Eigentlich hat König Charles mit der Organisation seiner Krönung im Mai alle Hände voll zu tun. Ende des Monats aber absolvieren der 74-Jährige und seine Gattin Camilla (75) ihre erste gemeinsame Auslandsreise seit der Amtsübernahme im September. Die Staatsbesuche in Frankreich und Deutschland sollen, wie der Buckingham-Palast am Freitag mitteilte, die Partnerschaft der Brexit-Insel mit den beiden wichtigsten Ländern Westeuropas demonstrieren. Der Besuch noch vor der Krönung Anfang Mai verdeutliche, so der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, "die enge und herzliche Freundschaft zwischen unseren Ländern und unseren Bürgerinnen und Bürgern".

Im Mai 2019 besuchte Charles das Brandenburger Tor.
Foto: AFP/Macdougall

Der Besuch in der letzten Märzwoche ist nach der gewissenhaften Zählung des Palastes bereits Charles' 35. offizielle Visite in Frankreich, die 29. in Deutschland. Seine Eltern, Queen Elizabeth II. und Prinz Philip, waren zuletzt 2015 nach Deutschland gereist. Wie damals vor dem Brexit-Referendum dürfte die Intention der konservativen Regierung auch diesmal darin bestehen, den royalen Glamour zur Süßholzraspelei bei den beiden wichtigsten EU-Mitgliedern einzusetzen. Ganz gewiss ist die je dreitägige Visite als hohe Ehre gedacht.

Bordeaux und Kunst

Eine Waldschäden-Besichtigung und eine Weinverkostung nahe Bordeaux, umweltfreundliche Technik im Hamburger Hafen, eine Brückenbau-Demonstration durch britische und deutsche Pioniere in Brandenburg – das Besuchsprogramm des Königs widmet sich einerseits einigen seiner seit Jahrzehnten verfolgten Anliegen und wird andererseits seiner Rolle als (nomineller) Oberbefehlshaber der britischen Streitkräfte gerecht.

Die als Leseratte bekannte Camilla widmet sich unterdessen den kulturellen Themen: In Paris eröffnet die Queen Consort gemeinsam mit Brigitte Macron die neue Manet- und Degas-Ausstellung im Musée d’Orsay; in Berlin geht die 75-Jährige mit Steinmeiers Frau Elke Büdenbender in die Komische Oper.

Rede im Bundestag

Politische Höhepunkte beider Besuche dürften Charles' Ansprachen vor der Nationalversammlung und dem Bundestag werden. Noch als Thronfolger war der damalige Prinz im November 2020 Redner bei der zentralen Veranstaltung im Bundestag zum Volkstrauertag gewesen. Was Charles damals, etwa zur Hälfte in flüssigem Deutsch, über Großbritannien und Deutschland als "instinktive Problemlöser" sagte, dürfte auch unter dem Schatten des russischen Krieges gegen die Ukraine Widerhall finden: "Wir werden immer Freunde, Partner und Verbündete sein."

In beiden Ländern dürfen die britischen Royals auf freundliche Aufnahme hoffen, wenn auch gewiss nicht mit dem begeisterten Jubel, der Queen Elizabeth bei ihrem ersten Staatsbesuch in Westdeutschland 1965 entgegenschlug. Die Westberliner skandierten sogar "E-li-sa-beth, E-li-sa-beth", was die derart Hofierte zwiespältig aufnahm. "Ich glaube, sie fühlte sich allzu sehr erinnert an das Nazi-Geschrei", notierte der damalige Außenminister Michael Stewart.

Ein Vergleich der Charles-Visite mit seiner Mutter erübrigt sich schon deshalb, weil Reisen im 21. Jahrhundert deutlich weniger kompliziert und zeitraubend ist als zu Beginn der 1950er-Jahre. Die damalige Prinzessin erfuhr vom Tod ihres Vaters George VI. im Februar 1952 bekanntlich während einer Kenia-Reise; ihre erste Auslandstournee 1953/54 durch das damals noch bestehende Empire sowie bereits unabhängige Ex-Kolonien dauerte fünfeinhalb Monate. Allein in Australien verbrachten die Queen und Prinz Philip damals drei Monate.

Multistaatsoberhaupt

Immerhin fragen sich manche "royal watchers" in London, warum die erste Auslandsreise des neuen Königs eben nicht in einen der immerhin 14 Staaten führt, deren Staatsoberhaupt er zusätzlich zum britischen Königreich bis heute ist. Ob es daran liegt, dass vielerorts offene oder verdeckte Diskussionen darüber geführt werden, ob diese Klammer zur einstigen Kolonialmacht noch zeitgemäß ist? Ein Besuch beispielsweise in Kanada hätte den König wenigstens geografisch in die Nähe seines zweitgeborenen Sohnes Harry gebracht, vielleicht sogar ein Treffen ermöglicht.

Gesprächsbedarf hätten der Monarch und der Bestsellerautor von "Reserve" gewiss, schließlich habe das Buch durch den intimen Einblick in Palastvorgänge dem Königshaus "großen Schaden" zugefügt, analysiert Charles-Biografin Catherine Mayer. Zudem gibt es drängende Zukunftsfragen. Denn für die Krönung in wenig mehr als zwei Monaten bleibt weiterhin offen, ob das mittlerweile in Kalifornien lebende Herzogspaar von Sussex am 6. Mai in der Westminster Abbey dabei sein wird.

Räumungsaufforderung

Zur Auflockerung der Gesprächsatmosphäre hat gewiss nicht beigetragen, was diese Woche in London bekannt wurde: Schon im Jänner hatte der Palast Harry und Meghan zur Räumung ihres Landsitzes nahe Schloss Windsor aufgefordert. Die millionenteure Renovierung von Frogmore Cottage, einer Villa mit zehn Schlafzimmern, hatte den Ruf des Paares auf der Insel nicht gerade befördert, weshalb Harry die Kosten von 2,7 Millionen Euro später aus eigener Kasse beglich.

Sogar der überaus königstreue "Telegraph" bezweifelt nun den Sinn einer Maßnahme, die das Herzogspaar ihres "einzigen sicheren Ortes" in England beraubt. Zumal die schöne Liegenschaft in Zukunft vom anderen Problemprinzen, Charles' Bruder Andrew, bewohnt werden soll. Der frühere enge Freund zweier verurteilter Sexualverbrecher und seine geschiedene Frau Sarah lebten bisher für einen nominellen Pachtzins in der nicht weit entfernten Royal Lodge, die immerhin über dreißig Schlafzimmer verfügt. Medienberichten in London zufolge sträuben sich beide Prinzen gegen die angepeilte Rochade.

Vielleicht stellt die Visite auf dem Kontinent für Charles und Camilla also sogar eine willkommene Abwechslung zu den schwierigen Auseinandersetzungen in der Heimat dar. (Sebastian Borger aus London, 3.3.2023)