Österreichische Physikerinnen unter sich: Berta Karlik (links) und Lise Meitner (rechts) im Wiener Radiuminstitut in den 1950er-Jahren.
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Fast dreißig Jahre leitet die österreichische Kernphysikerin Berta Karlik das Wiener Radiuminstitut. Die Entdeckung von drei Isotopen des Elements Astat gilt als ihr größte wissenschaftliche Leistung. Doch sie erzielte als erste ordentliche Professorin Österreichs auch bedeutende feministische Erfolge. Anlässlich des Weltfrauentags würdigt die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) das Leben und Schaffen der Wissenschafterin in einer "Berta Karlik Lecture".

Berta Karlik wird 1904 in eine wohlhabende Wiener Familie geboren. Die Tochter eines Juristen bekommt zunächst Hausunterricht von ihrer Mutter. Dann besucht sie das öffentliche Mädchenlyzeum in der Wenzgasse. Dort legt sie 1923 die Matura mit Auszeichnung ab und nimmt an der Universität Wien ein Studium der Physik, Chemie und Mathematik auf – was Frauen in der Donaumonarchie erst seit dem Jahr 1897 möglich war.

Ihre Doktorarbeit über Szintillation führt sie erstmals ans Radiuminstitut, dem weltweit ersten Institut zur Erforschung der Radioaktivität. Der Bau des 1910 eröffneten Instituts, das zur Akademie der Wissenschaften gehörte, war durch eine Stiftung von Carl Kupelwieser ermöglicht worden. Nachdem Karlik ihre Promotion 1928 erfolgreich verteidigt hat, folgt ein Lehramtsstudium und eine kurze Tätigkeit als Lehrerin an einem Wiener Mädchengymnasium. Obwohl ihr Unterricht von der Schulleitung als "besonders erfolgreich" gelobt wird, entscheidet sich die 24-Jährige für eine wissenschaftliche Karriere und kehrt zurück ans Radiuminstitut. Wo sie als Frau – wie die meisten ihrer Kolleginnen – für ihre Arbeit nicht entlohnt wird.

Weltweit vernetzt

Wenig später tritt Karlik dem "Verband der Akademikerinnen Österreich" bei. Die Forderungen dieser feministischen Gruppierung klingen im Sinne der Gleichberechtigung sehr modern: Gleicher Lohn für alle, Aufstiegschancen für Frauen in der Wissenschaft und das Recht auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Letztlich geht es um die Etablierung einer international vernetzten weiblichen Elite.

Durch die Mitgliedschaft erhält Karlik Ende 1930 ein Auslandsstipendium und nutzt die Gelegenheit für einen einjährigen Forschungsaufenthalt in London bei William Bragg, der bereits 1915 gemeinsam mit seinem Sohn den Physik-Nobelpreis erhalten hatte. Während ihres Aufenthalts trifft sie wissenschaftliche Größen wie Ernest Rutherford oder Marie Curie. Als sie 1932 nach Wien zurückkehrt, erhält sie am Radiuminstitut eine Anstellung als wissenschaftliche Hilfskraft. Mit ihrer Habilitationsschrift "Die Grenzen der Nachweisbarkeit der schweren Edelgase im Helium" bekommt sie wenige Jahre später als erste Frau in Österreich die Lehrbefugnis für Physik verliehen.

Anschluss und "Viennium"

Mit dem "Anschluss" Österreichs im März 1938 beginnt auch für Karlik eine dunkle Zeit. Obwohl sie aufgrund ihrer "arischen" Herkunft zunächst nicht in Bedrängnis kommt, bringt sie sich durch diverse Rettungsaktionen von jüdischen Kolleginnen und Kollegen in Gefahr. Am Radiuminstitut sind vor 1938 besonders viele Wissenschafterinnen und Wissenschafter jüdischer Herkunft tätig. Rückblickend schreibt der Physiker Josef Mattauch über die wagemutige Naturwissenschafterin: "Berta Karliks unerschrockene Haltung, ihre stete Hilfsbereitschaft und liebenswürdige Aufopferungsfähigkeit für alle, die sich in Not befanden, traten in dieser Zeit besonders hervor."

