Showvirtuosentum im Geiste der Spätromantik: An Hélène Grimauds pianistisch reifer Kunst braucht niemand Anstoß zu nehmen.

Foto: Mat Hennek / DG

Sie ist seit Jahrzehnten fest im Konzertbetrieb etabliert; Anfang der Nuller Jahre war Hélène Grimaud sogar eine Zeitlang in den internationalen Hochglanzmagazinen präsent: als die fotogene französische Pianistin, die in den USA mit Wölfen zusammenlebt. Das Auftreten der 53-Jährigen im Großen Konzerthaussaal ist am Freitagabend von Zurückhaltung und Bescheidenheit geprägt, beim Spiel verdecken die blonden Haare ihr Gesicht wie ein wellenförmiger Schutzwall.

Die drei(einhalb) großen B der Musik stehen auf dem Programm ihres Soloabends: Bach-Busoni, Beethoven und Brahms. Grimaud musiziert technisch solide und ausdrucksstark, sinnlich und durchdacht, die emotionale Komfortzone verlässt die Französin aber nie. Beim rhapsodischen Kopfsatz von Beethovens E-Dur Sonate op. 109 werden die Gegensätze eher nivelliert als herausgestellt, der Mittelsatz wird in einem gemäßigten Prestissimo absolviert. Warum hält sie den Schlussakkord deutlich länger als die zwei vorangegangenen? Sehr bedächtig, aber auch klangschön das Thema des Variationssatzes; die Wiederholungen werden variierend gestaltet. Die finalen Triller-Erregungen entbehren einer echten emotionalen Dringlichkeit.

Gehaltvolles Innenleben

Das gehaltvolle Innenleben der Drei Intermezzi op. 117 und der Sieben Fantasien op. 116 von Johannes Brahms präsentiert Grimaud mit sattem Ton, warm und mächtig die Bässe des Steinway-Flügels. Die Gewaltausbrüche bei den drei Capriccios geraten etwas wohlerzogen, aber die retrospektiven Ruhestücke des späten Brahms mit ihrer Wehmut und Altersmilde gelingen sehr schön, wenn auch die atemberaubenden Momente fehlen.

Bachs d-Moll Chaconne schließt Grimaud attacca an, allerdings nicht in der Brahms-Bearbeitung für die linke Hand, sondern in jener von Ferruccio Busoni, die mehr dem expansiven Showvirtuosengeist der Spätromantik huldigt. Auf den flammenden Jubel des Publikums antwortet die Pianistin mit zwei Zugaben, einer Chopin-Mazurka und einer Bagatelle von Valentin Silvestrov. (sten, 5.3.2023))