Im Gastblog blickt Franz Winter auf das Wirken des kürzlich verstorbenen Gründers der Religionsgemeinschaft "Happy Science".

Am 2. März verstarb überraschend der Gründer der japanischen Religionsgemeinschaft Happy Science, Okawa Ryuho, im Alter von 66 Jahren in Tokyo. Dies blieb außerhalb Japans weitgehend unbeachtet, weil sich die mit ihm verbundene Gemeinschaft nur in Spurenelementen hier bemerkbar machen konnte. In Japan selbst war aber sowohl die Person als auch die von ihm gegründete Religion Kofuku no kagaku (so die offizielle japanische Bezeichnung; wörtlich: die Wissenschaft vom Glück) eine weithin bekannte Größe in der Szene der jungen Religionsgemeinschaften. Diese in der Forschung sogenannten neureligiösen Bewegungen sind dort, wie überhaupt im ostasiatischen Raum, um vieles bedeutender als hierzulande, wo sie Randphänomene geblieben sind. All dies ist wohl Zeichen für eine äußerst vitale religiöse Landschaft, die auch um vieles innovationsfreudiger ist, als wir es hierzulande gewohnt sind. Für Japan geht beispielsweise die Zahl dieser jungen, mitgliedermäßig sehr unterschiedlich großen Religionsgemeinschaften in die Hunderte. 

Ryuho Okawa bei einer Veranstaltung der Kofuku jitsugento im Jahr 2010
Foto: APA/AFP/JIJI Press/STR

Die Bekanntheit von Okawas Gründung war nicht zuletzt auch deshalb breit, weil seit 2009 eine mit der Gemeinschaft auch offiziell verbundene politische Partei, Kofuku jitsugento (wörtlich: Glücksverwirklichungs-Partei), bei diversen nationalen Wahlgängen mitmischte und mit ihren Positionierungen und den damit verbundenen Werbekampagnen gehöriges Aufsehen erregte (aber weitgehend erfolglos blieb). Dies ist nur ein Aspekt einer an Volten reichen Geschichte dieser außergewöhnlichen Gemeinschaft.

Eine Wiedergeburt des Buddha im modernen Japan

Völlig außer Frage steht nämlich, dass mit Okawa einer der schillerndsten Figuren der gegenwärtigen neureligiösen Szene nicht mehr ist. Sein religiöses Wirken begann er laut eigenen Angaben bereits 1983, als der buddhistische Reformator Nichiren (1222 bis 1282) angeblich mit ihm in direkten Kontakt trat und dabei Okawa mit der Mission beauftragte, der Menschheit eine neue Wahrheit zu enthüllen. Dies manifestierte sich in der Gründung der Kofuku no kagaku im Jahr 1986, die dann insbesondere ab den beginnenden 1990er Jahren durch aufsehenerregende Massenveranstaltungen japanweit bekannt wurde. Darin präsentierte sich Okawa als niemand Geringerer als die Wiedergeburt des Buddha beziehungsweise eigentlich eines dahinter stehenden Geistwesens, das zudem einige weitere Vorinkarnationen getätigt hatte – unter anderem als der griechische Gott Hermes. 

Dies alles tat er mit der Autorität eines durchaus erfolgreich tätigen Businessman, der noch dazu seine Ausbildung in der Kaderschmiede Japans, der Universität von Tokyo, erhalten hatte und somit eine hochangesehene gesellschaftliche Stellung inne hatte. Sein Außenauftritt war auch zeitlebens eher der eines Geschäftsmannes im Business-Anzug, womit er sich deutlich von den oftmals sehr flamboyant und exzentrisch auftretenden Gründerfiguren anderer Gemeinschaften unterschied. Diese hatten zumeist außerdem eher soziale Dropout-Karrieren aufzuweisen, was wiederum einen wichtigen Unterschied zu Okawa markierte. Und es machte einen Gutteil seiner Attraktivität für Mitglieder aus, die sich vornehmlich aus der japanischen Mittelschicht rekrutierten.

