Beobachtend, feinfühlig und auf Distanz zeichnet der Salzburger Filmemacher Bernhard Braunstein in seiner neuen Doku "Stams" den Lauf eines Schuljahrs am Tiroler Eliteinternat für den Skisportnachwuchs nach. Ende Februar wurde der Film auf der Berlinale gezeigt, seit Freitag ist er auch in den österreichischen Kinos zu sehen. Es ist ein Porträt eines Sehnsuchtsorts, an dem junge Menschen unter großem Druck und hohem Risiko zu Nachwuchshoffnungen einer Skination feingeschliffen werden.

STANDARD: "Stams" ist kein klassischer Sportfilm, eher ein Blick ins Innenleben der jungen Athletinnen und Athleten. Was war Ihr Anstoß, diesen Film zu schaffen?

Braunstein: Zunächst bestimmt ein großes persönliches Interesse für den Skisport. Ich war als Kind ein leidenschaftlicher Skifahrer. Schon im Sommer habe ich auf den nächsten Winter gewartet. Ich kann die Leidenschaft der jungen Menschen in Stams gut nachvollziehen. Das Skigymnasium ist für mich seit der Kindheit ein mythischer Ort. Dort genauer hinzuschauen, zu verstehen, was es bedeutet, sich für einen solchen Weg zu entscheiden – dieser Gedanke motivierte mich sehr. Ich wollte hinter das Siegertreppchen schauen. Aufzeigen, wie sich der Alltag der Athletinnen und Athleten gestaltet.

STANDARD: Sie haben sehr viel Zeit vor Ort verbracht, um Vertrauen aufzubauen und ein authentisches Bild zu zeichnen. Wie haben Sie Stams erlebt?

Braunstein: Ich wollte so offen wie möglich in die Recherche gehen, ohne vorgefertigte Meinung. Am Film habe ich fast fünf Jahre lang gearbeitet. Das erste Mal habe ich Stams im Jahr 2017 besucht. Drehbeginn war dann am Tag des Eröffnungsgottesdiensts zu Beginn des Schuljahrs 2019/20. Ich habe die Schülerinnen und Schüler über einen langen Zeitraum genau beobachtet. Der Film ist aus der Sammlung aus Eindrücken, Bildern und Geschichten dann tatsächlich erst am Schnittplatz entstanden.

Bernhard Braunstein, selbst leidenschaftlicher Skifahrer, lebt und arbeitet als Dokumentarfilmemacher in Salzburg.
Foto: Panama Film

STANDARD: Der Film bietet sehr wenig Kontextualisierung. Der Fokus liegt stark auf den Personen, deren Mimik, Gestik. Es gibt keine Stimme aus dem Off.

Braunstein: Ja, das war schon von vornherein so geplant. In der genauen Beobachtung von Mimik und Gestik erkennt man oft sehr gut, wie es den Menschen geht. Es sollte kein Porträt der Institution und ihrer Geschichte werden. All das kann man nachlesen. Ich wollte die Jugendlichen so nah wie möglich begleiten. Ich habe Themen aufgegriffen, die von ihnen gekommen sind und sie unmittelbar betreffen. Der Film hat aber auch einen hohen formalen Anspruch. Ich wollte, dass das Publikum nicht nur inhaltlich ins Staunen kommt. Die Form ist sehr durchdacht, die Montage von Roland Stöttinger fein und genau. Das Sounddesign ist sehr ausgefeilt. Dem Kameramann (Serafin Spitzer, Anm.) ist es nicht nur gelungen, berührende Porträts der Jugendlichen zu filmen, er hat zum Beispiel auch die hohen Geschwindigkeiten bei den Rennen sehr eindrucksvoll eingefangen. "Stams" ist auch ein künstlerischer Genuss.

STANDARD: Welche Themen werden angeschnitten?

Braunstein: Der Film ist komplex geworden, er spricht viele verschiedene Themen an, etwa den großen Leistungsdruck. Was bedeutet er für die Jugendlichen? Wohin führt er? Auch Verletzungen waren sehr präsent während der Dreharbeiten – sie stellen einen gravierenden Einschnitt in den Alltag dar. Für mich war klar, dass das ein Teil des Films werden muss.

STANDARD: Der Film hat einen klaren Fokus auf den Körper. In einer Szene stellt der Philosophielehrer die Frage "Bin ich mein Körper, oder habe ich einen Körper?". Diese Frage scheint sich wie ein roter Faden durch den Film zu ziehen.

Braunstein: Richtig. In dieser Frage geht es um die Einheit von Geist und Körper. Oft wird der Körper als reines Instrument gesehen, das optimiert werden soll und repariert werden muss, wenn es beschädigt ist. Für mich persönlich ist die Einheit und das Gleichgewicht von Geist und Körper sehr wichtig. Natürlich stellt sich dann auch die Frage, wie man Hochleistungssport überhaupt betreiben kann. Wir wissen ja, dass der Körper für viele extreme Belastungen eigentlich nicht gemacht ist. Dauerhafte Schäden sind oft die Folge.

STANDARD: Was hat Sie überrascht?

