Das Erdäpfelgulasch ist ein Kind der Krise, und ich kann mir gut vorstellen, dass es als eine Art Witz begonnen hat. "Schon wieder nur ein Erdäpfelgulasch!", könnte ein Wiener Arbeiter im frühen 20. Jahrhundert verzweifelt gerufen haben, als er wieder einmal kein Fleisch, sondern bloß paprizierte Erdäpfel serviert bekam. Ein neues Gericht war geboren.

So vertraut das Gericht dem Wiener nämlich ist, scheint es nicht sehr alt zu sein. In den frühen österreichischen Kochbuchklassikern fehlt es: Die Prato kennt es nicht, genauso wenig die Seleskowitz, und bei der Rokitansky ist es erst irgendwann im 20. Jahrhundert eingearbeitet worden: In der ersten Ausgabe von 1897 fehlt es noch. (Im Gegensatz zum Gulasch, das bereits seit den 1850er-Jahren in österreichischen Kochbüchern auftaucht.)

Das vorläufig perfekte Erdäpfelgulasch.
Foto: Tobias Müller

Andererseits ist es vor allem der Name – "Gulasch" als Bezeichnung für ein zunächst vegetarisches Gericht (1) –, der neu ist. Was die alten Kochbücher nämlich sehr wohl kennen, sind allerlei gepimpte Erdäpfelgerichte, von Erdäpfeln mit Sardellen über Majoranerdäpfel bis hin zu "Paprizierten Erdäpfeln", die sich mitunter schon sehr ähnlich lesen wie ein modernes Erdäpfelgulasch. Hier Rokitanskys paprizierte Erdäpfel:

"Die Erdäpfel werden gewaschen, geschält, und roh in kleine Würfel geschnitten, hierauf lässt man in Kern- oder Abschöpffett viel fein gewiegte Zwiebel gelblich anlaufen, gibt dann die Erdäpfel nebst Kümmel, Salz und viel Paprika dazu und läßt alles gut verdünsten, indem man ab und zu mit etwas Wasser vergießt. Hiezu eignen sich nur Erdäpfel einer speckigen Sorte." (2)

Der größte Unterschied zu späteren Rezepten ist die fehlende Wurst und eine gewisse Armut an Gewürzen – das Rezept in der Rokitansky-Ausgabe aus den 1970ern macht das Erdäpfelgulasch mit Speck und Wurst und würzt noch zusätzlich mit Tomatenmark, Essig und Majoran.

Der Heinrich S. war wieder so nett und hat Grafiken gebastelt.
Grafik: Heinrich S.

Den Übergang von den paprizierten Erdäpfeln zum Erdäpfelgulasch kann man dann am Ende der sechsten Rokitanksy-Ausgabe von 1910 mitlesen, in einer Art frühem Advertorial für ein Produkt mit dem Namen "Bertes Gulaschextrakt":

"Wenn Sie bei den so ungeheuer gestiegenen Fleischpreisen sich eine prachtvoll schmeckende Speise ohne Fleisch für wenige Heller bereiten wollen, so erreichen Sie dies, indem Sie Kartoffeln schälen, schneiden, sie in Salzwasser kochen und auf ca. 2 Kilo ein Löffelchen Bertes' Extrakt hinzufügen. Etwas Besseres gibt's nicht!" (3)

Auch als die Zeiten wieder besser wurden, verschwand das Erdäpfelgulasch nicht, im Gegenteil scheint es sich gerade in den Wirtschaftswunderjahren erst so richtig ausgebreitet zu haben, zumindest in den Kochbüchern.

Für ein so kanonisches, allgegenwärtiges Gericht bleiben in den Rezepten allerdings viele Fragen offen, oder die Autoren widersprechen sich: Sind speckige oder mehlige Erdäpfel besser? Braucht es den Speck? Geht es vegetarisch? Essig, ja, nein und, vor allem, wann? Und welche Gewürze machen es wirklich besser?

Palatschinkenforscher Heinrich S., Goldgräber Christoph Fink und ich haben versucht, diesen Fragen möglichst systematisch auf den Grund zu gehen. Begonnen haben wir mit einer Paprikaverkostung.

Der Paprika

Paprikapulver ist eine der wenigen Konstanten im Erdäpfelgulasch – seiner Herkunft vom Gulasch entsprechend kommt es in allen Rezepten vor. Die Menge variiert allerdings beträchtlich: Manche Rezepte setzen es nur verhalten ein, die Obauers hingegen nehmen druckfehlerverdächtige 120 g auf ein Kilo Erdäpfel.