Gespräche mit vielen Geistern

Die Wurzeln der ganzen Entwicklung sind religionshistorisch wohl in der sogenannten "Channeling"-Tradition zu suchen, eine im New Age des 20. Jahrhunderts vielpraktizierte Form der angeblichen Kontaktaufnahme mit einer "Geistwelt". All dies hat ab den 1970er Jahren eine ausgeprägte globale Rezeption erfahren, die einmal als internationaler "channeling craze" bezeichnet wurde und unter anderem auch in Japan sehr bedeutend war. De facto waren die ersten Publikationen, die sich mit Okawa verbinden lassen, solche "Geistgespräche" (jap. reigen) mit unterschiedlichen historischen Persönlichkeiten (aber auch diversen Gottheiten) sowohl aus der westlichen als auch der asiatischen Tradition. Darunter finden sich so illustre Gesprächspartner wie Sokrates, Jesus, Lincoln, aber auch die japanische Sonnengöttin Amaterasu oder der ägyptische Gott Amon.

Die Inhalte dieser Gespräche glichen sich allerdings sehr stark. Themen waren etwa der Hinweis auf den Anbruch eines neuen Zeitalters, der damit einhergehenden Transformation der Gesellschaft oder die hohe Bedeutung einer "Geistwelt", auf die man bei allen Entscheidungen Rücksicht zu nehmen hätte. Diese Bücher wurden zum Startpunkt einer wachsenden Popularität, die sich in teilweise exorbitant hohen Verkaufszahlen spiegelte. Dies setzte sich auch in der folgenden Serie von Büchern fort, die mit Titeln wie "Die Gesetze der Sonne" oder "Die Goldenen Gesetze" die Grundlagentexte der Gemeinschaft darstellen. Viele dieser Veröffentlichungen wurden übrigens dann auch in Comicfassungen, als Manga, oder sogar in abendfüllenden, sehr professionell gestalteten Anime-Filmen aufbereitet.

"Happy Science" war eine Zeitlang durchaus erfolgreich und konnte viele Mitglieder gewinnen, wenn auch seriöse Zahlen darüber nicht angegeben werden können. Sehr präsent war man insbesondere in den 1990er Jahre, wo Okawa durch äußerst scharfe apokalyptische Aussagen auf sich aufmerksam machte. Offensichtlich war dieser Erfolg auch in einer großen Zahl von großzügigen Bauten, die mit dem klassischen buddhistischen Begriff für Kloster bezeichnet wurden und zum Teil in sehr prestigeträchtigen und teuren Lagen in vielen Städten Japans erbaut wurden. 

Im Laufe der weiteren Entwicklungen dehnte man die Bemühungen weiter aus. Neben den Tempeln gibt es nun beispielsweise eine eigene Universität und Schulen, die auf den Prinzipien der Lehre aufgebaut wurden. Okawa ist hier klassisch nicht nur als Lehrer und spiritueller Leiter, sondern auch als durchaus erfolgreicher "religiöser Unternehmer" entgegentretend. Nicht zuletzt deshalb war aber die Frage nach den Finanzquellen der Gemeinschaft und ihrer Realmacht eines der schwierigsten und im Endeffekt unbeantworteten großen Rätsel.

Einer der wichtigsten Tempel der Kofuku no kagaku in Tokyo, im Stadtteil Shinagawa.
Foto: https://www.istockphoto.com/Tapsiful

Viel Kritik

Von Anfang an stieß die Gemeinschaft auf eine äußerst kontroversielle Wahrnehmung und der Vorwurf, hier einem riesigen Religions-Scam aufzusitzen, ist eine konstante Begleitmusik. Die Gemeinschaft tat das ihre dazu: die Informationspolitik war zum Teil völlig undurchsichtig, die Auftritte Okawas streng reglementiert und jedwede Kritik an ihm und seinem Gebaren wurde abgewiesen. Hinter die organisatorischen Kulissen zu blicken, war so gut wie unmöglich.