Braunstein: Die große Solidarität und die Freundschaften, die dort entstehen. Man möchte glauben, es sind Einzelkämpferinnen und Einzelkämpfer, und es gibt viel Konkurrenz. Schließlich treten viele gegeneinander an.

Der Film besticht durch einen starken Fokus auf die Mimik und Gestik der Protagonistinnen und Protagonisten.
Foto: Panama Film

STANDARD: Gibt es einen Moment, der Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?

Braunstein: Was mich sehr berührt hat, waren die vielen Momente der Traurigkeit, die ich miterlebt habe. Wenn ein Sportler realisiert, dass er nicht vorne dabei ist, obwohl er so viel investiert und gegeben hat ... da wird eine große Frustration sichtbar. Auch die brutale Art der Kommunikation zwischen Trainer und Athletin. Diese Momente gingen mir sehr nahe. Mein Film geht über die Szenen jubelnder Siegerinnen und Sieger hinaus, die man oft im Fernsehen sieht.

STANDARD: Wie gehen die jungen Menschen mit dem Scheitern um?

Braunstein: Das lässt sich nicht allgemein beantworten. Die Erfahrungen und Persönlichkeiten sind sehr unterschiedlich. Die mentale Stärke der Schülerinnen und Schüler hat mich allerdings schon sehr erstaunt. Es herrscht so viel Durchhaltevermögen. Trotz vieler Niederlagen gilt es, trotzdem immer weiterzumachen, die Hoffnung nicht aufzugeben. Nur ein bis zwei Prozent schaffen es tatsächlich, sich im Spitzensport zu etablieren.

STANDARD: Stams bietet aber eine duale Ausbildung an, es gibt einen Plan B.

Braunstein: Ja, die meisten schließen mit Matura ab. Eine meiner Hauptprotagonistinnen studiert jetzt Biologie und ist ganz begeistert von der Laborarbeit.

Start eines neuen Schuljahrs in Stams: 175 Schülerinnen und Schüler besuchen aktuell die Internatsschule, die aus einem Oberstufenrealgymnasium und einer Skihandelsschule besteht.
Foto: Panama Film

STANDARD: Konnten Sie frei von jeglichen Einschränkungen und Einflussnahme arbeiten?

Braunstein: Ja. Es gab ein großes Entgegenkommen vonseiten der Schule. Wir haben mit offenen Karten gespielt. Ich habe von vornherein klargemacht: Dieser Film soll weder glorifizieren noch verteufeln. Ich wollte kein Schwarz-Weiß-Bild zeichnen. Es war mir sehr wichtig, dass ich unabhängig arbeiten kann. Das war der Fall. Es gab keine Zensur.

STANDARD: Wie hat die Schulleitung dann auf den Film reagiert?

Braunstein: Schuldirektor Arno Staudacher und der sportliche Leiter Harald Haim waren die Ersten, die den fertigen Film gesehen haben. Sie sind zu mir nach Salzburg gekommen, wir haben den Film im Kino geschaut. Es war ein sehr intensiver Moment, ich konnte gar nicht abschätzen, wie sie auf den Film reagieren werden. Es gab einige Szenen, die ihnen nicht gefallen haben. Sie konnten aber auch zu diesen Szenen stehen. Das zeugt von Größe.

STANDARD: Können Sie das ausführen? Was waren solche kritischen Szenen?

Braunstein: Der Druck und die Belastung, die die Jugendlichen durchmachen, waren in der Nähe zu den Protagonistinnen und Protagonisten sicher eindrucksvoll wiedergegeben. Ich kann aber natürlich nicht für die beiden sprechen. Aus dem Feedback kann ich sagen: Es gibt Szenen, die die Frage nach der richtigen Kommunikation aufwerfen. Wie motiviert man Menschen richtig? Wie kann man jemanden dazu bringen, Höchstleistungen abzuliefern, ohne ihn oder sie einfach nur brachial anzutreiben, wie es manche Trainer tun? Aber auch: Was kann gegen die vielen Verletzungen unternommen werden? Warum werden diese so selbstverständlich in Kauf genommen? Das sind auch Fragen, die mich persönlich sehr beschäftigt haben. Wenn man sie abstrahiert, lässt sich das durchaus auf die Gesellschaft umlegen.

STANDARD: Inwiefern?

Braunstein: Nun, viele Menschen stehen in unterschiedlichen Bereichen sehr unter Druck. Manchmal werden individuelle Bedürfnisse und Fähigkeiten zu wenig gesehen. Im Endeffekt wirft der Film fundamentale Fragen auf: Wohin führt uns der omnipräsente Leistungsgedanke? Was treibt uns als Menschen an? Was macht uns glücklich?

Fasziniert haben Regisseur Braunstein der starke Teamgeist und die Freundschaften in Stams.
Foto: Panama Film

STANDARD: Was nehmen Sie persönlich sonst aus dieser Arbeit mit?

Braunstein: Ich mache definitiv mehr Sport. Die Körperlichkeit, Stärke, Eleganz, die ich erleben durfte, das hat schon etwas Ansteckendes. Ich schaue jetzt auch anders auf die Weltcuprennen im Fernsehen. Ich weiß, was es bedeutet, dorthin zu kommen, und dass viele auf dem Weg schmerzhaft scheitern. (Maria Retter, 7.3.2023)