Wie schwer ein Spiel wirklich ist, liegt im Auge des Betrachters – oder in der Anzahl der zerstörten Controller.

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Anderthalb Stunden habe ich beim ersten Boss im neuen Action-Spiel "Wo Long" gebraucht. Zitternd, fluchend, die Wand und meinen Controller anschreiend. Zugegeben, im Internet wird diese erste Hürde als "Sieb" bezeichnet, um die falschen Spieler für dieses Genre gleich mal vor den Kopf zu stoßen. Aber ich habe mich durch "Elden Ring" gecheatet… ich wollte sagen gelevelt und war deshalb fest davon überzeugt, das richtige Skillset für "Wo Long" mitzubringen.

Tatsächlich besiegte ich den Gegner nach der genannten Zeit und tauchte in das alte China des Spiels ein. Schade aber, dass dieses schön inszenierte Action-Spiel viele nicht erleben werden, weil sie entweder die Geduld oder die Zeit nicht mitbringen (wollen). Frust als Motivation für die einen und Frust als Rausschmeißer für die anderen. Eine Formel, die für die Firma From Software, mit all ihren Souls-Spielen und zuletzt "Elden Ring", zur Erfolgsformel wurde. Aber muss man sich das als Spieler bieten lassen? Soll und darf das 2023 noch ein Qualitätskriterium sein?

Gut und schlecht

Seit es Videospiele gibt, diskutiert man über Schwierigkeitsgrade. Beim Spiel "The Last Ninja" auf dem C64 könnte ich heute gar nicht mehr sagen, ob ich zu jung, die Iso-Perspektive für ein solches Spiel ungeschickt oder die Spielbarkeit insgesamt zu schlecht war, warum ich 1987 nicht wirklich weit gekommen bin. "Super Probotector" am SNES war ebenfalls ab dem Schwierigkeitsgrad "Hart" eine ebensolche Nuss, genau wie die "Ninja Gaiden"-Serie, die vom selben Entwickler stammt, wie das eingangs erwähnte "Wo Long".

2009 eroberte dann das sogenannte "Demon’s Souls" eine Spielerschaft, die nicht nur den Begriff "Soulslike" salonfähig machte, sondern damit auch den Stolz aufs virtuelle Sterben wie eine Medaille um den Hals trug.

Ich selbst hatte zu dieser Zeit, also vor etwa 14 Jahren, bereits beruflich mit Videospielen zu tun, aber nicht die Geduld oder den Nerv, den ich in den Jahren davor hatte, als ich mit massig Zeit ausgestattet stundenlang die ewig gleichen Passagen in diversen Game-Boy- oder Playstation-Spielen immer und immer wieder spielte. Diese Zeit ist für mich vorbei und wahrscheinlich für viele Videospieler, die mittlerweile berufstätig sind oder am Abend mit ihren Kindern spielen müssen und oder auch dürfen.

Die Zeit, sich anderthalb Stunden mit einem einzigen Gegner auseinanderzusetzen, gehört für diese Spielerschaft als riesige Ausnahme verzeichnet. Vielleicht sind nämlich genau diese anderthalb Stunden am Mittwoch Abend die einzige Zeit, die innerhalb einer Arbeitswoche zur Verfügung steht. Danach frustriert ins Bett zu gehen, weil man anstatt Welten zu erobern oder virtuellen Sport ausgeübt zu haben, am Ende mit 585 Todes-Bildschirmen den Abend verbracht hat.

Bücher haben keinen Controller

Schon vor Jahren hatte ich mit einem Freund die Diskussion, dass Videospiele nie so populär wie Bücher werden können – oder sagen wir so inklusiv – weil man sie nicht einfach aufblättern kann, sondern mit dem Joypad oder der Tastatur schonmal eine motorische Hürde überspringen muss. Mit gutem Willen traue ich das aber einem Großteil der Menschheit zu, irgendwann zu wissen, wo sich die Sprungtaste oder auch der "leichte Schlag" verborgen hält. Auch, weil 99 Prozent der Spiele heute über sehr eingängige und beschauliche Tutorials verfügen, die Schritt für Schritt die Möglichkeiten des digitalen Zeitvertreibs erklären.

Wenn dann aber noch ein nicht verstellbarer Schwierigkeitsgrad hinzu kommt, dann fühlt es sich als Spielerin oder Spieler so an, als würde man ein Buch in einer fremden Sprache vor den Latz geknallt bekommen. Wer bereit ist, sich für diese Geschichte in die Vokabeln und die Grammatik einzulesen, der wird das Buch am Ende lesen können – alle anderen werden es zur Seite legen und ein Werk aufschlagen, das ihnen weniger Steine in den Weg legt.

Wie in Trance

Natürlich gibt es weiterhin Spielerinnen und Spieler, die viel Zeit und Geduld mitbringen. Sei es, weil sie noch in die Schule gehen, weil sie mit Youtube ihr Geld verdienen oder weil sie gar nicht so viel Zeit und Geduld benötigen, weil sie ein wenig geschickter sind als andere. In meinem Umfeld gibt es solche Leute, die stolz von ihrem Ableben in "Sekiro" erzählen und von mir erwarten, dass ich mein Wochenende ebenfalls liebend gern dafür opfern würde, bei ein und demselben Gegner immer und immer wieder virtuell verrecken zu wollen.

Nicht falsch verstehen, die Motivation hinter dieser Art von Unterhaltung ist mir spätestens seit "Elden Ring" wieder bewusst geworden. Dieses Einlassen auf ein Spiel und nicht wie in Trance die Zeit inmitten zweier Zwischensequenzen einfach nur zu ertragen oder parallel sogar am Smartphone schauen, wie das Wetter morgen wird. Oder sich in kompetitiven Spielen vom Internet zerlegen lassen, weil man hier direkt gegen eben jene 14-Jährigen antritt, die neben mehr Zeit auch noch ein wesentlich besseres Reaktionsvermögen als man selbst hat.

So ist die Zeit mit "Wo Long" in meinem Fall eine gewollte Ausnahme, auch weil ich gemeinsam mit einem Freund auf Bossjagd gehen kann. Die wenigen Stunden, die ich vor der Konsole verbringe, teile ich seit Pandemie-Start nämlich lieber mit anderen Menschen, die ich ohnehin viel zu selten sehe. Wenn man sich dann gemeinsam aufregt, sich gegenseitig beschimpft und am Ende den Boss irgendwie in die Knie zwingt, dann war es doch ein gelungener Abend. Viel besser, als alleine ein Buch zu lesen. (Alexander Amon, 5.3.2023)