Grafik: Heinrich S.

Wir haben neun verschiedene Paprikapulver probiert, zuerst pur, dann in Schmalz geröstet und mit Essig abgeschmeckt. Einige waren einander recht ähnlich, hier nur die wichtigsten Erkenntnisse.

Die Teilnehmer am "Gruß aus der Küche"-Paprikatest. Der Sieger ist in der zweiten Reihe ganz links.
Foto: Tobias Müller

Der Essig macht geschmacklich einen großen Unterschied und macht sie alle besser – dass er rote Farbe erhält, ist allerdings ein Mythos. Vom Rösten profitieren nur einige – bei manchen tut sich nichts, der Las Hermanas (im Bild) wurde gar unangenehm bitter.

Kotányi war der Verlierer der Runde: Sowohl roh als auch geröstet riecht das Pulver nach Heu und schmeckt nach wenig. Bei Bio Spar war geschmacklich deutlich mehr los, samt angenehmer Süße im Abgang. Unser Favorit war aber der unetikettierte süße Paprika von Paprika Jancsi auf der Klosterneuburger Straße, dem einzigen mir bekannten ungarischen Spezialitätengeschäft Wiens (und definitiv dem mit dem besten Namen). Roh war er fruchtig-süß, einmal geröstet angenehm mollig und fleischig. Auch die scharfe, nur ungarisch beschriftete Variante hat uns überzeugt.

Als ganz erstaunlich in mehrfacher Hinsicht hat sich der Stekovics-Paprika erwiesen: erstens weil er fast das Zehnfache der Konkurrenz kostet. Und zweitens weil der Geschmack merkbar anders ist: Das Stekovics-Pulver schmeckt tatsächlich wie frischer roter Paprika und roh ziemlich gut. Nach dem Rösten war der Effekt allerdings verflogen. Für Liptauer könnte er entsprechend grandios sein, zum Kochen ist er sein Geld aber definitiv nicht wert.

Mehlige vs. speckige Erdäpfel

Eine Streitfrage, mindestens so alt wie das Erdäpfelgulasch und wahrscheinlich so alt wie die paprizierten Erdäpfel. Und wie alle guten Streitfragen nicht abschließend zu beantworten.

Grafik: Heinrich S.

Wir haben denselben Gulaschansatz mit verschiedenen Erdäpfelarten probiert, und müsste ich mich für eine Art entscheiden, ich würde mehlige wählen: Sie erreichen schneller eine wohlig-mundschmeichelnde Konsistenz und geben dem Gulaschsaft bereits beim ersten Mal Kochen eine feine Sämigkeit. Sie sind klar die erste Wahl für das Werktagsgulasch.

Wenn Sie allerdings eine große Menge Gulasch machen, viel Zeit haben und es mehrmals aufwärmen wollen, kann ich mir gut vorstellen, dass speckige Erdäpfel auch ihre Vorzüge haben. Situationsabhängige Entscheidung.

Die Essigfrage

Ich bin der Meinung, dass es kaum Speisen gibt, die NICHT von etwas Essig profitieren, und Erdäpfelgulasch ist keine Ausnahme. Die Frage war daher nicht, ob es Essig braucht, sondern wann er dazukommen soll.

Die meisten Rezepte verwenden ihn, um damit den Paprika abzulöschen, und geben ihn also am Anfang des Kochens dazu. Der Heinrich S. hat in der Vorbereitung des Tests angemerkt, dass das vielleicht nicht die beste Idee ist – und hat wie so oft recht gehabt.

Säure stärkt bestimmte Verbindungen in den Zellwänden von Pflanzen und sorgt damit dafür, dass sie beim Kochen nicht so weich werden. Erdäpfel sind da keine Ausnahme: Werden sie in einer sauren Flüssigkeit gekocht, behalten sie einen seltsamen, etwas unangenehm-sandigen Biss. Weitaus besser waren die Ergebnisse, wenn das Gulasch erst am Schluss mit Essig abgeschmeckt wurde.

Wie schon bei der Erdäpfelart gilt allerdings: Mehrfaches Aufwärmen kann dieses Ergebnis verfälschen.

Die Zwiebelmenge

Die klassischen Rezepte geben eine für ein Gulasch recht kleine Menge Zwiebel an, meist ungefähr halb so viele Zwiebeln wie Erdäpfel. Wir hingegen haben aus dem Vollen geschöpft und nicht an den Zwiebeln gespart – unser Verhältnis war mindestens eins zu eins.

