Eine jährliche Auffrischung ist laut Fachleuten für alle sinnvoll, für Risikogruppen ganz besonders empfehlenswert. Langzeitdaten fehlen allerdings noch.

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Die Empfehlungen für die Grundimmunisierung, also für die ersten drei Corona-Schutzimpfungen, waren schnell klar: Zwei Impfungen in einem kürzeren Abstand, die dritte dann frühestens nach sechs Monaten. Alles danach wurde für viele zur persönlichen Abwägungssache.

Die vierte Impfung wird laut österreichischem Impfplan zwar allen ab zwölf Jahren und ganz besonders Älteren und Personen aus Risikogruppen empfohlen, aber das wurde lange sehr missverständlich kommuniziert, der STANDARD berichtete. Viele fragen sich nach wie vor: Sollte man sich den vierten (oder bei manchen sogar schon fünften) Stich holen – trotz Infektion? Wann ist der beste Zeitpunkt dafür?

Grundsätzlich macht eine Impfung sechs Monate nach dem letzten Viruskontakt – also Impfung oder Infektion – Sinn, sagt Dorothee von Laer, Virologin von der Med-Uni Innsbruck. Aber man könne die sechs Monate in Hinblick auf die Saisonalität auch ausweiten. Weil die Impfung nur kurz vor Infektion schützt, ist es sinnvoller sich vor einer höheren Infektionswelle impfen zu lassen statt jetzt vor der warmen Jahreszeit, rät die Virologin: "Für all jene, die im vergangenen Winter infiziert waren, macht eine Auffrischungsimpfung wahrscheinlich erst vor der nächsten Saison im Herbst und Winter wieder Sinn, denke ich." Denn zweimal in kürzeren Abständen als diesen sechs Monaten zu impfen ist nicht ratsam, der Schutz wird dadurch nicht besser, sind sich Fachleute einig. Im Gegenteil, kürzere Intervalle könnten den Impfschutz schwächen.

Noch immer viel Unwissen

Ob dann im Herbst eine jährliche Auffrischungsimpfung für alle empfohlen wird, ist vonseiten der Politik noch offen. "Für gesunde Personen unter 60 Jahren ist unter Berücksichtigung der momentanen Datenlage mit Stand Dezember 2022 keine fünfte Impfung notwendig", heißt es aktuell im Impfplan. Das könnte sich bis Herbst allerdings ändern. Die Impfempfehlung werde rechtzeitig im Nationalen Impfgremium diskutiert, heißt es aus dem Gesundheitsministerium. Man möchte die epidemiologischen Entwicklungen in den kommenden Monaten sowie Empfehlungen auf EU-Ebene noch abwarten.

In den USA hat ein Gremium der Arzneimittelbehörde FDA bereits Ende Jänner einstimmig eine jährliche Booster-Impfung empfohlen. Hierzulande sind Expertinnen und Experten mit Empfehlungen zurückhaltender. Bei einem STANDARD-Rundruf wagt es kaum jemand, eine Prognose abzugeben. Zu viele Fragen seien noch offen, findet der Virologe Christoph Steininger von der Med-Uni Wien, etwa jene zur Kreuzreaktivität, also ob bzw. wie gut eine Infektion mit einer Corona-Variante vor einer Infektion mit einer anderen Variante schützt. Außerdem müsse man noch genauer wissen, wie lange die Immunität nach einer Impfung anhält: "Dazu braucht man längerfristige Studien, die bisher schlicht nicht möglich waren, weil es die Impfung noch nicht so lange gibt", sagt er. Diese Studien wird es allerdings bis kommenden Herbst auch nicht geben, solch breite Langzeitstudien dauern – wie der Begriff schon sagt – eben lange, oft viele Jahre.

Jährliche Auffrischung mit angepassten Impfstoffen sinnvoll

Auf Basis von dem, was man bisher über Corona und die verfügbaren Impfungen weiß, mache eine jährliche Auffrischung durchaus Sinn, findet Markus Zeitlinger, Leiter der Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie der Med-Uni / AKH Wien. Er geht davon aus, dass es ab Herbst eine jährliche Corona-Impfung geben wird. Das heißt, im Spätherbst, wenn die Schnupfensaison und die Saison der Tröpfcheninfektion beginnen, werden wohl die meisten Firmen und Gesundheitssysteme eine Corona-Impfung anbieten, glaubt der Klinische Pharmakologe, "aber die Daten, um das zu untermauern, fehlen noch". Die Pharmafirmen würden sich jedenfalls schon jetzt darauf vorbereiten, dass sie im Herbst breitflächig Impfungen anbieten können, berichtet er.

Virologin von Laer sieht das ähnlich. Eine jährliche Auffrischung mache aus jetziger Sicht für alle Sinn, "ganz besonders dringend ist sie Risikogruppen zu empfehlen". Ähnlich wie bei der Grippeimpfung werde auch der Covid-Impfstoff jährlich an aktuell vorherrschende Varianten angepasst sein. Anders als bei Grippeviren sind die Mutationen von Sars-CoV-2 aber weniger gut vorhersehbar, sagt die Virologin: "Wir haben nach wie vor viele Infektionen, und je mehr Leute sich anstecken, desto besser und schneller kann sich das Virus weiterentwickeln."

Auch der Zeitpunkt einer jährlichen Auffrischung könnte sich je nach Infektionsgeschehen noch ändern. Die Impfung macht nicht zwingend immer im Herbst am meisten Sinn. "Wir hatten bei Corona durch bestimmte Mutationen auch im Sommer massive Wellen", erinnert der Klinische Pharmakologe Zeitlinger. Man müsse das Infektionsgeschehen weiterhin gut beobachten und entsprechend reagieren, "je nachdem, wann sich eine Welle abzeichnet".

Auffrischung für Kinder "nicht so dringend"

An der Zulassung der Impfstoffe wird sich auch bei jährlichen Auffrischungen nichts ändern, glaubt Zeitlinger, "aber in den Impfempfehlungen wird es wohl Abstriche geben". Die Vakzine werden also weiterhin für kleine Kinder genauso zugelassen sein wie für alte Menschen, aber man werde die Impfungen nur noch Menschen, die Risikogruppen angehören, empfehlen. Für alle anderen wird vermutlich eine individuelle Abwägung gelten.

Ob die jährliche Corona-Impfung auch für Kinder sinnvoll ist, sei laut Zeitlinger schwer zu sagen. "Grundsätzlich tendiere ich nach wie vor dazu, auch Kinder zu impfen, wenngleich es für ganz kleine Kinder nie eine Entscheidung zwischen Leben und Tod war, und das wird sich auch in Zukunft nicht ändern." Bei gesunden Kindern ist die jährliche Auffrischung "nicht so dringend", sagt auch Virologin von Laer: "Kann man machen, muss man aber nicht."

All diese Einschätzungen seien aber nur prophetisch, betonen die Expertinnen und Experten. Es fehlen schlicht noch Langzeitstudien und, sagt Zeitlinger, "das kann sich alles ändern, wenn das Virus verschwinden sollte oder zu stark mutiert". (Magdalena Pötsch, 7.3.2023)