Noch während des Zweiten Weltkriegs gelingt ihr gemeinsam mit Traude Bernert der Nachweis des Elements 85, heute auch als Astat bekannt. Zur Identifizierung von radioaktiven Teilchen wird damals die emittierte Energie gemessen, die während des Zerfalls frei wird und für jedes Element charakteristisch ist. Karlik und Bernert wollen das Element zu Ehren ihrer Heimatstadt "Viennium" nennen. Wenig später wird die Entdeckung des Elements aber US-amerikanischen Wissenschaftlern zugeschrieben, die Astat bereits zwei Jahre zuvor künstlich synthetisierten – somit fällt auch der Namensanspruch. Immerhin werden die beiden Wissenschafterinnen 1947 für ihre Leistungen mit dem Haitinger-Preis ausgezeichnet, den Karlik bereits 1933 erstmals erhalten hat.

Organisationstalent

Bereits 1945 hat Karlik die provisorische Leitung des Radiuminstituts und widmet sich seinem Wiederaufbau. Über die allgemeine Situation und den Zustand des Gebäudes schreibt sie Anfang der 1950er-Jahre: "Das Institut bot einen traurigen Anblick: Die leeren Räume waren bedeckt mit Glasscherben, Schutt und Staub […]. Das Leben war unbeschreiblich hart, ein weiter Fußmarsch führte ins Institut, mittags wurden ein paar Kartoffeln gekocht, an wissenschaftliches Arbeiten war zunächst nicht zu denken."

Ihr Organisationstalent ist vor allem bei der Rückholung der Institutsbesitztümer gefragt. Die wertvollen Apparaturen und Radium-Präparate sind vor den Bombardements auf Wien in ein Salzbergwerk in Hallein in Sicherheit gebracht worden. Noch 1945 gelingt Karlik das schwierige Unterfangen, die Präparate aus der von den US-Amerikanern verwalteten Besatzungszone heimzuholen. Eigenhändig berechnet sie die Dicke der Ziegelwand, die den Fahrer des US-Militär-LKWs beim Transport vor Strahlung schützen soll. 1947 ernennt die Österreichische Akademie der Wissenschaften Karlik offiziell zum Vorstand des Radiuminstituts. Die Universität Wien macht die Physikerin im gleichen Jahr zur außerordentlichen Universitätsprofessorin.

Späte Ehrung

Die erfahrene Kernphysikerin wird in den 1950er und 60er Jahren in zahlreichen Gremien als Expertin hinzugezogen. So auch 1958, als der erste Entwurf eines Strahlenschutz-Gesetz in Österreich ausgearbeitet wird. Sie ist Mitglied der dafür extra eingerichteten Strahlenschutzkommission. Erst 1973 wählt die Akademie der Wissenschaften Karlik als erste Frau zum wirklichen Mitglied – 126 Jahre nach der Gründung der Gelehrtengesellschaft und obwohl sie zu diesem Zeitpunkt schon fast dreißig Jahre an einem Akademieinstitut gearbeitet hat.

Ein Jahr später erfolgt ihre Emeritierung. Karlik bleibt "ihrem" Institut bis auf einige kurze Auslandsaufenthalte ein Leben lang treu. In den letzten 15 Jahren widmet sich die Wissenschafterin überwiegend administrativen Aufgaben. Über ihr Privatleben ist nur wenig bekannt. Kurz nach ihrem 86. Geburtstag stirbt sie unverheiratet und kinderlos in Wien. Seit 1998 trägt das Karlik-Tor auf dem Campus der Universität Wien ihren Namen. 2011 wurde in Wien-Hietzing die Berta-Karlik-Gasse nach ihr benannt. Im Juni 2016 wurde sie mit einer Büste im Arkadenhof der Universität Wien geehrt. (Anna Tratter, 12.3.2023)