Wir haben in dem Fall keinen Vergleichstest mit weniger Zwiebel gemacht, weil aber unser Ergebnis eines der besten Erdäpfelgulasche war, die ich je essen durfte, behaupte ich hier: Mehr Zwiebeln haben noch keinem Erdäpfelgulasch geschadet, und im Zweifelsfall ist 1:1 besser als 1:2.

Die Garflüssigkeit

Auch wenn die Rezepte unterschiedliche Angaben machen: Wir haben uns hier an die alte Kochweisheit gehalten, dass alles besser ist als Wasser. Eine gute Suppe ist die wichtigste Zutat in vielen Rezepten und oft der Grund, warum etwas im Lokal besser schmeckt als zu Hause. Ein Risotto steht und fällt damit genauso wie so mancher Eintopf.

Wir haben daher unser Gulasch mit Rindssuppe gekocht – und zwar mit einer richtig guten, die der Herr Fink extra vorbereitet hat. Ganz ohne Vergleichstest glaube ich, dass sie einen wesentlichen Beitrag geleistet hat zum Erfolg.

Die Gewürze

Um die perfekte Würze zu finden, haben wir kleine Mengen des gleichen Zwiebelansatzes mit anderen, in den klassischen Rezepten vorkommenden Zutaten gewürzt und uns durchgekostet.

Foto: Tobias Müller

Hier unsere Ergebnisse:

  • Tomatenmark: unbedingt. Gibt mehr Körper und angenehme Süße.
  • Kümmel: ist eine Genre-definierende Zutat und muss auf jeden Fall rein. Interessant war aber, dass er uns allen ungeröstet besser geschmeckt hat als geröstet, weil er durch das Rösten an Komplexität verliert. War mir als sonst überzeugtem Gewürzröster neu.
  • Majoran: in fast homöopathischen Dosen super. Vorsicht: Eine Prise zu viel, und es werden Majoranerdäpfel draus.
  • Frischer Paprika: unappetitlich. Verwandelt das Ganze in etwas, das in meiner Kindheit vielleicht als "Zigeunereintopf" auf der Karte eines oberösterreichischen Landgasthauses gestanden wäre. (4)
  • Frische Tomaten: siehe frischer Paprika.
  • Speck: unbedingt! Bringt Komplexität, macht es aufregender.
  • Scharfer Paprika: aber ja, warum nicht. Ist sowieso selten wirklich scharf und bringt ein wenig mehr Feuer ins Spiel.

Die Würste

Und schließlich geht es um die Wurst. Wir haben die wichtigsten Erdäpfelgulaschwurstklassiker ausprobiert: Dürre (Ringl), Braunschweiger (Supermarkt), Debreziner (Ringl), Knoblauchwurst (Ringl), ungarische Pferdewurst (Paprika Jancsi) und eine ungarische Bauernwurst (Paprika Jancsi). (5)

Foto: Tobias Müller

Der Sieger war jene Wurst, die am öftesten in den Rezepten verwendet wird: die Dürre. Sie hat, fanden alle, den perfekten Biss und Geschmack für das Gericht. Platz zwei belegte die Debreziner, gefolgt von der Braunschweiger. Die Rohwürste hingegen konnten nicht überzeugen. Erdäpfelgulasch ist ein Brühwurstgericht.

Zwei Ausreißer: Eine vegetarische Variante und einmal Christoph Wagner

Wir haben die meisten unserer Tests mit einem Gulaschansatz gemacht, den wir nach und nach ein wenig variiert haben. Daneben haben wir aber noch zwei Ausreißer gekocht.

Zunächst haben wir ein vegetarisches Erdäpfelgulasch angesetzt, mit Pflanzenöl statt Schmalz, ohne Speck, ohne Wurst und mit Gemüsesuppe. Das Ergebnis war durchaus mit Genuss essbar. Besser oder auch nur gleich gut wie die fleischliche Variante war es leider nicht.

Das Rezept von Christoph Wagner haben wir ebenfalls separat zubereitet. Erstens weil Christoph Wagner normalerweise weiß, wovon er schreibt, und zweitens weil sein Rezept deutlich anders ist als alle anderen. Während Erdäpfelgulasch meist ein relativ schnelles Gericht ist – Zwiebel zusammenfallen lassen, ablöschen, würzen, aufgießen, Erdäpfel weich kochen, fertig –, lässt Wagner seinen Gulaschansatz ziemlich lange köcheln, nämlich stolze zwei Stunden. Er benutzt außerdem festkochende statt mehlige Erdäpfel.

