nur um in Erinnerung zu rufen, wie weit vorne der Mann immer schon war, selbst wenn das auf manchen seiner Alben nicht so augenscheinlich ist.

Am Ende war der Saal spürbar beglückt, am Samstag ist John Cale noch einmal zu erleben. Da tritt er im Stadttheater Wels auf. Eine wenig entbehrungsreiche Pilgerfahrt für einen Guru dieser Strahlkraft. (Karl Fluch, 3.3.2023)