Die Ausnahmefotografin Margherita Spiluttini, die berühmte Bauten und bedrohliche Berge gleichermaßen zu bändigen wusste, ist im Alter von 76 Jahren gestorben.

Foto: Heribert CORN

Ihre ersten Fotos waren radioaktive und radiologische Innenraumfotografien vom menschlichen Körper, wie sie selbst zu sagen pflegte. Margherita Spiluttini machte eine Ausbildung zur medizinisch-technischen Assistentin und arbeitete in ihren jungen Jahren in der nuklearmedizinischen Abteilung des Wiener AKH. Eines Tages begann sie, auch außerhalb des Krankenhauses zu fotografieren: Menschen, Momente, Landschaften, Stilllebenserien im eigenen Haushalt, Dokumentationsfotos der frühen Frauenbewegungen in Österreich. In den 1980er- und 1990er-Jahren entdeckte sie ihre Liebe für das Gebaute, für das von Menschenhand Geschaffene. Nun ist Österreichs, wenn nicht sogar Europas wichtigste Architekturfotografin 76-jährig in Wien verstorben.

"Als ich begonnen habe zu fotografieren", sagte Spiluttini einmal in einem Interview mit dem STANDARD, "war die Branche traditionell und verkrustet. Fotografie als zeitgenössische Kunstform war ein Fremdwort. Ja, es gab die Magnum-Fotos, die alle bewundert haben, aber die waren mir zu anekdotisch."

Aus Hassliebe wurde Faszination

Spiluttini, Tochter eines Baumeisters, aufgewachsen im Pongau, hatte schon früh mit bedrohlichen Bergen und technischen Eingriffen in die Natur zu tun, war geprägt von Rohbauten, Brückenpfeilern und Tunneleinfahrten. "Es war eine Art Hassliebe", sagte die Autodidaktin. "Eines Tages ist aus dieser Hassliebe eine tiefe Faszination geworden, eine Faszination für Architektur, die mich nie wieder losgelassen hat."

"Am Schöpfwerk", 1967–1981, aus der Ausstellung "Das Terrassenhaus. Ein Wiener Fetisch?".
Foto: ARCHITEKTURZENTRUM WIEN,SAMMLUNG

Spiluttini fotografierte für die größten und bekanntesten Künstler und Architekten der Welt – unter anderem für Roland Rainer, Peter Zumthor, Aldo Rossi, Álvaro Siza Vieria, Tadao Andō, Sol LeWitt, James Turrell, Ólafur Elíasson, Friedensreich Hundertwasser – und war jahrelang Haus- und Hoffotografin für das Schweizer Büro Herzog & de Meuron. Sie beteiligte sich an zahlreichen Biennalen in Venedig, war Vorstandsmitglied der Wiener Secession und lehrte an der Angewandten in Wien sowie an der Kunstuniversität Linz.

Diagnose: Multiple Sklerose

"Ich liebe diesen Moment, wenn ich unter dem schwarzen Tuch meiner Plattenbodenkamera verschwinde", sagte sie. "Das Bild auf der Mattscheibe steht auf dem Kopf, alles ist seitenverkehrt, man schaut anders, irgendwie konzentrierter auf die Welt." 2014 schoss sie selbstständig das letzte Foto ihrer Karriere. 1995 nämlich war bei ihr multiple Sklerose (MS) diagnostiziert worden, seit 2006 war sie auf den Rollstuhl angewiesen, das Fotografieren wurde immer schwieriger. "Ich hatte einen elektrischen Rollstuhl mit integrierter Stehfunktion. Und jetzt stellen Sie sich einmal diese Situation auf der Straße mit Kamerastativ und großem, schwarzem Tuch darüber vor! Gemeinsam mit meiner Assistentin habe ich am Ende schon oft lustige Blicke geerntet."

Unschätzbares Œuvre

Margherita Spiluttini hat es geschafft, die Architekturfotografie in ihrer Wertigkeit zu heben. Sie hat dazu beigetragen, dass das fotografierte Bauwerk heute als eigenständige Kunst anerkannt ist. Dafür wurde sie 2006 mit dem Österreichischen Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst, 2016 mit dem Österreichischen Staatspreis für künstlerische Fotografie ausgezeichnet. Anfang Jänner verstarb ihr Lebensgefährte, der Wiener Architekt Gunther Wawrik, wenige Wochen später ist sie ihm nun – aufgrund der Folgen ihrer MS-Erkrankung – nachgefolgt. Spiluttini hinterlässt ein unschätzbares Œuvre von 120.000 Diapositiven und Negativen, von 120.000 Blicken auf die Welt, die sie noch zu Lebzeiten als Vorlass dem Architekturzentrum Wien übergab. (Wojciech Czaja, 3.3.2023)