Oft hatte man den Eindruck, dass die öffentliche kritische Wahrnehmung Okawa befeuerte, noch kontroversieller aufzutreten. Beredtes Zeugnis sind die vielen Veröffentlichungen von weiteren "Geistgesprächen" in den letzten Jahrzehnten, in denen er sich vor allem mit bedeutenden politischen Figuren (oder den Schutzgeistern eben dieser, wenn sie noch lebten) unterhielt und dabei durchaus deutliche politische Botschaften ventilierte. Von Kim Jong-un über Xi Jinping bis zu Margaret Thatcher, Donald Trump oder Vladimir Putin reicht das Spektrum dieser Kontakte, die noch dazu vielfach verschwörungstheoretische Inhalte transportierten.

In der Außenbetrachtung hatte man durchaus den Eindruck einer Art Steigerung. Und völlig außer Frage stand auch, dass über all diesen Entwicklungen in der öffentlichen kritischen Wahrnehmung immer auch das japanische Trauma des berüchtigten Terroranschlags der neo-buddhistischen Bewegung Aum Shinrikyo im Jahr 1995 in der U-Bahn von Tokyo schwebte, zumal die beiden Gemeinschaften durchaus einige Parallelen aufwiesen.

Interne Probleme und Kritik von außen steigerten sich gerade in den letzten Jahren. Die Scheidung von seiner Frau etwa, die zuvor eine ganz zentrale Rolle in der Gemeinschaft hatte (und dann regelrecht exkommuniziert wurde), und vor allem die Tatsache, dass Okawas eigener Sohn sich massiv in der Öffentlichkeit und auf Social-Media-Kanälen gegen seinen Vater wandte und ihm ganz offen Betrug vorwarf, beschädigte das an sich schon lädierte Image der Gemeinschaft massiv.

Eine Religionsgemeinschaft als Herausforderung

Vieles, was eben beschrieben wurde, mag einem mehr oder minder durchsäkularisierten oder auch mit klassischen Religionen verbundenen Europäer sprachlos machen. Okawa war zweifellos selbst im an sich schon bunten Spektrum der neureligiösen Bewegungen in Ostasien eine Ausnahmeerscheinung. Es ist aber nichtsdestotrotz als Ausdrucksfeld des Phänomens Religion wahrzunehmen. Und deshalb muss auch so etwas Gegenstand einer nüchternen, einordnenden Betrachtung sein, auch was die Mitglieder der Gemeinschaft betrifft. Der "Sekten"-Begriff, der von gehirngewaschenen Robotern ausgeht, die willenlos Befehle ausführen, greift hier viel zu kurz und verkennt die Spannbreite der individuellen Bedürfnisse und Ausgangslagen, die diese Menschen bewegt, sich diesem Programm zuzuwenden. Oftmals geht es weniger um Inhalte, sondern um das Gemeinschaftsgefühl und die Geborgenheit, die vermittelt werden.

Und nun?

Wie es nun weitergehen wird, lässt sich schwer abschätzen. Der Tod von Gründerfiguren ist immer ein Knackpunkt in der Entwicklung von Religionsgemeinschaften und fast immer begleiten diesen Vorgang Streit und Schismen in der Gemeinschaft, wenn man vergleichbare Entwicklungen betrachtet (und dies übrigens auch im historischen Vergleich: man denke nur an das Christentum oder den Islam!). Im reinkarnatorischen Denkschema seines religiösen Systems und in der Darstellung der Mitglieder ist übrigens davon auszugehen, dass Okawa (beziehungsweise das dahinterstehende Geistwesen) irgendwann einmal auf Erden wiedergeboren werden wird. Das werden wir wohl nie mit Sicherheit erfahren. Deshalb zum Abschied (möglichst religionswissenschaftlich neutral): Sit tibi terra levis. (Franz Winter, 10.3.2023)

Weiter Beiträge im Blog

Was hat der Buddhismus, was andere nicht haben?

Winterdämoninnen: Freelancing für das Christentum?