Zurüstungen für einen musikalischen Zuckerschock: Anne-Fleur Werner und George Humphreys (eine Neue-Musik-Karikatur!) agieren tapfer auf der Höhe einer Groschenromanfantasie.

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Der verwöhnte Backfisch Leonie liebt klassische Musik und möchte Dirigentin werden. Die Milliardärstochter wird von Jonas, dem jungen Hilfsgärtner, angeschmachtet – leider ohne jede Resonanz. Die Avancen des fiesen Komponisten und Rektors der Musikakademie, Sir Anthony Swindelle, sind da erfolgreicher. Swindelles Geliebte Theodora wiederum macht sich an Leonies Vater heran, den verwitweten Textilmagnaten Rudolf Kaiser. Das intrigante Paar will mit einer Doppelhochzeit den Jackpot knacken und Vater und Tochter Kaiser danach um erhebliche Teile ihres Vermögens erleichtern. Wird ihnen das gelingen? Oder wird die wahre Liebe siegen und der bettelarme Jonas das Herz der bezaubernden Leonie erobern?

Wer meint, gerade die Zusammenfassung eines Groschenromans oder einer flachsinnigen Boulevardkomödie gelesen zu haben, irrt. Leonie ist die Zentralfigur einer zeitgenössischen Oper, die am Samstagabend am Salzburger Landestheater uraufgeführt wurde: Des Kaisers neue Walzer von Alma Deutscher (Liedtexte und Mitarbeit Dialoge: Nina Schneider). Wobei die Zuschreibung "zeitgenössisch" für die Musik der gebürtigen Britin nur bedingt zutrifft.

Die in einem Kokon häuslichen Privatunterrichts aufgewachsene, frühbegabte Musikerin zehrt als Komponistin von einer Inselbegabung für klassisch-romantische Stilimitation. Mithilfe derer hat die mittlerweile zum Wunderteenager herangereifte 18-Jährige ein beachtliches Oeuvre geschaffen: etwa ein Violin- und ein Klavierkonzert wie die auch von der Staatsoper aufgeführte Märchenoper Cinderella. Des Kaisers neue Walzer ist stark operettenlastig geraten, mit Ausflügen ins Broadway-Musical und klassisch-romantischen Einsprengseln.

Der durchkomponierte dritte Akt, das Konfusionstableau im Nobelrestaurant L‘Octave, wie auch der Finalakt finden fast kein Ende. Nach gut drei Stunden von Deutschers retrokreativer Melodieseligkeit fühlt man sich wie nach dem Verzehr einer Palette Punschkrapfen: stark überzuckert.

Sitzend k.o.

Selbst als kitschaffiner Mensch geht man sitzend k.o. Das Metathema der Oper ist die Gegenüberstellung von klassischer Musik, Pop und Neuer Musik. Popmusik findet die komponistinnennahe Figur der Leonie (Deutscher studiert an der Wiener Musikuni Dirigieren) "primitiv" und "stumpfsinnig", erst Jonas kann sie dafür erwärmen. (Die "Popsongs", die Deutscher für Jonas eingefallen sind, sind leider alle klassisch imprägniert.) Die Neue Musik, der mit der Figur des Atonalitätsapostels Swindelle ein sprechender Name verpasst wurde, wird als Humbug dargestellt. Im Programmheft fühlt sich die Komponistin bemüßigt festzustellen, dass dies nicht als generelle Kritik zu verstehen sei, sondern als Parodie einer bestimmten Ideologie, die in der sogenannten ernsten Musik "in den letzten Generationen dominant war".

Regiegöttin sei Dank, dass Christina Piegger in ihrer Inszenierung als überlebenswichtigen Kontrapunkt zur Laura-Ashley-haften Blumigkeit der Musik auf grellen Klamauk setzt (Bühne und Kostüme: Laura Malmberg und Paul Sturminger). Gesungen wird elektronisch verstärkt: Julia Sturzlbaum ist eine quirlige, kantilenensichere Leonie, Thomas Wegscheider gibt einen schüchternen Jonas mit Andy-Knoll-Charme. Anne-Fleur Werners Überdrehtheit als Theodora Meadows hat Profil, George Humphreys ödet als Sir Anthony Swindelle mit seinem uniformen Bühnensprechton an.

Glänzende Erscheinung

Als Rudolf Kaiser zieht Per Bach Nissen alle komödiantischen Register, sympathisch Alexander Hüttner und Hazel McBain als PR-Paar Peter und Paula. Eine glänzende Erscheinung: Yevheniy Kapitula als Oberkellner. Sie alle sowie das Mozarteumorchester Salzburg werden von Katharina Wincor exzellent durch den Premierenabend geleitet. In künstlich aufgeputscht wirkendem Jubel ein trompetenstarkes Buh: die Stimme der Wahrheit. (Stefan Ender, 5.3.2023)