Österreich und Russland feierten im Jahr 2018 das 50-Jahr-Jubiläum der Gaslieferungen. Die langfristigen Verträge wurden zu diesem Anlass bis zum Jahr 2040 verlängert.

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Alle waren sie da, an diesem schicksalhaften Dienstag im Juni 2018. Der russische Präsident Wladimir Putin, der damalige österreichische Kanzler Sebastian Kurz, OMV-Chef Rainer Seele und Gazprom-Chef Alexey Miller. Aus geschäftlicher Sicht gab es für die Herren bei dem Treffen einiges zu feiern: Der Gasliefervertrag zwischen der OMV und Gazprom, der 2028 auslaufen sollte, wurde bis zum Jahr 2040 verlängert und die Geschäftsbeziehung der beiden Länder dauerhaft festgeschrieben.

Knapp fünf Jahre später ist der Vertrag trotz des völkerrechtswidrigen Angriffs Russlands auf die Ukraine nach wie vor aufrecht. Warum genau, weiß außer der OMV niemand. Die Details des Schriftstücks sind nicht öffentlich. Nicht einmal die österreichische Regierung, die bei der Unterzeichnung anwesend war, weiß, was genau vereinbart wurde, zumindest behauptet das Kanzler Karl Nehammer (ÖVP). Die teilstaatliche OMV beruft sich darauf, dass sie an den Vertrag mit Gazprom gebunden sei.

Unterliegt der Konzern also einem Knebelvertrag, aus dem kein Ausstieg möglich ist? Trotz stark schwankender Liefermengen aus Russland? Trotz Kriegszustands und weitreichender Sanktionen?

Rechtliche Handhabe

Bekannt ist abgesehen von der Laufdauer des Vertrags bis zum Jahr 2040, dass eine Take-or-Pay-Klausel abgeschlossen wurde. Gazprom liefert, die OMV muss bezahlen, selbst wenn sie das Gas nicht mehr benötigt. Vereinbart wurde eine Menge von fünf Milliarden Kubikmetern pro Jahr, die ein Jahr später auf sechs Milliarden aufgestockt wurde.

Unklar ist vor allem, aus welchen Gründen die OMV aus dem Vertrag aussteigen darf und unter welchen Bedingungen. Selbst die Frage, welches Recht – österreichisches, russisches oder UN-Kaufrecht – im Fall eines Rechtsstreits angewendet werden müsste, ist nicht bekannt.

Juristinnen und Juristen, die der STANDARD kontaktiert hat, sehen – unabhängig davon – dennoch rechtliche Handhabe für die teilstaatliche OMV. Gewisse rechtliche Grundsätze sind sowohl in Russland als auch in Österreich verankert. Dazu zählt unter anderem, dass dauerhafte Lieferverträge aus wichtigen Gründen gekündigt werden können.

Dieses Kündigungsrecht ganz auszuschließen wäre nach österreichischem Recht nicht möglich, erklärt Brigitta Lurger, Professorin für internationales Privatrecht an der Universität Graz. Auch das russische Recht lässt eine "völlige Aushebelung des Kündigungsrechts nicht zu", sagt der auf Russland spezialisierte Berliner Rechtsanwalt Stefan Geisthardt. Einzig Modifikationen dürften möglich sein, etwa die Vereinbarung einer Lösesumme.

Mehrere wichtige Gründe

In der Beziehung zwischen der OMV und Gazprom könnten gleich mehrere Gründe vorliegen, die eine Kündigung rechtfertigen. Der offensichtlichste sind reduzierte Liefermengen. Üblicherweise werden in Lieferverträgen Maximal- und Minimalmengen vereinbart, die in einem gewissen Zeitraum ausgeglichen werden können. Teilweise sind laut OMV zwar nur 30 Prozent oder weniger der vereinbarten Menge am Übergabepunkt in Baumgarten angekommen, mittlerweile sind die Mengen jedoch wieder deutlich gestiegen. Denkbar ist deshalb, dass Gazprom insgesamt genug Gas geliefert hat, um nicht vertragsbrüchig zu werden. Am 2. Februar 2023 drückte sich OMV-Finanzvorstand Reinhard Florey allerdings unmissverständlich aus: "Wir bekommen nicht das, was vertraglich vereinbart ist."

Aus Sicht von Florian Stangl, Rechtsanwalt und Experte für Energierecht, könnte sich die OMV bei einem Vertragsausstieg abseits der Lieferschwankungen aber ohnehin auch auf andere Gründe stützen. Langfristige Verträge können üblicherweise dann gekündigt werden, wenn das "Vertrauensverhältnis" zwischen den Vertragspartnern erschüttert ist. Im Fall Gazproms könne man etwa damit argumentieren, dass der Konzern die Gasliefermengen nach Europa bewusst drosselte und damit den Wettbewerb verzerrte. "Da sprechen wir noch gar nicht davon, dass die Einnahmen aus dem Gasgeschäft indirekt den Krieg mitfinanzieren", sagt Stangl.

Ähnlich sieht das Lurger. Abgesehen von einer nicht vertragsmäßigen Lieferung könnte auch der Krieg ein wichtiger Grund für die Vertragsbeendigung sein. Dasselbe gilt für wettbewerbswidriges Verhalten, wenn Gazprom etwa versucht, die OMV als Mitbewerberin zu schädigen. Ein Grund für eine Vertragskündigung läge für die OMV zudem dann vor, wenn österreichische Gesetze den Import von russischem Gas verbieten würden.

Wirtschaftliches Risiko

Steigt die OMV aus dem Vertrag aus, könnte Gazprom wohl vor einem privaten Schiedsgericht klagen. Entsprechende Klauseln sind in internationalen Verträgen üblich. Vor Gericht würde dann etwa geklärt, ob die Gründe, die Gazprom für seine Gasdrosselungen vorschiebt, gerechtfertigt sind. Die OMV wäre im Fall eines Vertragsausstiegs nicht zuletzt dem Risiko ausgesetzt, dass sich Russland als Gegenmaßnahme übriggebliebene Vermögenswerte des Konzerns auf seinem Staatsgebiet sichert. Es dürften aber ohnehin eher wirtschaftliche denn rechtliche Gründe sein, die den Öl- und Gaskonzern an dem Vertrag festhalten lassen. Die OMV müsste sich im Fall eines Ausstiegs neue, mutmaßlich teurere Lieferquellen sichern. (Jakob Pflügl, 6.3.2023)