Eines gleich Vorweg: Hier beginnt die No-go-Zone für Arachnophobiker und Arachnophobikerinnen. Aber auch Interessierte aus der Grauzone zwischen Faszination und Distanziertheit werden nicht haltlos begeistert sein: Ein Forschungsteam hat in Südengland eine invasive Spinne bei der erfolgreichen Jagd auf eine Spitzmaus beobachtet – eine Premiere.

Schlangen im Netz

Dass bei zahlreichen Spinnenarten auch Wirbeltiere auf dem Speiseplan stehen, ist mittlerweile hinlänglich bekannt – immerhin trägt dieser Tatsache die Vogelspinne mit ihrem Namen Rechnung (obwohl sie auch Tiere mit Fell nicht verschmäht). Mittlerweile kennt man Vertreterinnen aus 39 Spinnenfamilien, die Wirbeltieren nachstellen.

Es sind jedoch nicht nur – wie man vielleicht annehmen möchte – die großen Krabbler der fernen Tropen, die Appetit auf Echsen, Mäuse und Vögel entwickelt haben. Tatsächlich kennt man dieses Verhalten vor allem von Kugelspinnen, einer Familie, zu der auch die Schwarzen Witwen zählen. So zeigten 2021 systematische Beobachtungen unter anderem in Südeuropa, dass manche Arten der Schwarzen Witwen regelmäßig Schlangen erbeuten.

Die Edle Kugelspinne

Die Klimaerwärmung ebnet diesen Spinnen langsam den Weg in den Norden. Viele der arachniden Gäste haben es schon weit geschafft – dazu zählt auch die Edle Kugelspinne (Steatoda nobilis). Ursprünglich auf den Kanarischen Inseln und Madeira beheimatet, hat sich die Art in den vergangenen Jahrzehnten über Nordafrika, Kleinasien, Westeuropa bis Südengland und Teilen Irlands verbreitet. Die Situation in Mitteleuropa ist unklar, aber zumindest in der Schweiz konnte sich die Spezies in zwei Gartencentern häuslich einrichten.

Ein vergleichsweise dunkles Exemplar der Edlen Kugelspinne (Steatoda nobilis).
Foto: JP Dunbar, University of Galway

Die Edle Kugelspinne, gelegentlich auch "Falsche Witwe" genannt, ist eine durchaus imposante Erscheinung. Die Körper der Weibchen erreichen eine Länge von fast 1,5 Zentimetern, ihre Beinspannweite übertrifft bisweilen 3,5 Zentimeter. Aufgrund ihrer Größe und ihrer potenziellen medizinischen Bedeutung schätzen Forschende Steatoda nobilis als eine der wichtigsten invasiven Spinnenarten überhaupt ein.

Medizinisch relevant ist sie deshalb, weil ihr Biss nicht zu verharmlosen ist. Die Symptome reichen von leichten bis mittelschweren Schmerzen und Schwellungen bis – in seltenen Fällen – zu Übelkeit, Schwitzen und Blutdruckschwankungen. Lebensbedrohlich wird es, wenn allergische Reaktionen auftreten. Dennoch sind Vorfälle selten, denn die Spezies gilt nicht als aggressiv und wehrt sich nur, wenn sie in die Enge getrieben wird.

Vor dem Schlafzimmerfenster

Kleinere Säugetiere dagegen müssen vor dem lähmenden Gift der Edlen Kugelspinne auf der Hut sein, wie ein Forschungsteam um Michel Dugon von der Universität Galway nun mit Filmaufnahmen aus Südengland beweisen konnte. Die am 4. August 2022 festgehaltenen Szenen spielten sich im ersten Stock an der Außenseite eines Schlafzimmerfensters in Chichester, West Sussex, ab. Dort hielt die Zoologin Dawn Sturgess (University of Galway) fest, wie eine weibliche Edle Kugelspinne eine kurz zuvor bezwungene, noch lebendige Zwergspitzmaus (Sorex minutus) in ihrem Netz verstaute und dort schließlich verspeiste.

Die Spinne ist deutlich kleiner als die (ohne Schwanz) etwa fünf Zentimeter große Spitzmaus.
Screenshot: Ecosphere/Dawn Sturgess

Riesige Beute

Ihrem Namen zum Trotz erscheint die Zwergspitzmaus im Vergleich zur Spinne wie eine Riesin. Fast dreimal so groß (ohne Schwanz) und mindesten zehnmal so schwer, hatte sie dem Giftbiss und den starken Seidenfesseln der Spinne trotzdem nichts entgegenzusetzen. Das Nervengift Alpha-Latrotoxin öffnet an den Synapsen der Nervenende die Calcium-Kanäle, der ständige Strom von Neurotransmittern führt beim Opfer zu neuromuskulären Lähmungen und Krämpfen.

Die Forschenden konnten beobachten, wie die Spinne ihre Beute etwa 25 Zentimeter nach oben zog, wofür sie etwa 20 Minuten benötigte. Dann geriet die Spitzmaus zwischen den Dachsparren außer Sichtweite. Drei Tage später entsorgte die Spinne die in Seide eingesponnenen und ausgesaugten Überreste aus Fell, Knochen und Haut aus ihrem Nest.

Video: Die Spinne hat eine Zwergspitzmaus erwischt und verfrachtet sie in ihr Netz.
WestmeathIndependent

Gezielte Jagd

Obwohl der eigentliche Jagdakt nicht beobachtet werden konnte, sind Dugon und seine Gruppe davon überzeugt, dass hier kein Zufallsfang vorliegt. Die Spitzmaus kletterte vermutlich auf einen Glyzinienstrauch in der Nähe des Schlafzimmerfensters, wo die Spinne sie mit ihrer Seide einfing, sie mit ihrem Gift lähmte und dann unter das Dach hievte, schreibt das Team im Fachjournal "Ecosphere".

Zuvor war diese Spezies auf den britischen Inseln auch schon bei der erfolgreichen Jagd auf Eidechsen und Fledermäuse ertappt worden, Spitzmäuse freilich sind eine Premiere. Vieles spräche also dafür, dass man es bei der Edlen Kugelspinne mit einer "gewohnheitsmäßigen Wirbeltierjägerin" zu tun hat, glauben die Wissenschafter. "Diese Beobachtungen zeigen, dass diese Spinne perfekt angepasst ist, um große Beutetiere zu erlegen, indem sie ein starkes Gift, extrem starke Seide und ein komplexes Jagdverhalten kombiniert", meinte Dugon. (tberg, 7.3.2023)