Das Ergebnis ist sehr gut, vielleicht sogar vielschichtiger als unseres, und schmeckt mehr nach richtigem Saftgulasch – überzeugt hat es uns aber trotzdem nicht. Es ist weniger sämig, weniger Wohlfühlessen, einfach weniger Erdäpfelgulasch, als wir das gerne haben.

Was wir über Erdäpfelgulasch gelernt haben

Erdäpfelgulasch ist ein vergebendes und nicht besonders aufwendiges Gericht. Nehmen Sie sich trotzdem ein wenig Zeit dafür und behandeln Sie es mit Liebe. Mehlige Erdäpfel sind im Zweifel besser als festkochende; sparen Sie nicht an den Zwiebeln, verwenden Sie möglichst gute Suppe, rösten Sie den Kümmel nicht, geben Sie den Essig erst am Schluss zum Abschmecken dazu. Und das beste Paprikapulver gibt's tatsächlich beim Ungarn.

Grafik: Heinrich S.

Voilà, das war's. Es folgt das "Gruß aus der Küche"-Erdäpfelgulasch. Heinrich S.' Mutter meinte, sie lasse dafür jedes echte Gulasch stehen.

Das "Gruß aus der Küche"-Erdäpfelgulasch

  • 2 EL Schmalz
  • 1 kg Zwiebel, in Streifen geschnitten
  • 10 g Salz
  • 1 EL Tomatenmark
  • 2 EL Paprika edelsüß
  • 1 TL Paprika scharf
  • 1,5 l Rindssuppe (am besten Finks feiner Fond)
  • 100 g Speck, in Lardons geschnitten
  • 1 TL Kümmel
  • 1 winzige Prise getrockneter Majoran (optional)
  • 200 g Dürre, in mundgerechte Stücke geschnitten
  • 1 kg mehlige Erdäpfel, geschält und in mundgerechte Stücke geschnitten
  • Essig zum Abschmecken

In einem großen Topf das Schmalz schmelzen, die Zwiebeln zugeben, salzen und bei hoher Hitze unter ständigem Rühren zusammenfallen lassen. Wenn sie schön weich sind und etwas Farbe genommen haben, das Tomatenmark zugeben und kurz braten, dann mit dem Paprika stauben, kurz mitrösten und mit der Suppe ablöschen.

Die Erdäpfel zugeben, zum Kochen bringen und sieden, bis sie schön weich sind, aber noch nicht zerfallen. Währenddessen den Speck in einer Pfanne knusprig braten. Das Gulasch mit dem Kümmel und dem Majoran würzen, den Speck und die Wurst unterrühren und mit Essig abschmecken. Alles nochmals aufkochen und kurz im Topf zusammenfinden lassen.

Foto: Tobias Müller

Mit Sauerrahm zum Selbstgarnieren servieren. (Tobias Müller, 5.3.2023)

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(1) Gerd Sievers erzählt in seinem "Beiselkochbuch", das Erdäpfelgulasch sei nach dem Wiener Börsenkrach 1873 entstanden, als sich die Leute kein Rindfleisch, sondern nur mehr Pferdewurst leisten konnten, und zwar die Dürre, die traditionell ins Erdäpfelgulasch kommt. Der Zeitpunkt klingt vernünftig, allerdings glaube ich, dass die Dürre erst später hinzugekommen ist. Ich halte das Erdäpfelgulasch eher für ein vegetarisches Gulasch und nicht für eine Erdäpfelspeise mit Wurst.

(2) Ein fast identes Gericht listet die "Temesvarer Zeitung" bereits 1858 unter dem Namen "Erdäpfelzuspeise", lange vor der Wirtschaftskrise, allerdings als kostengünstige Verpflegung für Sträflinge und selbst für die nur als Sättigungsbeilage zur Rindssuppe.

(3) Das passt auch gut zu dem rasanten Anstieg des Erdäpfelkonsums in Wien, den Franz Mayer Bruck in seinem "Vom Essen auf dem Lande" beschreibt: von gerade einmal 17 kg pro Kopf und Jahr 1817 auf mehr als 61 kg im Jahr 1850. Ein Jahrhundert davor, 1745, waren sie noch so exotisch, dass ein Pfund Erdäpfel so viel kostete wie 82 Pfund Rindfleisch.

(4) Tatsächlich steht im "Vom Essen auf dem Lande" ein ähnliches Gericht im Tirol-Kapitel unter dem Namen "Zigeunerbratl".

(5) Das Knoferl vom Billa, das meine Mutter für ihr sehr gutes Erdäpfelgulasch verwendet, war leider an dem Nachmittag nicht aufzutreiben, was mich immer noch wurmt.