Auch Galaxien können sterben. Ist das ganze Baumaterial für neue Sterne erst einmal aufgebraucht, kann eine durchschnittliche Galaxie nur mehr auf einen Happen aus der näheren Umgebung hoffen. Schafft sie es nicht, sich eine andere Galaxie einzuverleiben, blickt sie ihrem langsamen Untergang entgegen. Eine solche "tote" Galaxie produziert zwar immer noch viel Licht, im Unterschied zu aktiven Galaxien ist aber ihre Sternenproduktion praktisch zum Erliegen gekommen.
Bisher galt auch die Milchstraße als zumindest siechend: Die Rate, mit der unsere Heimatgalaxie Sterne gebiert, liegt demnach bestenfalls bei nur zwei bis fünf Sonnenmassen pro Jahr, Tendenz sinkend. Aber da hatte man die Milchstraße wohl deutlich unterschätzt, wie eine Studie nun zeigt: Eine detaillierte Bestandsaufnahme durch ein Team um Thomas Siegert von der Universität Würzburg kam zu dem Schluss, dass die Milchstraße bis zu zehnmal mehr neue Sterne hervorbringt als gedacht.
Verschleierte Milchstraße
Da die Geburt von neuen Sternen ein Millionen Jahren dauernder Prozess ist, tun sich Fachleute nicht leicht dabei, die Produktivität der Milchstraße einzuschätzen. Erschwerend kommt hinzu, dass wir nur einen Teil der Galaxie direkt beobachten können. Daher legten Siegert und seine Kolleginnen und Kollegen ihren Schätzungen ein indirektes Bottom-up-Modell zugrunde. Im Zentrum ihres Interesses stand Gammastrahlung, die mit dem Zerfall der Isotope Aluminium-26 und Eisen-60 in Verbindung steht.
Beide Isotope haben eine Halbwertszeit von rund 700.000 Jahren und werden von sehr großen Sternen bei deren Supernovae hervorgebracht. Ihr Vorkommen gibt daher auch Aufschluss darüber, wie häufig derartige explosive Ereignisse sind. Und je mehr Supernovae es gibt, desto höher liegt auch die Sternentstehungsrate insgesamt. Da die Gammastrahlen der beiden Isotope Staub viel besser durchdringen können als sichtbares Licht, liefert diese Methode auch Informationen zu ansonsten nur schwer beobachtbaren Teilen der Galaxie – und somit nach Ansicht der Forschenden auch eine akkuratere Einschätzung der Sterngeburtenrate der Milchstraße.
Bis zu 20 Babysterne pro Jahr
Ihre zunächst am Preprintserver ArXiv.org präsentierten Schlussfolgerungen aus dem gewonnenen Gammastrahlenbudget: In der Milchstraße treten pro Jahrhundert durchschnittlich zwischen 1,8 bis 2,8 Supernovae auf, was umgerechnet eine stellare Geburtenrate von vier bis acht Sonnenmassen bedeuten würde. Geht man davon aus, dass einige Jungsterne masseärmer sind als die Sonne kommt man auf 10 bis 20 neuen Sterne pro Jahr.
Siegert und sein Team räumen ein, dass nicht alle Schritte ihrer Argumentationskette ausreichend belastbar sind. Fehler oder Ungenauigkeiten bei den Messungen der Isotopenhäufigkeit etwa könnten zweifellos zu entsprechend verzerrten Resultaten führen. Bedeutender noch sei aber die Tatsache, dass die Forschenden bei den unsichtbaren Regionen der Milchstraße auf sehr theoretische Hochrechnungen angewiesen waren. Angesichts der Tatsache, dass die Milchstraße alles andere als homogen ist, liegen hier also noch gewissen Unsicherheiten.
Hunderte Geburten
Dennoch erweist sich die Methode des Teams als vielversprechend. Da Sternengeburten normalerweise hinter dichten Gas- und Staubschleiern stattfinden, verhilft die Untersuchung der Gammastrahlung zu einem lohnenswerten Blick hinter diesen Vorhang.
Sollten sich die Berechnungen von Siegert und seiner Gruppe als realistisch herausstellen, würde letztlich auch die Wahrscheinlichkeit steigen, mit der Leben in der Galaxie auftaucht. Mehr Sterne bedeutet immerhin auch mehr Planeten und damit mehr potenzielle Lebenshorte. An sogenannte Starburstgalaxien kommt unsere behäbige Milchstraße freilich nicht mehr heran. Sterneninseln Messier 82 sind nämlich dazu in der Lage, über hundert pro Jahr hervorzubringen. Die Ausnahmegalaxie COS-87259 schafft sogar mehr als tausend. (tberg, 6.3.2023)